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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Nachdem Sie deutsche getragen, Herr Stamm,“ entgegnete Dorothea, welche durch seinen Anblick ihre volle Geisteskraft wieder gewonnen hatte.

„Deutsche?“ wiederholte Stamm lächelnd. „Giebt es eine deutsche Uniform? Wenn ich durch Verhältnisse in den Rock des Kurfürsten von Mainz gekommen war, so hatte ich ihn schon vor der Katastrophe ausgezogen und, theure Mademoiselle, ich bin ein Straßburger, meiner Familie nach ein Elsasser, also französischer Bürger! Meine Pflicht war beim Ausbruche des Krieges, dem Vaterlande meinen Degen zu weihen. Gegen Niemand würde ich mich in dieser Weise rechtfertigen, als gegen Sie … Doch nicht deshalb kam ich her, sondern Ihres Herrn Vaters wegen. Ich habe Alles gehört und werde meinen ganzen Einfluß aufbieten, Ihren Herrn Vater zu retten. Sie erschrecken vor dem Worte? Ja, ich kann es Ihnen nicht verschweigen, Sie haben ein starkes Herz! Ihr Vater ist angeklagt, mit den Feinden Frankreichs conspirirt zu haben, ich warnte ihn umsonst …“

„Eine ehrlose Verleumdung!“ rief Dorothea.

„Gewiß! Wenigstens glaube ich es … Aber die Folgen sind bedrohlich und eine Rechtfertigung würde kaum möglich sein. Sorgen Sie aber nicht, theure Doris. Sie haben einen treuen Freund, der für Sie sein Leben opfern würde. Ich bin Custine’s Adjutant, ich werde auf Gefahr meines Kopfes handeln, auch wenn ich von Ihrer Seite keinen Dank zu hoffen hätte.“

„Wie können Sie daran zweifeln!“ sagte Dorothea, von seinen Worten schwer geängstigt.

„Darf ich hoffen?“ rief er entzückt und küßte ihre Hand. „Ah, Madame!“ sagte er, nach der Thür sich wendend, zu der eben eintretenden Frau Hartinger, welche vor der Gruppe wie versteinert stand. „Sie kommen zur guten Stunde. Ich darf keine Zeit verlieren, wenn ich das Schrecklichste verhindern will. Mademoiselle wird Ihnen Alles erklären!“

Er empfahl sich, und die Mutter hörte von Dorothea, was Stamm ihr entdeckt. Sie hatte bei keiner ihrer Freundinnen viel Trost gefunden und gerieth jetzt bei der Mittheilung ihrer Tochter in völlige Verzweiflung. „Sie werden ihn erschießen! Sie werden sein ganzes Vermögen confisciren!“ jammerte sie. „Dein Hermann hat dies ganze Unglück über uns gebracht!“

Vergebens suchte Dorothea sie zu beruhigen, den Vorwurf von dem Vetter abzuwenden und die Hoffnung in ihr zu wecken, daß Stamm, der für den Vater eine solche Freundschaft gezeigt, die ungerechte Verfolgung hindern werde, da er Custine’s Adjutant sei. Die Mutter, deren ohnehin schwache Geisteskräfte jetzt ganz gebrochen waren, hörte kaum auf sie und rang nur die Hände. Es waren traurige Stunden, welche Dorothea mit ihr verlebte, besonders als ein Billet, das sie an den Vater geschrieben hatte, dort nicht abgegeben werden durfte. Diese Verschärfung, wenn sie sich nicht auf alle Sieben erstreckte, die als Geiseln im rothen Hause gehalten wurden, bestätigte Stamm’s Nachricht nur zu sehr. Eine traurige Nacht für die Beiden, welche um den Gefangenen zagten!

Stamm kam folgenden Tages sehr früh. Sein ernstes Gesicht verrieth, daß er selbst die Hoffnung nicht theilte, welche er aussprach. Der General hatte eine Beschleunigung der Angelegenheit versprochen; weiter durfte er sich nicht auslassen, doch stehe die Sache immer noch so schlimm nicht, wie sie vielleicht fürchteten.

„Seien Sie überzeugt,“ setzte er mit einem feurigen Blick auf Dorothea hinzu, „daß mich die Guillotine, die mich dabei selbst bedroht, nicht schrecken wird, die Hoffnungen, die in mir erweckt worden sind, durch meine Thaten zur Erfüllung zu bringen. Nur wenn mir die Rettung des Vaters gelingt, verdiene ich den schönen Preis!“

Die Mutter sah ihn mit ganz verwunderten Blicken an und Dorothea erröthete heiß. In ihrem Herzen regte sich ein Gefühl des Unwillens, durfte sie ihm aber Worte geben? Sie gerieth mit ihrer eigenen Natur in Widerspruch, daß sie die unbegreifliche Täuschung, in welche sich Stamm wiegte, nur einen Augenblick bestehen ließ; aber durfte sie ihn jetzt kränken, wo er vielleicht das Schicksal ihres Vaters in seiner Hand hatte? Dennoch würde sie den richtigen Ausweg aus ihren Zweifeln gefunden haben, wenn ihr Stamm Zeit dazu gelassen hätte; auch diesmal hielt er sich nur ganz kurze Zeit auf. Die Verlegenheit der Mutter, wie der Tochter schonend, ging er für jetzt nicht weiter, sondern sprach wieder von der Großmuth seines Feldherrn, welche sich auch in diesem Falle bewähren werde. Von Custine’s Großmuth wußte man in Frankfurt zu erzählen!

„Dorche,“ sagte die Mutter, als er sich entfernt hatte, „Du böses Kind! Hast mir Alles verschwiegen?“

„Was meinst Du?“ entgegnete Dorothea, deren Stolz sich sträubte, die Mutter zu verstehen.

„Nun, wenn Du freilich den Hermann nicht magst, so trifft sich’s glücklich, daß gerade der Freund unsers Hauses, der unser Glück machen kann –“

„O, kränken Sie mich nicht!“ unterbrach Dorothea heftig bewegt ihre Mutter. „Ob Stamm ein edler und wahrer Freund ist, wird sich zeigen; wie er zu dem Wahne kommt … Gott ist mein Zeuge, daß ich unschuldig daran bin!“

„Aber wenn’s doch so steht, er ist ein hübscher Mann, und angesehen auch, von guter, patricischer Familie aus Straßburg –“

„Ein Feind unsers deutschen Vaterlandes!“ rief Dorothea.

Dafür hatte Frau Hartinger keine Begriffe. „Er kann aber für uns Alles thun. Und wenn Du doch den Hermann …“

„O Mutter, Sie quälen mich!“ sagte Dorothea bittend. „Wenn Stamm wirklich edel ist, wird er für seine hülfreiche That den Preis nicht fordern, den ich ihm nicht gewähren kann. Muß ich denn,“ setzte sie mit gehobener Stimme hinzu, „wenn ich für meinen Cousin nur ein verwandtschaftliches Gefühl habe, durchaus diesem Franzosen zum Opfer gebracht werden?“

„Aber Dein Vater? Willst Du Nein sagen, wenn sie ihn zur Guillotine schleppen, wie Stamm gemeint?“

Die Mutter hatte diesmal doch den empfindlichsten Nerv getroffen; Dorothea senkte das Haupt und verstummte. Sie ließ keinen Blick in ihr Herz thun und die Mutter glaubte, sie überzeugt zu haben. Als nun Stamm sich weder an diesem, noch dem nächsten Tage im Hartinger’schen Hause zeigte und ein neuer Versuch, von dem Vater selbst Mittheilungen zu erlangen, scheiterte; als die Nachforschung, welche bei den Bürgermeistern angestellt wurde, bei der nöthigen Zurückhaltung zu nichts führte: da verdüsterten sich alle Aussichten auf eine glückliche Lösung. Dorothea hatte ihrer Mutter begreiflich gemacht, wie gefährlich es sei, von der Anschuldigung des Vaters irgend etwas verlauten zu lassen, da Niemand davon zu wissen schien, aber darum blieben sie auch in der tödtlichsten Ungewißheit. Entscheiden mußte sich aber Alles in kürzester Frist. Der Bürgermeister Mühl hatte gesagt, daß die erste Million der Brandschatzung fast abgeliefert sei und die Geiseln sodann auf freien Fuß gestellt werden sollten. Zitternd erwarteten Frau Hartinger und ihre Tochter, ob auch der Vater dabei ihnen zurückgegeben würde.

In Dorothea’s kindliche Besorgniß mischte sich aber ein starkes Gefühl des Hasses, wie ihn die Unterdrückung erzeugt. Sie konnte den Gedanken nicht loswerden, daß eine muthige Erhebung des Volkes die Stadt und das Land von ihren Drängern befreien müsse. Auf Hülfe von Kaiser und Reich war seit Jahrhunderten an keiner bedrohten Stelle mehr zu rechnen; die Heere, welche einzelne Fürsten in’s Feld gestellt, um dem unglücklichen König von Frankreich, der zu dieser Stunde noch im Gefängniß schmachtete, zu Hülfe zu kommen, hatten keine Lorbeeren gepflückt und waren fern; nur das Volk, das tapfere, deutsche Volk, wenn es sich ermannte, konnte sich selbst befreien. Aber eine sicilianische Vesper, eine Pariser Bluthochzeit in deutschen Landen? Vor diesem Gedanken schauderte das einsam sinnende Mädchen. Nicht heimtückischer Ueberfall und Mord, nur offene Erhebung zum ehrlichen Kampfe wünschte sie, und daß es in Frankfurt dazu kommen könne, wenn die Franzosen sich mit Gewalt des bei der zweiten Forderung rund abgeschlagenen Geschützes bemächtigen wollten, war ihr nach allen Anzeichen unzweifelhaft.

Endlich wurde Stamm bei Frau Hartinger wieder gemeldet, er kam diesmal mit strahlendem Angesicht, und Dorothea mußte der Mutter beipflichten: er war wirklich ein schöner Mann.

„Freuen Sie sich!“ rief er noch auf der Schwelle. „Der Gatte, der Vater wird Ihnen zurückgegeben werden. Die Untersuchung ist niedergeschlagen.“ Dorothea’s Auge traf ihn bei diesem Worte so mächtig, daß er das seinige senken mußte, ihm war, als dränge ihr Blick bis auf den Grund seiner Seele und lasse sich nichts mit arglistigen Künsten verhüllen. Er fuhr aber schnell fort: „Noch heut wird Herr Hartinger mit den übrigen Männern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_371.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)