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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

mit Zureden und gutem Rath entgegenkam. Dort im Gasthof war’s auch, daß ich zufällig durch das Thürfenster hinaus in die Küche schaute, wo die Dienstboten Birnschnitze und geräucherte Ripperle aßen. Da ging ich sogleich hinaus, setzte mich mit an den Tisch, nahm mir frisch heraus und aß zum ersten Mal seit der ganzen Reise, ja seit dem Anfang der bösen Krankheit mich einmal wieder herzhaft satt. Und nun nach Bern und dann nach Thun und da mußte ich übernachten. Als ich mit der Wirthin sprach und ihr gestand, wer ich sei und woher und daß ich das Heimweh hätte und mich nach meinen Geschwistern sehnte, erhob sich ein Mann am Tisch, der sah mich an und rief plötzlich: ‚Gritli, Du bist es und kommst aus Deutschland? Gieb Dich zufrieden und laß Dein Sehnen, alle Deine Geschwister sind wohlauf und Allen geht es gut!‘ Da war’s Peter, ein Schulcamerad, der mich so begrüßte und tröstete. Und am andern Tag mit dem Postschiff über den See. Es war ein klarer Morgen. Wie betrachtete ich die heimischen Gletscher und Berge! Welch ein Jubel in meiner Brust! Es kam mir vor, als seien die Berge höher, der See größer und die Heimath viel schöner, wie damals, als ich fortging. Und endlich das Heimathsdorf, die Geschwister, die mir entgegenfuhren, weil Peter ihnen von mir schon erzählt hatte, – und da saß ich im Vaterhaus, und um mich herum Alle, die Großmutter, die Tante, die Geschwister, der Schwager – und alles Leid war vergessen – und das Heimweh aus Seele und Leib gebannt bis zum letzten Herzenswinkel. Und nun wollen wir das Leben wie von vorn anfangen, es kommt kein Heimweh mehr über mich und Eure Heimath ist nun auch die meine.“

Und so ward es nun, und so blieb es noch sechsundzwanzig Jahre lang. Kein Schatten hat unser häusliches Leben mehr getrübt; nur einmal kam eine tiefe Trauer über uns Beide und betrübte uns zu Thränen treuesten Dankgefühls: als unser guter Herzog starb.

Bis hierher bin ich in Obigem der Mittheilung meines alten, lieben Freundes gefolgt. Zum Schluß füge ich an, daß er selbst noch auf der alten Veste, der „Schwester der Wartburg“, lebt, aber sein treues Gritli schlummert seit vier Jahren auf dem Plätzchen, das sie sich im Leben zur Ruhestätte erwählt, in dem stillen, grünen Friedhof am nahen Bergwald, in den früher die Bewohner der Veste gebettet wurden. Obwohl seit Jahren verschlossen, öffnete er sich noch einmal und zum letzten Male für das Kind der fernen Berge. Wer von der Veste Coburg die breite, hohe Straße nach Osten einschlägt, um an der sogenannten „Schäferei“ (dem oben erwähnten Oekonomiegut) vorüber den reizenden Weg durch die Buchenhallen des Bausenbergwaldes nach Oeslau und der Rosenau mit ihrer blühenden Schweizerei zu lustwandeln, sieht vor dem Eintritt in den Wald zur Linken die alte Friedhofstätte mit ihren Steinen und Kreuzen und ihrem verfallenden Bahrhäuschen. Das üppigste Grün überwuchert sie, der Bergwald beschattet sie und die ersten Nachtigallen begrüßen sie – und doch liegt sie nicht so abseits allein und verlassen, sondern Menschen, die sich der Schöpfung Gottes freuen, ziehen mit gehobener Seele vorüber und mancher theilnehmende Blick begrüßt noch immer die stillen Gräber. Da ruht sich’s wohl.

Fr. Hofmann.




Die Schlacht bei Langensalza.[1]


Der König von Hannover gehörte, wie bekannt, zu denjenigen Fürsten, welche gegen Preußen lange schon nicht allein eine feindselige Haltung annahmen, sondern endlich sich zu offenem Widerstand rüsteten und zu verbinden suchten. Die letzte kurze Frist zur nachträglichen Erklärung der Neutralität ließ König Georg ungenützt vorüber gehen, und so rückten, wie angedroht, preußische Truppen von Norden her in das Königreich ein. Die hannover’sche Armee, trotz ihrer bekannten Schlagfertigkeit, zog sich sofort zurück. Ein kleiner Theil derselben wurde im Lande selbst überrascht und zur Niederlegung der Waffen genöthigt, die bei weitem größere Anzahl der Truppen aller Gattungen, man könnte mit Recht sagen die ganze hannover’sche Armee, in Stärke von zwanzigtausend Mann Infanterie mit vierzig bis sechszig Kanonen und sechs Cavallerie-Regimentern, verließ das Königreich Hannover und trat bei Heiligenstädt auf preußisches Gebiet über. Dieser eilige Abzug ohne genaue Kenntniß der Stärke und Stellung der Bundestruppen wird von Vielen nicht gebilligt, da die Truppen mit Ausrüstung aller Art und besonders mit Schießbedarf auf das Reichlichste versehen waren, und nicht, wie man hie und da erzählt, ohne Munition ausrückten. Schreiber dieses sah ganze Haufen derselben auf ihrem Zuge durch Waldungen von ihnen selbst zerstören und vergraben, weil ihnen die große Menge derselben lästig fiel; auch trug jeder Soldat, als es am 24. Juni zum ersten Male zum Kampf gehen sollte, nahe an 100 Patronen bei sich. Der König selbst nennt das Heer schlagfertig, von opferfreudigem Muthe beseelt.

Gleichwohl konnte eine so imposante Macht nicht im Lande bleiben, um es bis auf den letzten Mann zu vertheidigen und mit Ehre unterzugehen. Sie war darauf angewiesen, vereint mit den übrigen Bundestruppen ihr Heil gegen die Waffen Preußens zu versuchen. Das Streben nach dieser Vereinigung war es daher auch, was den König hinriß bis zu dem entsetzlichen Blutbade des Siebenundzwanzigsten, welches Tausende seiner eigenen Landeskinder todt oder verstümmelt niederstreckte. Dagegen halfen freilich dann keine Zähren bitterer Reue mehr, du armer betrogener Mann, als du am Sterbelager deiner Treuen standest, und nicht das Händeringen deines Erben an deiner Seite!

Die ersten Nachrichten über den Einmarsch der hannoverschen Truppen in die preußischen Lande trafen am 21. Juni hier ein. Langensalza, eine hübsche Stadt von neuntausend Einwohnern, liegt, wie Sie wissen, zwischen Erfurt, Gotha, Eisenach und Mühlhausen mitten inne. Frühmorgens von acht bis gegen ein Uhr hatten die Hannoveraner ihren Einzug in Heiligenstädt gehalten, den Landrath des Kreises festgenommen, die königlichen Cassen mit Beschlag belegt, den Einwohnern nah und fern eine starke Einquartierung aufgenöthigt, sowie große Lieferungen an Hafer, Heu, Brod, Rauchfleisch etc. ausgeschrieben. Das war nicht sehr friedlich! Wer hierorts an alledem etwa noch zweifeln mochte, den belehrten die in sausendem Galopp von Dingelstädt und Mühlhausen durch Langensalza nach der Festung Erfurt geführten königlichen Cassen, der unterbrochene Telegraphenverkehr und dergl. Der Landrath des Mühlhäuser Kreises, Herr von Wintzingerode, nahm seinen Aufenthalt hier, der Landrath des Langensalzaer Kreises begab sich auf seinen Stammsitz Altengottern. Beide wollten sich dadurch ihrer mehr als je nothwendigen Amtsthätigkeit erhalten. Es währte nur kurze Zeit, so wurden auch in Langensalza die Post und die königlichen Cassen geschlossen und letztere durch die betreffenden Beamten ebenfalls in Sicherheit gebracht. Für die städtischen Cassen wurde nicht minder gesorgt, doch fürchtete man für diese weniger, weil eingegangenen Nachrichten zufolge vom Feinde nur königliches Eigenthum mit Beschlag belegt, alles Privateigenthum möglichst respectirt worden war.

In banger Erwartung harrten Alle der kommenden Dinge, denn wir standen dem Feinde ziemlich hülflos gegenüber, da die ganze Gegend von preußischen Truppen entblößt war. In unsere trübe Sorge blitzte ein Lichtstrahl durch die Ankunft einer Schwadron preußischer Dragoner unter Rittmeister von Wydenbrink, welcher gekommen war, die Ankunft und Stellung der Hannoveraner zu erforschen und eine Vorpostenkette nach Gotha zu bilden.

Unter jubelndem Hurrah wurden die Dragoner empfangen und bewirthet, und weg war alle Sorge und Schwere des Augenblicks, ja überall herrschte Freude und Lachen, besonders als die bärtigen und tapfern Landwehrmänner in der Dankbarkeit ihrer Herzen ihren Gefühlen durch öffentliche Reden und

  1. Obige Schilderung kömmt aus der Feder eines Langensalzers, der als Augenzeuge die furchtbaren Tage mit durchgelebt hat. Unseren Lesern wollen wir außerdem noch mittheilen, daß der Specialartist der Gartenlaube die in den nächsten Nummern erscheinenden Illustrationen auf dem Schlachtfeld selbst aufgenommen und wir also für die Richtigkeit derselben einstehen können. Gleichzeitig verweisen wir auf das heute erscheinende Beiblatt der Gartenlaube, die Deutschen Blätter (Nr. 29), welches gleichsam als Prolog zu obiger Schlachtschilderung die dem Kampfe vorausgegangenen Ereignisse und Verhandlungen in Gotha in lebendiger Weise vorführt.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_441.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2020)