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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

mitten in die Brust geschossen hatte. Der Buschwächter wurde hierauf nach einigen glücklicherweise in der Nähe befindlichen Holzfällern geschickt, um mit ihrer Hülfe unsere schwere Beute aus dem Walde zu schaffen, und wir vertrieben uns unterdessen im Walde die Zeit damit, daß wir uns das mitgebrachte kräftige Frühstück nebst obligatem Portwein trefflich schmecken ließen. Trotz der Kälte, die übrigens mit dem Vorrücken des Tages bedeutend nachgelassen hatte, war unsere Stimmung eine so behagliche und heitere, wie es nur nach einer vollbrachten glücklichen Jagd der Fall sein kann. Scherzend unterhielten wir uns über das soeben erlebte Abenteuer und fast schien es uns, als ob wir die Größe der dabei überstandenen Gefahr ursprünglich bedeutend überschätzt hätten. Diese übermüthige Laune wies jedoch Reinfeldt sehr bald in ihre richtigen Grenzen zurück, indem er trocken die kurze Bemerkung hinwarf, daß er gegenwärtig wahrscheinlich nicht das Vergnügen haben würde, mit uns einen Becher Wein zu trinken, wenn sein zweiter Lauf versagt, oder wenn seine Kugel den allein richtigen Zielpunkt, den weißen Fleck auf der Brust des Bären, um ein Weniges gefehlt hätte. In beiden Fällen war rechtzeitige Hülfe von unserer Seite schwer möglich, weil wir wegen der weiten Entfernung von unserem Genossen Anstand nehmen mußten zu schießen, um nicht statt des Bären den Freund zu treffen und nach bewerkstelligter größerer Annäherung letzterer sich möglicherweise schon in den Armen der Bestie befinden konnte. Bei Erwägung aller dieser Möglichkeiten leuchtete uns denn auch ein, daß es viel gefahrloser und daher richtiger ist, dem Bären, wie in Livland allgemein üblich, nur vermittelst großer Treibjagden nachzustellen, und daß nur sehr geübte Schützen, welche sich auf ihr Gewehr und auf die Festigkeit ihrer Nerven hinlänglich verlassen können, es wagen dürfen, Meister Braun in seiner eigenen Häuslichkeit anzugreifen. Dessenungeachtet aber muß ich behaupten, daß die Art den Bären zu jagen, wie ich sie oben beschrieben, jedem echten Jäger am meisten zusagen muß, denn es ist, abgesehen von der größeren Gewißheit zum Schusse zu gelangen, jedenfalls mannhafter und aufregender den Bären in seinem eigenen Lager aufzusuchen und dort einen ehrlichen Kampf Mann gegen Mann mit ihm auszufechten, als auf einer großen Treibjagd dem von aller Welt Gehetzten und auf eiliger Flucht Befindlichen aus dem Hinterhalte eine Kugel nachzuschicken und dabei noch das ruhige Bewußtsein zu haben, daß bei einem etwaigen Fehlschusse noch zwei oder drei Nachbarn bereit sind, dem ungeschickten Schützen aus der Patsche zu helfen.

M. S.




Blätter und Blüthen.


Instinct? Das Gut des mir durch seine Söhne befreundeten Rathsherrn S. liegt in unmittelbarer Nähe der Stadt Burg. Die weitläufigen Wirthschaftsgebäude ziehen sich theils längs der Landstraße, einer belebten Promenade, theils an einem erlenbesäumten Flüßchen hin, welches gleichzeitig das Rad der zum Gute gehörigen Mühle treibt. Das Flüßchen erweitert sich hinter dem Mühlrad zu einem kleinen Teiche, welcher den Saum des großen Amthofes einfaßt. Dieser Teich bildet natürlich den Tummelplatz der die Hofräume mit Geschnatter und weithin hörbaren Rufen durchziehenden Schaaren von Enten und Gänsen, und einen wahrhaft komischen Anblick gewähren zur Mittagszeit die von dem muthwilligen Enten in dem nassen Element ausgeführten Capriolen, auf welche die vornehmeren Gänse mit nicht zu verkennender Geringschätzung herabblicken.

Ein Prachtexemplar von einem Gänserich, ein wilder, kriegerischer Gesell, befindet sich unter diesem Geflügel und seine tollen Streiche, wie Zweikampf, weites Entfernen vom Hofe, wobei ihm eine seltene Flügelstärke vortreffliche Dienste leistet, haben ihm schon derbe Züchtigungen, selbst tagelangen Kerker eingetragen, ohne daß sein Temperament, welches ihn zu solchen Extravaganzen hinreißt, dadurch abgekühlt wurde. Nicht genug, daß er allein durch solch’ strafbares Operiren gegen die bestehenden Ordnungen verstößt, versucht unser Gänseheld auch noch die übrigen Mitglieder der Fraction zum Umsturz der Gesetze zu verführen, was ihm, bei einer wahrscheinlich angeborenen Beredsamkeit, nur zu gut gelingt; denn das übrige Gänsevolk unternimmt nun, unter seiner Anführung, ebenfalls weite Züge und nicht selten wird ein nachbarliches Gebiet heimgesucht, was für den Gutsherrn bereits Unannehmlichkeiten mancher Art herbeiführte.

Vor wenigen Tagen kehrte die Rotte von einer größeren Streiferei zurück und eine exemplarische Bestrafung für den Helden und Anführer wurde ersonnen. Tags darauf fesselte man den Gänserich derartig am Fuße, daß er bequem den Teich erreichen und das tägliche Bad, „herkömmlicher Sitte getreu“, nehmen konnte. Einem zweiten Prometheus gleich steht er am Ufer und sieht trüben Blickes seine Commilitonen, in lustigen Schwärmen, auf den spiegelnden Fluthen dahingleiten. Da packt ihn Verzweiflung. Unter Geschrei, mit erhobenen Flügeln, stürzt er sich in’s Wasser, doch die hemmende Fessel gebietet ihm unerbittlich „Halt!“ Ein zweiter, ein dritter, von demselben Erfolg gekrönter Versuch wird gewagt; vergeblich! Plötzlich, wie von einer augenblicklichen Eingebung beseelt, stürzt sich der Gefangene nochmals in die Wellen, doch nicht um zu fliehen, nein, um zu – sterben. Besser der Tod, als schmachvolle Knechtschaft! Tief im Wasser liegen Kopf und Hals, mit den schlaff hängenden Schwingen spielen die krausen Wellen, kein Zucken verräth, daß noch Leben in dem schönen Thiere ist.

So, in diesem Zustande völliger Erstarrung wird der Gänserich von einem herbeigerufenen Diener dem Fluthengrab enthoben und am Ufersrand trocken gebettet. Scheinbar vom Tod umfangen, liegt das Thier lange Zeit, von dem Gutsherrn nebst Familie und einigen Dienern umgeben. Die Fessel, welche sich immer noch am Fuße befindet, wird gelöst und der todte Freund von Dieners Hand emporgehoben. Plötzlich kehrt das anscheinend entschwundene Leben zurück und mit lauten Rufen folgt der Sieger seinen enteilenden Gefährten.

L–e.




Kleiner Briefkasten.


Dr. A. F–l in D–u. Wir theilen Ihre Ansicht; es kann nicht die Aufgabe der Gartenlaube sein, eigentliche Kriegsberichte zu geben. Die Herstellung unseres Blattes ist, durch seine starke Auflage bedingt, eine verhältnißmäßig langsame; Ereignisse die heute geschehen – und in der gegenwärtigen gewaltigen Katastrophe folgen sie sich Schlag auf Schlag, so daß heute schon veraltet ist, was gestern sich zutrug – würde die Gartenlaube erst in drei Wochen erzählen können. Dagegen Scenen und Episoden aus dem begonnenen großen Kampfe, die dennoch zu einem Totalbilde desselben sich zusammensetzen, – das ist’s, was wir auch aus dem gegenwärtigen Kriege zeichnen und schildern werden, in völlig objectiver, nur an das Thatsächliche sich haltender Darstellung.




Zur Nachricht!


Mit dieser Nummer schließt das zweite Quartal. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Leipzig, im Juni 1866.

Die Verlagshandlung.




Unsere Mitarbeiter bleiben auch im neuen Semester die bewährten, alten. Die Herren R. Benedix, Berlepsch, Beta, Bock, Brehm, Brunold, Fr. Gerstäcker, G. Hammer, G. Hiltl, A. Meißner, Max Ring, Prof. Richter, Carl Ruß, Joh. Scherr, A. Schloenbach, Levin Schücking, Herman Schmid, Schulze-Delitzsch, Albert Traeger, Temme, Carl Vogt, L. Walesrode, Fr. Wallner, die Damen M. von Humbracht, E. Polko u. v. a. werden nach wie vor unser Blatt mit ihren regelmäßigen Beiträgen zieren. Nur einige wenige Titel mögen darthun, daß wir auch im künftigen Vierteljahr unsern Lesern eine reiche Auswahl von Erzählungen und Aufsätzen, Skizzen und Bildern zu bieten haben:

Der Blaubart. Erzählung von E. Marlitt, Verfasser der „Goldelse“. – Der Dommeister von Regensburg. Von Herman Schmid. – Zwei Californier. Criminalgeschichte von J. D. H. Temme. – Aus der Jugend eines großen Mannes. Von C. Dohm, Redacteur des Kladderadatsch. – Ein Bild aus dem schwäbischen Dorfleben. Mit Illustration von R. Heck. – Ein fürstlicher Feldmarschall und Exercirmeister. Mit Illustrationen nach einem Oelgemälde von Theobald von Oer. – Das heiße Liebchen. Reiseerinnerung von Alfred Meißner. – Bilder aus dem Feld- und Lagerleben. U. A. die preußischen Husaren und die Hessenböcke. Mit Illustration von A. Nikutowski. – Ein Bayard der Freiheit. Mit Portrait. – Ausplaudereien aus der Apotheke. IV. Das Quecksilber und seine Salben als Volksheilmittel. – Friedrich Wilhelm der Erste und Professor Baumeister. Von Georg Horn.

Außerdem bedarf es wohl keiner Versicherung, daß wir

den begonnenen und sich vorbereitenden Kriegsereignissen

eine besondere Aufmerksamkeit widmen. Bereits sind Vorkehrungen getroffen, daß nicht nur Künstler, sondern auch Schriftsteller in unserem Auftrage von den Hauptquartieren aus den militärischen Bewegungen folgen werden, um unsern Lesern das Wichtigste und Interessanteste aus dem Marsch-, Feld- und Lagerleben in Bild und Text zur Anschauung zu bringen.

Leipzig, im Juni 1866.

Die Redaction.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_416.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)