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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

liebenswürdig konnten diese Patienten sein und wie niedlich standen ihnen die zierlichen Morgenhäubchen, die faltenreichen Negligékleider und die kleinfüßigen Saffianschuhe, die kokett unter dem Rocke hervorguckten! Jedes Weib ist geborene Schauspielerin, man könnte sie alle miteinander von der Wiege gleich auf’s Theater schicken, wenn sie sich nur dann auch gäben, wie sie sind, und nicht so zu sagen überschauspielerten, d. h. zehn Rollen auf einmal darstellten! Zuweilen deutete auch eine ehrbare Matrone darauf hin, es sei doch für manche Krankheiten sehr unangenehm, einen unverheiratheten Arzt beizuziehen; ein solcher stehe der Familie etwas fern. Ich verstand vollkommen, – daß sie eine Tochter hatte.

Bei diesem Kriege sind, wie beim wirklichen, die Kriegslist und der diplomatische Betrug erlaubt. Alles vereinigt sich und jedes Mittel gilt, eine Tochter zur Frau zu machen. Allein ich fand auch Bundesgenossen, denn außer jeder Einzelnen standen mir die Uebrigen wieder gegen diese bei, indem sie die weithin treffende Kraft ihrer vernichtenden Artillerie bethätigten. So blieb ich beschirmt und fühlte keine Rührung im Herzen.

Eines Tages besuchte ich einen Maskenball. Das war noch eine Gelegenheit für mich, meinem Vergnügen nachzugehen, denn bei gewöhnlichen Bällen, konnte ich den Verfolgungen der liebenswürdigen Schönen nicht entrinnen. Ich hatte mich möglichst unkenntlich gemacht und erlaubte mir, etlichen Damen, die sich im Gegentheil möglichst bemüht hatten, sich kenntlich zu machen, ihre Liebenswürdigkeit gegen mich mit Spöttereien zu vergelten. Sie hatten keine Idee davon, wer hinter der Maske stecken möge, denn als Arzt war ich, woran natürlich Niemand zweifeln wird, stets die Liebenswürdigkeit selbst; sie glaubten, es müsse irgend ein gänzlich Unbekannter sein, der sich solche Freiheiten herausnahm, und flohen vor mir in die fernsten Ecken. Ich amüsirte mich höchlich darüber und äußerte dies, wie ich glaubte, unbeobachtet, gegen einen Bekannten. Gleich darauf aber redete mich eine schlanke Rococofigur, die wie zufällig am Arme einer Andern an mir vorüberging, mit einem Vers an, der ungefähr lautete:

„Am Tageslicht erscheinst Du spröde,
Die Maske zeigt Dich nicht so blöde,
Sie demaskirt Dich nur als schnöde.“

Etwas verblüfft, faßte ich mich doch schnell und die gute Laune gab mir sogar eine poetische Antwort ein oder wenigstens eine gereimte, denn die Poesie kann ich nicht als meine Gabe rühmen. Ich sagte:

„Uebel, schöne Maske, that ich
Und Verzeihung hoff’ ich blos;
Deine Güte, das errath’ ich,
Ist ja sicher nur zu groß.“

Sogleich war auch ihre Antwort fertig, sie entgegnete:

„In der Hoffnung, sonst im Leben
Ueberall Dir auszuweichen,
Kann ich heute Dir vergeben
Und die Hand zum Frieden reichen.“

Mir ging dabei etwas der Dampf aus und meine poetische Begabung hatte ich mit der ersten Antwort schon stark erschöpft. Es war mir daher sehr lieb, nach dieser Friedenserklärung wieder zur Prosa übergehen zu können. Inzwischen hatte ich mir auch diese jugendliche Dame aus vorigem Jahrhundert etwas näher betrachtet. Es war eine zierliche Gestalt, schlank und doch rundlich, mittelgroß, ein reizendes Köpfchen, von dem ich freilich der Larve und des Puders wegen nichts als wenige Contouren wahrnehmen konnte. Ich hatte keine Ahnung, wo mir dieses Dämchen begegnet sei, auch die Stimme, die sie übrigens verstellte, schien mir nicht bekannt. Neugierig, wer diese Sappho sein möge, reichte ich ihr meinen Arm und führte sie im Saale umher. Recht kokett hing sie sich ein, steigerte meine Neugier und plagte mich mit tausend Neckereien. Offenbar war sie fein erzogen, allerliebst war ihr Humor. Wer mochte es nur sein? Ich bekam’s nicht heraus. Um wenigstens einen Theil ihres Gesichts sehen zu können, reichte ich ihr, an’s Büffet tretend, ein Glas Champagner; sie trank es aus auf meine ‚Zukünftige‘, hielt sich aber den Kinnbart fest zu, so daß ich nicht mehr sehen konnte, als vorher. Ich führte sie weiter und frug: „Sehe ich Dich wieder, schöne Maske?“

„Willst Du’s denn, Herr Weiberfeind?“

„Nun, ich meine blos dann und wann!“

„Sehr schmeichelhaft. Aber ich wünsche Dich durchaus nicht zu sehen. Denn ich bin nicht gern krank.“

„Als ob ein Arzt nur Kranke sehen könnte!“

„Du hältst doch jedes weibliches Wesen für eine Kranke.“

„Desto lieber ist’s mir, einmal ausnahmsweise eine Gesunde zu sehen.“

„Aber ich fürchte mich, einen Doctor zu sehen, der mich wie eine Kranke behandelt und ein mechanter Mensch ist. Adieu bis auf’s Todtenbett!“

Und plötzlich löste sie sich aus meinem Arme, mischte sich unter eine dichte Masse und verschwand, ich bekam sie nicht wieder zu Gesicht, obwohl ich eifrigst nach ihr suchte.

So ein Erscheinen und Verschwinden hat etwas Ueberirdisches, Feenhaftes, und die unbekannte Sappho wurde meine stille Fee; sie kam mir nicht mehr aus dem Sinne. Wo ich nur hingerufen wurde, spähte ich nach ihr aus, in jeder Gesellschaft suchte ich sie. Nirgends fand ich etwas Aehnliches. Zu meinen gewöhnlichen Kreisen konnte sie nicht gehören, hin und wieder aber war ich fast in jedes Haus der Stadt gekommen.

Beinahe ein halbes Jahr war vergangen, schon wurde die Erinnerung schwächer, schon glaubte ich, das Opfer einer boshaften Mystification gewesen zu sein. Woher wußte ich denn, daß meine Dame jung und hübsch war, wie ich meinte? Konnte ich mich nicht auch darüber getäuscht haben, daß ich sie für fein erzogen und gebildet hielt? Es wollte nur aber doch nicht zu Sinne, daß ich mich so geirrt haben sollte, und Eins war jedenfalls auffallend und sprach dagegen: Niemand wußte von der Begegnung, Niemand hatte erfahren, daß ich’s gewesen war, der so vielen Schönen fatale Herbheiten gesagt hatte und auf den sie sehr aufgebracht waren. Das bedeutete etwas. So verschwiegen ist keine Dame, die nicht liebt, die sich nur den Spaß macht, einen Mann zu mystificiren. Aber wie konnte ich damit zusammenreimen, daß sie mich so wenig suchte, ja umgekehrt vermied?

Da ward ich eines Abends zu einem alten pensionirten Major gerufen. Ich traf den Mann bedenklich krank an einer Lungenentzündung, die selten, am wenigsten beim Alter des Majors, gefahrlos ist. Ich verordnete einige Mittel und empfahl vor Allem Ruhe und sorgfältige Pflege. Der Major wies auf ein Mädchen; seine Tochter sei dazu doch wohl genug. Erst dadurch wurde ich auf das Mädchen aufmerksam, das ich vorher für eine Dienstperson gehalten hatte, denn es war mehr als einfach angethan. Sie erröthete, da ich meine Augen auf sie richtete. Ich frug, ob ihre Kräfte ausreichen würden. Sie erwiderte, das verstehe sich von selbst und sie werde ihren Vater nicht von Fremden pflegen lassen. Die Antwort gefiel mir; ein echtes Soldatenkind, dachte ich im Stillen, auch schien mir die Stimme nicht unbekannt, aber ich war zu sehr mit dem Kranken beschäftigt, um darauf zu achten, und das Mädchen stand zu sehr in der Tiefe des spärlich beleuchteten Zimmers, als daß ich seine Gestalt und Züge genau hätte in’s Auge fassen können. Ich schärfte meine Vorschriften noch einmal nachdrücklich ein und empfahl mich. Als ich im Wagen saß, fiel mir die Stimme wieder ein und einen Augenblick dachte ich an meine Maske, aber ich mußte gleich wieder bei einem Patienten vorfahren und hatte keine Zeit, den Gedanken weiter zu verfolgen.

Am andern Tage wiederholte ich meinen Besuch beim Major. Es hatte sich mit ihm ein wenig gebessert und nach einem kurzen Verweilen stand ich im Begriffe, mich zu entfernen, da ich noch viele Patienten zu besuchen hatte, als die Tochter des Majors noch eine Frage an mich richtete. Sie war heute etwas sorgfältiger als gestern, aber immer noch bescheiden gekleidet. Wieder und bestimmter mußte ich der Maske gedenken. Aber wie sollte dieses Mädchen, das ich mich außerdem gar nicht gesehen zu haben erinnerte, auf den Einfall gerathen sein, mit mir Maskenscherz zu treiben? Halb verwundert, halb neugierig sah ich ihr bei meiner Antwort fest in’s Auge; sie erröthete und blickte zu Boden. Die ganze Erscheinung hatte etwas Frappantes, das meine Erinnerung immer lebendiger erregte. Es war ganz die Figur meiner Maske, so frisch mußte deren Trägerin sein. Eine offene Stirn, ein helles braunes Auge, volle braune Flechten, ein rother Mund voll kleiner weißer Zähne, eine leichte und graciöse Haltung, eine blühende Gesichtsfarbe, ein lustiges ungefüges Stumpfnäschen.

Dies Mal wurde ich meinen Gedanken nicht so schnell los, er ging mir beständig im Kopfe herum, und es war ja auch wieder ein neues Räthsel, eine neue Spannung. Unwillkürlich machte ich dem Major ein paar Besuche mehr, als durchaus nöthig

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