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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

hatten auch ihr leidenschaftliches Weinen und Klagen gehört, wenn im Wohnhause gepackt worden war zur Heimreise.

„Du hast dem gestrengen Herrn natürlich ebenso energisch seinen Standpunkt klar gemacht, wie bei dem Annexionsversuch, Tante?“ fragte sie hastig.

„I nu freilich. Ich habe ihm erklärt, der Pavillon stände ganz gut an seinem Platz und mit meinem Willen würde nicht ein Ziegel daran weitergerückt; darauf hin hat er mich gerichtlich verklagt.“

„Der Unhold!“

„Und das Recht ist ihm zugesprochen worden. Ich habe die Weisung erhalten, binnen acht Tagen mein Besitzthum von dem fremden Grund und Boden zu entfernen.“

„Abscheulich! … Und Du kannst es über’s Herz bringen, Tante Bärbchen?“

„Ich lasse nicht einen Stein anrühren.“ Sie deutete nach dem Bild der Großmutter. „Die müßte sich im Grabe umdrehen, wenn das mit meinem Willen geschähe… Mag der saubere Herr höchsteigenhändig das Niederreißen besorgen, dagegen kann ich freilich nichts thun.“

„Und damit wird er nicht viel Federlesens machen, passen Sie nur auf, Frau Hofräthin!“ sagte Dorte, die vor wenig Augenblicken eingetreten war und einen Teller voll frischgebackener Waffeln auf den Tisch gestellt hatte. „Er hat’s eilig. Ja, wär’ das Fenster nicht, das ‘nüber in seinen Garten geht, da ständ’ ihm das Häuschen noch lange nicht im Wege. Aber da könnte ja der alte Sauer einmal den Laden aufmachen und hinübergucken nach der schönen Dame, das wär’ erst gefährlich!“

„Wer ist denn die Dame?“ fragte Lilli lachend.

„Wahrscheinlich seine Frau,“ meinte Tante Bärbchen zögernd.

„Ach, glauben Sie doch das nicht, Frau Hofräthin,“ eiferte Dorte, ohne die verweisenden Blicke ihrer Herrin zu bemerken, „seine Liebste ist’s… Fräulein Lilli, da drüben geht es zu wie bei den Heiden, und eifersüchtig ist er wie ein Türke. Keine Menschenseele in der ganzen Stadt weiß, wie die Person aussieht, die bei ihm wohnt, nicht einmal sein eigener Kutscher und Bedienter sollen es wissen. Der Mohr steht Schildwache vor ihrer Thür und trägt ihr auch das Essen hinein… Gott verzeih’ mir’s, wie nur ein Christenmensch solch’ ein schwarzes Ungethier um sich leiden mag! Ich erschrecke immer zu Tode, wenn der den Mund aufmacht, und denke an den Walfisch, der den Jonas verschluckt hat… Die Dame muß immerfort einen dicken Schleier vor dem Gesicht tragen, und wenn sie spazieren fährt, da sind die Vorhänge an den Wagenfenstern fest zugemacht. Ich hab’ einmal draußen vor der Gartenthür gestanden, da fuhr der Wagen vorbei, und in dem Augenblick zog und zerrte drinnen eine Hand an dem Vorhang; das waren Fingerchen, wie von Marzipan, und Ringe haben d’ran gesteckt, die haben geblitzt, wie lauter Karfunkel. Er muß ein wahrer Unmensch sein, daß er das arme Weib so einsperrt; er sieht aber auch danach aus. Wenn er auf sein Gut reitet – das schöne, große Liebenberg hat er doch gekauft – da kommt er auf seinem pechschwarzen Rappen die Chaussee hergebraust, daß es einem himmelangst wird, so trotzig und befehlshaberisch sieht er aus.“

„Er ist wie sein Vater,“ sagte Tante Bärbchen zu Lilli, „dem war auch die Welt zu eng und der Platz, auf dem er stand, zu niedrig. Er pfropfte auf den alten, ehrenhaften Stamm der Dorns ein adliges Reis; das befand sich aber sehr übel in der bürgerlichen Atmosphäre, und da hat er sich flugs auch den Adel gekauft… Gekaufter Adel! Das heißt, in den ursprünglichen Begriff übersetzt, gekauftes Verdienst… Unsinn, Unsinn! Gemahnt mich an den sauberen Ablaßkram, nur in umgekehrter Weise, allein die Welt will nun einmal solchen Firlefanz und Hocuspocus, und Schlauköpfe giebt’s zu allen Zeiten, die ernsthafte, gläubige Gesichter dazu machen und ihren Nutzen daraus ziehen.“

Sie schob das Spinnrad von sich und schüttelte die Spelzen von dem weißen Tuch, das auf ihren Knieen gelegen hatte.

„Ich bin da auf ein ärgerliches Thema gekommen,“ sagte sie aufstehend; „Unfruchtbare Gedanken, mit denen sich ein alter Weiberkopf, der sich auf die Ewigkeit vorzubereiten hat, gar nicht mehr befassen sollte… Stürzt heute alle die alten Götzen um, morgen wird, die Welt um ein neues goldenes Kalb tanzen. … Komm’, Lilli, schenke mir eine Tasse Thee ein. Gelt, der riecht frisch und unverdorben? … Hab’ die Blätter selbst im Walde zusammengesucht; der macht gesundes Blut und rothe Backen, und die kannst Du brauchen, kleines Mondscheingesicht.“

Sie saßen lange beisammen und plauderten. Das letzte Duftwölkchen aus der Theekanne war längst in der Luft zerflossen, die Schatten der Nacht ballten sich in den Ecken der Stube, dann huschten sie über das leuchtende Zifferblatt der Wanduhr und hingen zuletzt einen schwarzen Flor über den goldenen Rahmen des Großmutterbildes, und es ward endlich so still, daß der kleine Dorfcantor getrost sein zartes Geigensolo hätte beginnen können, zu welchem er seit so vielen Jahren den Bogen angesetzt hielt. Draußen schmolzen die Millionen Blätter und Blüthen wunderliche Gestalten zusammen und kein Lufthauch wagte, an die von den Händen der Nacht gezeichneten Contouren zu rühren.

Plötzlich glühte es auf über den Wipfeln einer Akaziengruppe und die weißen, träumerisch hängenden Blüthen waren überschüttet von buntfarbigen Lichtströmen. An der Decke des Thurmzimmers brannte eine Hängelampe. Das schöne, zarte Weib im weißen Atlasgewande da droben, dem die schwarzen Haarwellen über den Busen flutheten, es hatte einst seine himmlischen Worte der Liebe unter dem schützenden Dunkel der Nacht gestammelt, und hier bog es sich von Licht umflossen verlangend hernieder und keine rosige Flamme der Scham flog über ihr bleiches Liliengesicht. Die weißen Arme umschlangen ihn, der kühn den Balcon erklommen hatte und der über ihrem berauschenden Geflüster die Todesgefahr vergaß; süßer aber hatte wohl die unglückliche Tochter der Capulets ihrem Romeo nicht zugelächelt, als hier ihr zartes Conterfei auf den zerbrechlichen Glasplatten. Hinter den Gestalten des Fensters glitt rastlos ein Schatten hin. Ein Mann, wie es schien, ging mit raschen Schritten auf und ab… War das der tückische Nachbar, der Blaubart, der ein unglückliches Weib gefangen hielt, damit kein anderes Auge, als das seine, auf ihr schönes Antlitz falle?

Lilli wagte nicht, diese Frage laut werden zu lassen, sie wollte heute nicht mehr an die Seelenwunde der Tante rühren. In dem Augenblick trat auch der alte Sauer mit der Lampe herein. Seine knarrenden Stiefeln weckten die Hofräthin aus einem leichten Schlummer; sie fuhr lächelnd in die Höhe und setzte die Brille vor die verschlafenen Augen, um noch ein wenig zu lesen. Währenddem schloß Sauer die Fensterläden; der alte Junggeselle nahm in beinahe hastiger Weise zuerst das südliche Eckfenster in Angriff, wobei er mit einem scheuen Rückblick nach Lilli etwas von „sündhaftem Spectakel“ murmelte. Noch einmal glühten die herrlichen Gebilde des Glasgemäldes auf, dann verschwanden sie hinter dem unerbittlichen, grauen Fensterladen. Lilli nahm der Tante die Zeitungen aus der Hand und las vor, bis die Wanduhr zehn brummte. Die Hofräthin richtete sich streng nach der heiseren Stimme der alten Mahnerin, mit dem letzten Schlag erhob sie sich und führte Lilli nach der Gaststube, wo sie ihr mit einem Kuß auf die Stirn gute Nacht sagte.

Hier war der Laden noch nicht geschlossen, die Fensterflügel standen offen, das Zimmer war erfüllt von dem Duft der Nachtviolen, die draußen auf den Rabatten standen, und über das weiße Bett hin floß ein bleicher Schimmer. Der Mond war aufgegangen, aber wie verirrte Nachtschwärmer zogen die letzten dunkeln Wolken des Gewitters über seine volle Scheibe hin. Da droben wandelte der Schatten noch immer einsam auf und ab. Der einzelne dünne Mondstrahl, der durch einen Wolkenriß zuckte, irrte noch machtlos an den glühenden Tinten des Glasfensters vorüber, doch allmählich löste sich die dräuende Schicht am Himmel, wie ein unaufhaltsamer Lavastrom floß das bleiche Licht über die Wolkenränder und plötzlich lag es drunten über die Erde gebreitet, ein verklärender Schleier, der ihr Antlitz fremdartig und räthselhaft macht, wie das einer Sphinx, der unlösbare Fragen weckt in der Menschenbrust; wir fassen sie zusammen in das einzige Wort: Sehnsucht.

Die Hängelampe im Thurmzimmer erlosch. Das war aber nicht der Moment, den Laden zu schließen und die schlaflosen Augen in die Kissen zu stecken, meinte Lilli. Der Blaubart da drüben ging sicher jetzt zur Ruhe, und sein schwarzer und weißer Hofstaat auch, und da konnte man wohl ungestraft einen Blick thun in die verbotenen, gefürchteten und doch so anziehenden Herrlichkeiten jenseits des Zaunes. Sie schlüpfte geräuschlos in die Hausflur und huschte, ohne von Dorte, die in der Küche noch mit dem alten Sauer aufsaß, bemerkt zu werden, zur Thür, die nach

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_434.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)