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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Stillgestanden!“ commandirte Jakob Schulz, den das zweibeinige Roß gehorsam vom rechten zum linken Flügel trug.

„Nehmt die Richtung auf, Ihr Sacramenter! Er da, ich glaube, Er ist zu Hause Oekonom gewesen, will Er nicht so gut sein und den übermäßigen Bauch etwas einziehen? Da soll der Kuckuck eine genaue Richtung aufnehmen! Der dritte Mann mit der langen Nase zurück! Der Schneidergeselle auf dem linken Flügel vor! Er kann sich noch immer hinter seinem Nebenmann verstecken, wenn die Kugeln pfeifen.“

Jakob Schulz schien anfangs vorzuhaben, sich auf seinem zweibeinigen Roß dem Commandeur des Landwehrbataillons vorzustellen, der kaum hundert Schritte entfernt sich mit den Officieren unterhielt und das Treiben der kleinen Schaar nicht bemerkte, aber er zog es vor, den Metzgergesellen von seiner Pflicht zu entbinden und auf des Schusters Rappen sich dem gestrengen Herrn zu nähern.

„Melde mich zur Stelle,“ sagte er, als er vor dem Major stand, „ein Unterofficier und sechsundzwanzig Mann.“

Der Blick des Majors ruhte mit Wohlgefallen auf der kräftigen Gestalt des ehemaligen Hausknechts.

„Sie sind Unterofficier?“ fragte er.

„Unterofficier Jakob Schulz.“

„Und Sie haben diese Leute hierher geführt?“

„Zu Befehl, Herr Oberstwachtmeister!“

„Na, Alles in Ordnung hergegangen?“

„Alles. Es befinden sich nur noch Einige unter ihnen, die ihrer Mutter Vorrathsstube nicht vergessen können.“

„Sind Sie verheirathet?“ fragte der Major lächelnd, der an dem Manne Gefallen zu finden schien.

„Nein, aber ich war Hausknecht.“

„Hm, dann wird Ihnen die Einberufungsordre keinen Kummer bereitet haben.“

„Mir nicht, aber meinem Principal und seinem Herrn Commis, die Beide als Gemeine demüthigst in meiner Corporalschaft den Wechsel der Dinge empfinden werden.“

Der Major winkte. „Treten Sie ein mit Ihrer Mannschaft, „sagte er; „Sie scheinen Humor zu besitzen.“

„Zu Befehl, Herr Oberstwachtmeister,“ erwiderte der Unterofficier, „der Humor hilft über Alles hinweg.“

Peter Schmitz verließ seinen Principal nicht, er folgte ihm auf Schritt und Tritt, war doch der Materialwaarenhändler die einzige befreundete Seele, die er unter der großen Menge besaß. Aber vor ihm, hinter ihm und neben ihm standen auch noch Leute und er konnte ihnen nicht verbieten, daß sie ihn zur Zielscheibe ihres mitunter derben Spotts wählten. Seitdem der leichte Rausch verflogen war, hatte der Muth des jungen Mannes wieder einer gelinden Verzweiflung Raum gegeben, er gedachte seiner Braut, die mit fieberhafter Ungeduld seiner Rückkehr harrte. Er klammerte sich an die Hoffnung, daß man ihn dienstuntauglich erklären werde, wie der Ertrinkende sich an den Strohhalm klammert, durch den er sein Leben zu retten hofft.

„Wie steht’s?“ fragte Schulz, der, während die Namen verlesen wurden, bald mit diesem, bald mit jenem Cameraden einige Worte wechselte. „Ist der Muth Ihnen schon wieder entfallen?“

„Mir scheint, Sie haben den Humor auch schon verloren,“ erwiderte Schmitz.

„Bah, glauben Sie, er sei erzwungen gewesen? Halten Sie den Kopf oben; durch Ihren Trübsinn ändern Sie die Sache nicht, durch den Humor gewinnen Sie ihr eine heitere Seite ab, und das ist schon viel werth. Sie waren ja vorhin so vergnügt!“

„Das that der Münsterländer,“ sagte der Materialwaarenhändler.

„Ach ja,“ fuhr Schmitz fort, „leider ist der Krug geleert und auch in meiner Flasche findet sich kein Tropfen mehr, aber ich will die Flasche drüben füllen lassen.“

„Zurück!“ rief der Infanterie-Sergeant, als Schulz den Versuch machte, den Platz zu verlassen. „Sie müssen hier bleiben, bis es dem Bataillon erlaubt wird, die Quartiere aufzusuchen.“

„Lieber Freund, ich komme ja wieder,“ wandte Schulz ein. „Ich will nur die Flasche füllen lassen, denn sehen Sie, wenn der Mensch auswendig naß wird, soll er es auch inwendig werden, weil er es sonst nicht auszuhalten vermag.“

Der Sergeant schüttelte den Kopf; Schulz trat zurück.

„Das ist unangenehm,“ sagte er, „aber der Mensch soll in den Zeiten der Noth nicht verzagen.“

Er blickte sich um; jenseit des Canals standen die Zuschauer noch immer. Der Unterofficier besann sich nicht lange, er hielt die leere Flasche empor und schleuderte sie darauf über den Canal hinüber.

„Wollte die Infanterie Sie nicht durchlassen?“ fragte in diesem Augenblick ein bärtiger Landwehrmann den Unterofficier.

„Nein, Niemand darf den Platz verlassen,“ erwiderte Schulz.

„Aber drüben ist meine Frau.“

„Wo?“

„Sehen Sie dort auf der anderen Seite des Canals die beiden Frauen? Ich muß zu ihr; sie hat den weiten Weg gemacht, um noch einmal Abschied von mir zu nehmen.“

„So versuchen Sie’s.“

Der Landwehrmann ging; er kehrte gleich darauf mißmuthig zurück, und zwar in demselben Augenblick, in welchem die gefüllte Flasche des Unterofficiers über den Canal zurückgeworfen wurde.

„Nun?“ fragte Schulz, während er seinem ehemaligen Vorgesetzten die Flasche reichte.

„Man will mich nicht durchlassen.“

„So müssen Sie sich gedulden.“

„Das ist hart, sehr hart.“

Schulz zuckte die Achseln. „Können Sie schwimmen?“ fragte er.

Der Landwehrmann bejahte.

„Na, der Canal ist doch wahrhaftig nicht so breit wie der Rhein und naß sind Sie ohnedies bis auf die Haut.“

Der Landwehrmann nickte zustimmend und sprang, ehe die Soldaten es verhindern konnten, in den Canal. Er schwamm hinüber, umarmte seine Frau und kehrte nach wenigen Minuten auf demselben Wege zurück.

„Sehen Sie, das nenne ich Muth,“ sagte Schulz, „aber nun geben Sie Acht, unser kleines Contingent wird verlesen.“

Das Bataillon war formirt, der Major forderte alle Diejenigen, die sich dienstuntauglich hielten, auf, vorzutreten.

Peter Schmitz und dessen Principal befanden sich unter denen, die dieser Aufforderung Folge leisteten.

Der Unterofficier blickte ihnen, als sie zur Caserne abmarschirten, in welcher der Arzt ihrer harrte, kopfschüttelnd nach.

In der Seele Peter’s war die Hoffnung neu erwacht; er glaubte in diesem Augenblick selbst, ein unheilbares Uebel zu besitzen. Er war einer der Ersten, welche untersucht wurden. Der Arzt blickte ihn eine geraume Weile forschend an.

„Wo fehlt’s?“ fragte er kurz angebunden.

„In der Brust,“ erwiderte Peter leise mit zitternder Stimme.

„Hm, unter Hundert, die sich zur Untersuchung melden, leiden in der Regel neunundneunzig an Schwindsucht,“ fuhr der Arzt fort, während er bedächtig eine Prise nahm. „Sie haben wohl auch die Schwindsucht?“

„Ich glaube, ich habe sie schon vor einigen Jahren einmal gehabt.“

„In der That? Ah, wenn Sie damals curirt wurden, wird man Sie auch jetzt curiren können.“

„Aber ich fühle mich vollständig unfähig, einen weiten Marsch zu machen,“ wandte Schmitz ein, „ich habe stets Seitenstechen und Brustschmerzen, Athemnoth und Husten.“

„Sie armer Schelm!“ spottete der Arzt, während er die Brust des jungen Mannes untersuchte.

„Man hat mir schon oft gesagt, daß ich an der Schwindsucht leide,“ fuhr Peter, durch die Antwort des Arztes, in der er den Spott nicht herausfand, ermuthigt, fort; „ich sehe auch stets leidend und angegriffen aus.“

„Lieber Freund, man legt weniger Werth auf den Anstrich, als auf den soliden Bau,“ erwiderte der Arzt. „Haben Sie Familie?“

„Meine Eltern und zwei Brüder.“

„Keine Frau?“

„Nein, aber ich gedenke in der nächsten Zeit zu heirathen.“

„Dann trösten Sie sich mit denen, die Weib und Kinder zurücklassen müssen, und marschiren Sie getrost mit.“

Betroffen blickte Peter’ den Arzt an. „Ich bin also tauglich?“

„Wäre Jeder so tauglich wie Sie, dann würden die Lazarethe weniger in Anspruch genommen werden.“

„Aber ich habe auch schon an Rheumatismus gelitten.“

Der Arzt öffnete die Thür. „Unterofficier, führen Sie den Mann zum Bataillon zurück,“ sagte er kurz angebunden, „und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_408.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)