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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 25.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


In’s Auge Deinem Kinde!


Lähmt Dir die schwerste aller Ketten,
Die Alltagsnoth, des Geistes Kraft,
Hast Du, die Deinen warm zu betten,
In Sorgen Tag und Nacht geschafft,

5
Und kommt kein Hoffnungshauch, der linde

Das bange Vaterherz durchweht,
Dann schau in’s Auge Deinem Kinde,
Das kräftigt Dich, wie ein Gebet!

Wenn Dich ein falscher Freund verrathen,

10
Dem Du vertraut in Lust und Leid,

Wenn Deines Lebens beste Thaten
Verleumdung Dir entstellt und Neid,
Und wenn die Welt ringsum, die blinde,
Dein treustes Wollen nicht versteht,

15
Dann schau in’s Auge Deinem Kinde,

Das tröstet Dich, wie ein Gebet!

Und denkt Dein Herz in bittrer Reue,
Wie kalt Du fremdes Glück zerstört,
Wie Du das Wort der Lieb’ und Treue

20
In eitlem Wahn oft überhört,

Legt sich der Schmerz wie eine Rinde
Ums Herz Dir, daß es fast vergeht,
Dann schau in’s Auge Deinem Kinde,
Das löst Dein Leid wie ein Gebet!

Ludwig Bauer.




Der Frankfurter Advent.
Historische Novelle von Bernd von Guseck.
(Schluß.)
6.


Custine hatte Frankfurt mit seinem Stabe wieder verlassen und Stamm, der zu seinen Adjutanten gehörte, war ihm, nachdem er noch einen Tag mit Urlaub zurückgeblieben, gefolgt. Er hatte mit Hartinger, den er am Morgen nach seiner Freilassung besuchte, ein kurzes Gespräch gehabt und dann das Haus mit dunkelgeröthetem Gesicht verlassen, so daß es den Leuten, welche eben auf der Zeil vorübergingen, auffiel. Er hatte sogar den Hut, ohne es zu merken, verkehrt auf den Kopf geworfen.

„Der hat genug!“ sagte einer der müßigen Gesellen, welche – es war Sonntag – in einem Rudel an der Ecke der nächsten Gasse standen. „Muß ihm brav eingeschenkt worden sein bei dem Herrn Senator!“

Das war auch der Fall gewesen, wenn schon in einem andern Sinne, als Martin Sperber, der Schlossergesell, meinte. Was aber der Rathsherr mit dem Elsasser gesprochen hatte, erfuhren selbst seine Frau und Tochter nicht. „Er wird Dir’s auf’s Conto schreiben!“ seufzte die erstere. „Ach! Wenn doch nur ein Ende abzusehen wäre!“

Dem schien nicht so. Die Franzosen richteten sich darauf ein, Frankfurt wie Mainz dauernd zu behaupten. Magazine wurden angelegt, die wichtigsten Punkte der Gegend durch Verschanzungen gedeckt. Außer der Contribution forderte Custine von dem Reichs-Oberpostamt noch zweimalhunderttausend Gulden, ebensoviel von der Judengasse. Die Frankfurter Bürgerschaft blieb aber unerschrocken und treu. Sie überreichte Custine eine Schrift, welche alle Zünfte und Gewerke, Mann für Mann, mit wenigen Ausnahmen unterschrieben hatten, als Widerlegung seiner Manifeste, die von Bedrückung gesprochen hatten. In dieser Eingabe ließ sich die ganze Verfassung von Frankfurt, kurz und klar dargestellt, mit einem Blick übersehen. Es war gesagt, daß der Rath aus der Mitte der Bürgerschaft gewählt, sogar zum dritten Theile mit Handwerkern besetzt sei; daß der Verwaltung der öffentlichen Cassen Bürger zur Seite ständen und von Zeit zu Zeit der gesammten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_385.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)