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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

und senken sich wie ein erfrischender Trunk in das umbrauste und lechzende Herz. Solch’ ein Bild des tiefsten Friedens ist es, durch welches der Schöpfer des beistehenden Kunstwerks uns hat erfreuen und erquicken wollen in kriegerischer Zeit.

Am Saum des schwäbischen Tannenwaldes, fern von dem Umtrieb und dem Lärme der Großindustrie und der Eisenbahnen, fern auch bis jetzt noch vom lärmenden Kriegsgetümmel, wird der neue Pfarrer empfangen; Inschriften, Blumen, Kränze und farbige Bänder vom Ausgange des Waldes an bis hinunter zu dem reichgeschmückten Pfarrhause, die Empfangsrede des Schulmeisters und das von den Kindern überreichte Schaf mit dem Lamm: dies sind die äußeren Zeichen herzlichsten Entgegenkommens einem Manne gegenüber, von dessen Wirken unter Menschen, deren geistige Hauptkraft im Gemüthe liegt, so viel abhängt.

In der uns vorgeführten Gemeinde scheint sich nun das Verhältniß ganz günstig gestalten zu wollen; die etwas strengen Züge des Pfarrers werden wohl eher auf Strenge gegen sich selbst hinsichtlich treuer Pflichterfüllung, als auf die gegen Andere zu deuten sein. Dabei hat er die anmuthige, freundliche Gestalt der Pfarrerin zur Seite, deren ganze Erscheinung dafür bürgt, daß sie die Pflegerin der Armen und Kranken, die Beratherin in häuslichen Nöthen und die Fürsprecherin der Dorfjugend sein wird. Darum findet in dem Bilde das schwäbische Sprüchlein auch seine zweifache Anwendung:

„Weil die Frau Pfarrerin ist so brav,
So bringen wir ihr ein schönes Schaf.“

Der Pfarrfamilie gegenüber, durch entsprechende ausdrucksvolle Figuren dargestellt, steht voran der Schulmeister des Orts, umgeben von den Ersten seiner Schule mit der entsprechenden, wohleinstudirten Begrüßungsrede, hinter ihm die behördliche Dreiherrlichkeit des Dorfes: die kraftstrotzende Gestalt des Schulzen (Ortsvorsteher), die ruhig prüfende des Bürgermeisters (Gemeinderechner) und die Greisengestalt des Heiligenpflegers (Verwalter des Kirchenvermögens), umrahmt von den verschiedenen Altern und Ständen des Ortes.

Auf dem ganzen Bilde liegt die heitere Sonne friedlichen Zusammenlebens und die Bürgschaft dafür, daß das gegenseitige Verhältniß sich nicht so gestalten werde, wie dies in Schwaben mit den Worten bezeichnet wird: „Den führten wir vierspännig über’s schönste Samenfeld hinaus, wenn er nur ginge.“

Wir erinnern unsere Leser an ein Bild von Heck „der Reiseprediger aus Schwaben“, das in Nr. 2 des Jahrgangs 1863 der Gartenlaube eine Stelle gefunden. Auch unsere diesmalige Illustration schwäbischen Dorflebens ist einem trefflichen Originalgemälde desselben Künstlers, seiner neuesten Schöpfung, nachgebildet. Während aber in jenem ersteren Bilde der mystisch-religiöse Grundzug dieses Volksstammes dargestellt ward, welcher die Ursache so vieler Secten mit so schönen Geistesblüthen und daneben so tiefen Ungereimtheiten ist, führt uns die neueste Composition vor jenes gemüthliche, poetische Leben und Treiben, das für den Bewohner des deutschen Nordens, wenn er in diese Gegenden kommt, so anziehend ist.

Wem aber das wiederum mit frischem und sicherem Pinsel gemalte, eben so ansprechende, wie treu die eigenste Art des bezeichnenden Volksstammes ausprägende Bild in der jetzigen Zeit des Kampfes und Sturmes zu friedlich erscheinen will, der möge daran denken, wie ganz anders es um unser Volk und Vaterland stände, wenn die tausend und abertausend Pfarrer in den weiten Gauen unsers großen Vaterlandes seit den Jahren von 1813 ab mit dem wahren Gottvertrauen und dem echten Christenthume das rechte Verständniß für die Dinge dieser Welt, für Familie, Gemeinde und Staat gepflegt und Männer erzogen hätten, denen Recht und Freiheit am höchsten steht.

Wenn der Maler in den seitherigen Bildern den gemüthlichen und religiösen Theil des geistigen Lebens seiner Heimath nun genugsam geschildert hat, so könnte er freilich von jetzt ab auch in das politische Gebiet greifen, um aus demselben Züge darzustellen, welche in der Lebendigkeit der Handlung und Bestimmtheit der Charaktere gewiß dankbare Stoffe darbieten.

G.




Die todte Hand.
Reise-Erinnerung aus Oesterreich.
Von Alfred Meißner.


Eine Gesellschaft, aus Herren und Damen bestehend, war am Morgen eines schönen Sommertags durch ein langes quellreiches Waldthal gewandert und lagerte sich nun im Schatten der Kastanienbäume auf dem Abhang, wo die Front des Klosters T…, welches sie besuchen wollte, sich mit seinen grauen Mauern und seinem vorspringenden Dache auf’s Herrlichste präsentirte. Der Eindruck war ein so großartiger, daß das Gespräch eine Zeit lang verstummte und Aller Augen sich dem architektonischen Bilde zuwandten.

„Dieser merkwürdige Bau,“ sagte der ‚alte Herr‘, der in Historiographicis wohl bewandert, „stammt aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Ein Schafhirt, der hier bei seiner Heerde gewacht, war einer Erscheinung der Mutter Gottes gewürdigt worden, welche ihm ankündigte, daß sie hier eine Kirche wünsche, und als diese Kunde der Geistlichkeit der nahen Residenz zu Ohren gekommen, beeilte sich diese für den Bau einer solchen zu sammeln. Als derselbe stattlich in die Höhe wuchs, kam den geistlichen Herren der Gedanke, sich um einen Ablaß zu bewerben, der dann auch durch den ungeheuern Zulauf so einträglich wurde, daß sich bald Prälat, Pfarrer und Bischof um die baare Einnahme stritten. Es gab Zeiten, wo in einer Woche zwanzigtausend Wallfahrer anlangten, die Opferstöcke füllten und Messen bestellten, welche dann von den geistlichen Herren nach Gelegenheit und Gebühr gelesen wurden. Als, nach hundert Jahren, der Bau vollendet war, erschien der Fürstbischof persönlich zur Einweihung mit allen seinen Staatsministern, Kammerherren, Räthen, Köchen, Musikanten und Janitscharen, es wurde Tafel für fünfhundert Personen gehalten und man speiste von goldenem Geschirr. Das war ein Leben! Da entbrannte der deutsche Bauernkrieg; das Gnadenbild ließ die Frommen im Stich, den Herrn Prälaten traf, als die Bilderstürmer hereinbrachen, mitten in der Kirche der Schlag. Groß war der Verlust, den die Reformation dem Kloster brachte, allmählich erst hob sich die Saat wieder, die dies Hagelwetter verwüstet. Doch fünfzig Jahre später wurden wieder im Kloster viele Leute von den langwierigsten Krankheiten hergestellt, was einen neuen Zudrang zur Folge hatte. Alle Wunder wurden in ein sogenanntes ‚Wunderbuch‘ eingetragen. So geht es noch bis heute fort: Kirche und Kloster haben sich als Wallfahrtsort, Ziel für Lustpartieen und Hospiz für durstige Kehlen erhalten.“

„Die Geschichte, die Sie da erzählt,“ meinte der Doctor, „ist beinahe die Geschichte aller Klöster. Ueberall ist bei ihrer Stiftung, wofern diese in eine entlegene Zeit reicht, eine Madonnenerscheinung, ein Bild oder ein Brief, der vom Himmel gefallen, im Spiel, und der Erfolg davon ist wirklich mirakelhaft. So haben sich mitten in einer Welt, die in aller möglicher finanziellen Bedrängniß lebt und Schulden auf Schulden häuft, ungeheuere Schätze erhalten, welche ganz brach liegen, man müßte es denn für eine Wohlthat halten, daß, während man anderswo mit aller Anstrengung Spitäler, Schulen, Armenhäuser baut, hier ungeheuere Gebäude stehen, wo ein paar Mönche allerdings höchst angenehm leben und dabei gelegentlich für das Seelenheil der umliegenden Bevölkerung wirken. Erwägt man aber, wie schlecht diese Güter der todten Hand bewirthschaftet werden …“

„Also das nennt man Güter der todten Hand?“ fragte eine junge Dame. „Ich habe davon öfters gelesen und eigentlich nicht verstanden, um was es sich handelt. Aber der Ausdruck ist doch sehr schlecht gewählt. Wie kann man das eine todte Hand nennen, welche so tüchtig zugreift?“

Man lachte und der Doctor sagte: „Wäre ich Gesetzgeber, ich hätte diese todte Hand längst amputirt!“

„Sollte ein Eigenthum weniger verletzlich sein, weil es der Kirche gehört?“ fragte der Hofrath mit emporgezogenen Brauen.

„Individuelles Eigenthum und Kirchengut sind,“ erwiderte der Doctor, „jedenfalls etwas ganz Verschiedenes. Das eine ist

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_422.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)