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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

was Sie betrifft, so rathe ich Ihnen, keine weiteren Versuche anzustellen, das Leben im Lazareth kann unter Umständen sehr unangenehm gemacht werden.“

Die Hoffnung war geschwunden, die Braut Peter’s harrte vergeblich der Rückkehr ihres Verlobten. Aber die Cameraden sollten keine Ursache haben, ihn abermals zur Zielscheibe ihres Spottes zu wählen; Peter Schmitz trat mit erhobenem Haupte und einem Lächeln auf den Lippen, welches seinem Denken und Fühlen allerdings fremd war, in die Reihen zurück. Vorzüglich fürchtete er die beißenden Bemerkungen des ehemaligen Hausknechts, indeß enthielt dieser sich des Spotts.

„Fehlgeschlagen?“ fragte Schulz.

„Ja, ich hatte es nicht erwartet,“ erwiderte Peter mit erzwungener Ruhe; „nun mir aber der Arzt gesagt hat, daß ich körperlich gesund sei, will ich gerne die Muskete tragen.“

Der Unterofficier zuckte die Achseln, er wußte, wie er diese Antwort zu nehmen hatte. Die Quartierbillets wurden jetzt ausgegeben; Schulz und Schmitz erhielten eine Anweisung auf ein sogenanntes Massenquartier, in welchem fünfundvierzig Mann gespeist und beherbergt werden sollten.

„Wenn Sie den Principal noch einmal sehen und ihm Grüße mitgeben wollen, so kommen Sie heute Abend an den Bahnhof,“ sagte Schulz im Laufe des Nachmittags zu seinem Cameraden, „ich habe gehört, er sei wieder entlassen und werde mit dem vorletzten Zuge heimkehren.“

„Entlassen?“ Der Neid regte sich in der Seele des Jünglings.

Als die Beiden am Abend zum Bahnhof kamen, stand der Zug schon zur Abfahrt bereit, der Materialwaarenhändler saß bereits im Coups zweiter Classe und blickte stillvergnügt den blauen Dampfwölkchen seiner Cigarre nach.

„Wie haben Sie das nur angefangen?“ fragte Peter unmuthig.

„Lieber Freund, es ist die einfachste Sache von der Welt, ich bin so glücklich, eine Krampfader zu besitzen.“

„Eine Krampfader? Davon habe ich nie etwas gewußt.“

„Glauben Sie, ich sei verpflichtet gewesen, das an die große Glocke zu hängen?“ erwiderte der Materialwaarenhändler. „Gehen Sie getrost mit; vorläufig haben Sie nichts zu verlieren, ich werde Ihre Braut von Ihnen grüßen und Sie, soviel ich kann, unterstützen. Adieu!“

Der Inspector gab das Zeichen, die Locomotive pfiff, der Zug setzte sich in Bewegung. Peter Schmitz blickte ihm nach, bis der letzte Waggon seinem Blick verschwunden war, dann kehrte er, Arm in Arm mit dem ehemaligen Hausknecht, in sein Quartier zurück.

E. A. K.




Ein Tag in Bukarest.


Als in der in der Geschichte Rumäniens ewig denkwürdigen Nacht vom 11. Februar 1866 unter dem kühnen Handstreich einiger Verschworener in Bukarest die Regierung des Fürsten Kusa zusammengebrochen war, befahl die Statthalterschaft am andern Morgen, die Buskarie, das Straf- und Untersuchungsgefängniß in Bukarest, zu öffnen und genau zu untersuchen. Und was fand man dort? Man fand unter einer Bande von Gesindel und Spitzbuben, welche wegen aller möglichen gemeinen Verbrechen verurtheilt waren, einige fünfzig Männer vor, welche niemals vor einem rumänischen Gerichtshofe gestanden, sondern sich nur des Verbrechens der „Mißlichkeit“ oder „Mißliebigkeit“ gegen die Kusa’sche Regierung schuldig gemacht hatten, sowie man fast hundert Räuber und Diebe nicht vorfinden konnte, welche wegen Mordes, Raubes, Diebstahls, Erpressung und Nothzucht rechtskräftig von rumänischen Tribunalen zu langwierigen Kerkerstrafen verurtheilt waren, obschon die Gefängnißverwaltung sie in den Präsenzlisten sämmtlich als anwesend aufgeführt hatte. Der Befund war recht charakteristisch für eine Regierung, welche in den sechs Jahren ihres Bestehens aus der Unterschlagung, aus dem Diebstahl von Staatsgeldern, aus der Verderbniß der Beamten in der Justiz und in allen Fächern der Verwaltung, aus der Vernachlässigung aller volkswirthschaftlichen Interessen des Landes, aus der täglichen Verletzung aller constitutionellen Freiheiten, aus der Vergewaltigung aller sich ihr widersetzenden Elemente und einer grundsätzlichen Liederlichkeit ein förmliches Geschäft gemacht hatte. Die Geschichte jener unglücklichen Länder an der untern Donau, welche man heute nach ihrer staatlichen und politischen Vereinigung mit dem uralten Namen ihrer eigentlichen Bewohner, die ihre Abstammung von der lateinischen Race, von den Römern, herleiten, mit dem Namen „Rumänien“ bezeichnet, ist so voller Gewaltthaten aller Art wie die Geschichte weniger Völker in Europa; aber selbst in dieser Leidensgeschichte Rumäniens bildet die Regierung Johann Kusa’s ein Blatt, welches in Verderbniß Epoche machen kann. Die Buskarie in Bukarest hat die Opfer dieser Regierung gesehen, sowie sie heute den mächtigsten Minister und ersten Günstling des vertriebenen Tyrannen in ihre Mauern aufgenommen hat. Cäsar Liebrecht, gewesener Kammerdiener, Kellner, Kuppler, dann Generalpostmeister und Generaldirector des Telegraphenwesens in der Moldau und Walachei, Major in der Armee, besonderer Liebling und Günstling Kusa’s, während seiner sechsjährigen Regierung der mächtigste Mann und der größte Spitzbube Rumäniens, büßt dort seine zehnjährige Kerkerstrafe ab, zu der er wegen zahlloser gemeiner Verbrechen nach dem Sturze seines Beschützers verurtheilt worden ist. Eine rächende Nemesis waltet seit mehr als einem halben Jahrhundert in der Geschichte Europas; sie hat auch Cäsar Liebrecht getroffen.

In Begleitung eines Freundes, des Generalinspectors der Straßen und Wegebauten in der Walachei, Herrn Weirach’s, eines jener Pioniere deutscher Cultur und Civilisation im östlichen Europa, dem ich während meines kürzlichen Aufenthalts in den Donaufürstenthümern für meine Studien der dortigen Verhältnisse außerordentlich viel zu verdanken habe, wanderte ich durch die holprigen Straßen von Bukarest, um einen Besuch in der Buskarie zu machen. Die Buskarie befindet sich am südlichsten Ausgangspunkte der großen Stadt, welche bei einer Einwohnerzahl von zweimalhunderttausend Menschen mit ihrer ausgedehnten orientalischen Bauart, mit ihren Gärten, wüsten Plätzen, weitläufigen, dörflichen Vorstädten vielleicht einen größeren Flächenraum als Paris einnimmt, in der Nähe jener großen Casernen, welche Kusa auf einer Bodenerhöhung erbauen ließ, um sie nöthigenfalls als Zwing-Uri gegen die aufrührerische Stadt zu verwenden. Unser Spaziergang führte uns durch einen großen Theil der sonderbaren Stadt, welche in ihrer Bauart, in ihrer Lebensweise, in ihren Genüssen und in ihren Lastern den Orient und den Occident in sich vereinigt.

Da war von einer gewissen Regelmäßigkeit in der Straßenanlage nur im Innern der Stadt die Rede, aber selbst auch hier standen einstöckige Baracken, wie man sie in allen orientalischen Städten sieht, neben im modernen europäischen Geschmack aufgeführten Palästen, deren vergoldete Fensterbalcone zwischen reizenden Gartenanlagen mit duftigen Rasenplätzen, bunten Blumenbeeten und eleganten Springbrunnen und prächtigen Baumgruppen im Reflex der orientalischen Sonne schimmerten, zwischen Trümmerhaufen niedergerissener und verfallender Gebäude und am Rande wüster Plätze, deren Boden nicht einmal geebnet war. Eine Kirche im byzantinischen Geschmack war soeben fertig geworden; aber man hatte nicht einmal die Baracken und das Gerümpel fortgeräumt, welches ihre Seiten in der häßlichsten Weise entstellte. Tiefe Pfützen standen mitten in der Straße; Trottoir fehlte meist gänzlich, oder, wo es ausnahmsweise vorhanden, war es so schmal wie ein Gedanke, oder so holprig wie ein Knüppeldamm.

Wir betraten einen großen, mit schattigen Bäumen bepflanzten Hof. Ringsum erhoben sich prächtige Gebäude mit säulengetragener Vorhalle. Die prächtigen Gebäude bildeten das große Spital, welches der Fürst Brancowan erbaute und reich dotirte. In der Errichtung und Gründung von Wohlthätigkeitsanstalten hat sich die rumänische Aristokratie immer ausgezeichnet. Kaum hatten wir den weitläufigen Gebäudecomplex auf der andern Seite verlassen, so standen wir auf einem wüsten Platze, dessen Ränder die Trümmer eines klosterartigen Gebäudes bedeckten, während sich in seiner Mitte eine sonderbare, kleine Capelle erhob, in deren sonderbar geformten Säulen und mit bunten Bildern und Stuccatur bedeckten Wänden ein bestimmter Baustil ganz unerfindlich war. Es waren die Trümmer eines Klosters, mit dessen Abbruch man sich beschäftigte, um die ehemals geheiligten Räume als Baustellen zu verkaufen. Ein mit vielem Geschmack angelegter Garten umgab

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_409.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)