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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Die Frau wollte mit mir reden – Sie wissen schon!“antwortete die Alte.

Er wußte allerdings, was sie meinte, und nahm sie mit sich in sein Zimmer. Da der Corridor von der Treppe schon sich theilte, links nach des Hausherrn, rechts nach der Frauen Bezirk, so hörten Letztere noch nichts von der Rückkehr, auf welche sie gespannt warteten, ohne sie jetzt schon zu hoffen.

„Nun?“ fragte Hartinger, als er mit der Alten in sein Zimmer getreten war und diese ihm den „Matin“ von der Schulter nahm.

„Sie wollte wissen, was Sie gegen die Heirath hätten, die sie sich in den Kopf gesetzt hat.“

„Und was hast Du ihr gesagt?“ fragte Hartinger unmuthig.

„Daß Sie Ihre Tochter doch nicht zwingen würden und daß Mamsell Dorche sich nichts aus ihm mache.“

„Weißt Du das?“ rief der Vater hoch erfreut.

„Sie mag gern mit ihm plaudern und lachen, aber weiter nichts –“

„Er aber!“ sagte der Vater.

Die alte Frau zuckte die Achseln. „Vaters Blut! Was er nicht soll!“ murmelte sie.

Hartinger schwieg eine Weile. „Es ist mir nur lieb, daß es so steht! Wenn Du Deiner Sache gewiß bist nämlich … Weißt Du,“ fuhr er plötzlich auf, „daß er seiner Mutter schrecklich ähnlich sehen kann? Ich hab’s neulich zum ersten Male bemerkt, als er – heftig wurde. Da sah er aus, als sei er ihr aus den Augen geschnitten, und ich mußte mir gleich ihr Bild ansehen!“

„Das hätten Sie schon längst in’s Feuer werfen sollen!“ murrte die Alte.

„Ist Doris bei meiner Frau? Sie war doch nicht dabei, als Du Rede stehen solltest?“

„Sie kam und ich ging. Aber drüben warten sie mit Schmerzen!“ Der Rathsherr entließ die alte Frau, welche sich auf den Heimweg machte, während er zu den Seinigen hinüberging. Ueber den eigenen Angelegenheiten hatte er momentan die öffentlichen vergessen, deren Rückwirkung auf jene sich noch gar nicht übersehen ließ.

„Schon zurück?“ sagte Frau Hartinger verwundert, und Dorothea glaubte in seinem Gesicht Gutes zu lesen.

„Wir sind unfreundlich empfangen und kurz abgefertigt worden,“ berichtete er jedoch. „Eine halbe Million hat er der Stadt erlassen, mehr war von ihm nicht zu erlangen, und ohne mich zu rühmen, kann ich sagen, daß Frankfurt mir diesen Erlaß hauptsächlich zu danken hat. Ich aber bin dafür wieder einem Freunde verpflichtet, der Custine’s Vertrauen besitzt und gewiß bei dessen Unkenntniß deutscher Verhältnisse vom besten Einfluß sein wird.“

„Stamm, nicht wahr?“ entgegnete Dorothea statt der sich noch verwundernden Mutter. „Heißt er Daniel Stamm?“

„Ja wohl. Kennst Du seinen Vornamen schon?“ fragte der Vater, angenehm berührt, indem er an die Behauptung der Amme über das Herz seines Kindes dachte und gleich Hoffnungen für seinen Lieblingsplan daran knüpfte.

„Ganz Frankfurt kennt diesen Vornamen und wird ihn so leicht nicht wieder vergessen!“ erwiderte Dorothea. „Er prangt als Bürge für den richtigen Wortlaut unter Custine’s neuestem Manifest!“

Hartinger kannte dies noch nicht; es war, während die Rathsdeputation in Mainz unterhandelte, zu Frankfurt öffentlich angeschlagen worden. Custine mißbilligte darin die allgemeine Beisteuer der von ihm verhängten Contribution, durch welche er nur die Begünstiger von Verräthern an den unverjährbaren Rechten der Völker habe strafen wollen, er beschuldigte den Magistrat der Ungerechtigkeit und Erpressung und wiederholte den Befehl, der in Neuwinger’s Proclamation ausgesprochen war. Als Dorothea den Kern des Manifestes ihrem Vater mitgetheilt hatte, sah ihn die Gattin trostlos an: „Es bleibt also dabei!“ stöhnte sie. „Denn eine halbe Million, Was will das sagen!“

Hartinger schien aber guten Muthes. „Kinder, lernt abwarten!“ sagte er. „Mit der Zeit wird sich Alles finden. Deine Sorgen, Trautche, werden zerstreut werden und Du, mein deutsches Mädchen, wirst besser über Manches denken lernen. Stamm’s Name unter dem Manifest verbürgt nur die Uebereinstimmung mit dem Original, nicht Stamm’s Uebereinstimmung mit dem Inhalt. Stamm ist ein Deutscher.“

„Ein Straßburger!“ versetzte Dorothea. „Straßburg gehört zu Frankreich. In hundert Jahren kann sich das Nationalgefühl wohl verlieren. Ich schelte Stamm nicht, aber Schande über die Abtrünnigen von heute!“

Der Vater wurde roth, und er wußte doch, daß seine Tochter ihn nicht dazu rechnete, sonst würde sie das nicht gegen ihn ausgesprochen haben. „Ja, in Mainz hört man Trauriges,“ sagte er. „Es ist schon die Rede davon, daß sie ganz französisch werden wollen, in Speier und Worms sollen schon statt der Bürgermeister Maires eingesetzt sein. Wir müssen darum jeden Schein einer feindseligen Gesinnung meiden und Alles wird gut werden. Eine zweite Deputation soll an Custine abgehen, ich habe die Ehre, dabei zu sein, abgelehnt, da ich mit Sicherheit weiß, daß sie leeres Stroh dreschen wird. Wegen unsers Antheils kannst Du ganz ruhig sein, Gertrud. Warte nur Alles ruhig ab.“

Ganz Frankfurt blieb nichts Anderes übrig, als abzuwarten. Eine Million war in der vom Rath beschlossenen Weise bei dem Reichthum der ersten Häuser leicht zusammenzubringen und mußte abgeliefert werden. Die halbe Million wurde aber nur unter der Bedingung erlassen, daß der Rath dem französischen Feldherrn das schwere Geschütz nebst Munition, welches in den Zeughäusern von Frankfurt vorhanden war, zur bessern Vertheidigung von Mainz ausliefere! Das Schreiben an die „Räthe des Volkes“ hielt diesen zugleich ein verstärktes Sündenregister gegen die französische Nation vor. Zu der ersten Anschuldigung kam noch die, falsche Assignate verfertigt und in Umlauf gesetzt, sowie den Druck einer verleumderischen Zeitung, welche den Geist der Deutschen gegen die französische Constitution aufgebracht, genehmigt zu haben. An einen bloßen Durchmarsch konnte kein Frankfurter mehr glauben; Houchard rückte zwar mit seiner Colonne in der Nacht zum 26. October aus, um weiter zu brandschatzen, aber General Neuwinger hatte sich für längeres Bleiben im „rothen Hause“ auf der Zeil einquartiert. Jene Brandschatzung begleitete, wie eine teuflische Ironie, ein überall verstreuter Aufruf „an die gedrückte Menschheit in Deutschland“! Wahrlich, die ohnmächtigen Regierungen auf dem rechten Rheinufer konnten sich, wie einer unserer ersten und freisinnigsten Geschichtsschreiber sagt, „bei Custine bedanken, daß er es übernahm, das Volk von revolutionären Anwandlungen zu heilen. Der Eindruck der Räuberei in Frankfurt war zu allgemein, als daß die pomphaften Proclamationen von Verbrüderung und Freiheit, von Abschüttelung der Despotie und Rückgabe der unveräußerlichen Menschenrechte sonderlich hätten verfangen können.“

Auch in Frankfurt predigten die Nationalgardisten auf offener Straße Freiheit und Menschenrechte. Nach den Proben, welche die Frankfurter schon von der französischen Großmuth gesehen, war es aber schwierig, sie zu bekehren. Mitten in einer solchen Predigt, welche ein zerlumpter Bürgersoldat aus Dachstein im elsasser Deutsch auf dem Platze Liebfrauenberg hielt, wo das adelige Haus Frauenstein, das Absteigequartier der Kaiser, stand, wirbelte auf einmal der Generalmarsch von der Hauptwache am Heumarkt durch alle Straßen. Der Dachsteiner brach in seinem Sermon, dem nur fremde Bauern und an der Ecke der Judengasse einige zusammengedrängte Hebräer gelauscht hatten, bei dem wohlbekannten Signal ab. „Das sind die Hessen, die Kaiserlichen!“ schrie das Volk, welches immer glaubt, was es wünscht.

„Es iesch der Feind, ‘s wird lätsch geh’!“ murrte der fortreitende Elsasser. „Aux armes!“

Es war der Feind, aber nur der Feind Frankfurts und der deutschen Rheinlande. Während die Franzosen mit Sack und Pack nach dem Alarmplatze auf dem Roßmarkt eilten, die Bataillone sich formirten und die Cavalerie auf der Allee schleunig sattelte, hielt General Custine mit frischen Truppen durch das Bockenheimer Thor seinen Einzug. Der Heumarkt hatte sich mit Menschen gefüllt, welche den Eroberer der Rheinstädte sehen wollten, den neuen Josua, vor welchem die Mauern eines zweiten Jericho gleichsam zusammengestürzt waren. Unangenehm war seine Erscheinung nicht, obgleich ein wildgewachsener Schnurrbart den ehrbaren Bürgern, welche nur an Husaren und Grenadieren, nicht aber an anderen Soldaten, am wenigsten an Officieren, einen Schnurrbart gewöhnt waren, sehr auffiel. Custine saß gut zu Pferde, er hatte den Hut mit den dreifarbigen Federn tief in die Stirn gedrückt und seine lebhaften Augen blitzten mit dem Ausdrucke der Schlauheit nach allen Seiten. Vor der Hauptwache war der Platz von Menschen frei gehalten; hier parirte Custine sein Pferd, sprach ein paar Worte zu einem Mann im rothen, bürgerlichen Rocke, der in seinem Gefolge

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