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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

die Tante möchte mit ihrem Widersacher hier zusammentreffen und in Wort und Benehmen ihren Groll, ihre Empörung ungescheut und verletzend an den Tag legen? Sie eilte deshalb nach einer leichten Verbeugung zur Thür hinaus und fand richtig die Hofräthin im Begriff, sie im Pavillon aufzusuchen. Mit fliegenden Worten und unterdrückter Stimme erzählte sie sofort das Geschehene. Die kräftige dunkle Hautfarbe der Tante wurde um einen Hauch blässer, und in den etwas grellblauen, scharfblickenden Augen tauchte der innere Grimm auf; aber sie blieb äußerlich ruhig und rief den alten Sauer herbei.

„Hole Er mir gleich die Bilder aus dem Pavillon, aber nehme Er sie fein säuberlich vom Nagel!“ befahl sie. „Sie können einstweilen in die grüne Stube getragen werden, bis ich mir überlegt habe, wo sie für die Zukunft hängen sollen… Sehen will ich sie jetzt nicht, daß Er sie mir nicht etwa vor die Augen bringt, Sauer! … Es ist mir gar zu schrecklich, daß sie nun doch fortmüssen von ihrem alten Platz, und ich kann’s nicht ändern!“

Lilli folgte der Hofräthin in’s Wohnzimmer, schlang die Arme um den Hals derselben und beichtete ihre Schuld. Ihre Augen steckten tief in Tante Bärbchens großer Tüllkrause, und deshalb entging ihr das heimliche Lächeln, das gleich zu Anfang ihres Bekenntnisses um die Mundwinkel der Hofräthin flog.

„Schäme Dich, Lilli!“ sagte sie, als das junge Mädchen zu Ende war mit ihrer Selbstanklage. „Kömmst da her aus der großen Stadt, gebehrdest Dich als völlig erwachsene Dame mit Deinem entsetzlichen Reifrock und den Schleppkleidern, die zu Dortens Aerger den Sand von Flur und Treppen wegfegen; hast Englisch und Französisch gelernt und Deine Nase in Chemie und andere hochgelehrte Sachen gesteckt, und bist so kindisch dabei geblieben, daß ich nächstens die Schulregeln wieder dort neben das Uhrgehäuse werde hängen müssen… Uebrigens – Du verdienst es zwar nicht – will ich Dir einen Trost geben: der saubere Herr hätte auch ohne Dein Zuthun seine Heldenthat heute ausgeführt, ich hab’ es nicht anders erwartet. Dem mag’s wohl in den Fingern gezuckt haben, bis er über das arme, alte Gartenhaus hat herfallen dürfen!“

„Das glaube ich eben nicht, Tante,“ entgegnete das junge Mädchen und hob lebhaft den Kopf in die Höhe. „Er hat mir durchaus nicht den Eindruck eines bösartigen Menschen gemacht; ich bin fest überzeugt, hättest Du ihm ruhig vorgestellt –“

„Ei, da will wieder einmal das Ei klüger sein, als die Henne!“ schalt die Hofräthin, in der That jetzt heftig erzürnt. „Ruhig vorstellen, ich, eine von den Erich’s, dem da drüben! Meine Großmutter hätte eher mit eigener Hand den Pavillon in Brand gesteckt, als den Hubert’s ein gutes Wort d’rum gegeben. … Komme mir nie wieder mit dergleichen Redensarten, Lilli! Ich bin alt geworden in dem Bewußtsein, daß die Hubert’s auf unsere Linie einen Flecken geworfen haben, und den Groll und Schmerz darüber nehme ich mit in’s Grab… Hörst Du, Lilli, ich will nie wieder eine Bemerkung über den da drüben hören, nicht einmal seinen Namen, weder im Scherz, noch im Ernst! … Und noch Eines, Kind! Wenn ich einmal die Augen zugethan habe, dann hast Du hier zu befehlen, und es ist Alles Dein, was den Erich’s gehört hat seit undenklichen Zeiten. Müßte ich mir aber denken, daß nach meinem Tode etwas von meinem Grundbesitz, und sei es auch nur ein Zollbreit Gartenboden, in die Hände Derer da drüben käme, ich stiftete lieber gleich Haus und Garten als Armenspital für ewige Zeiten! … Da hast Du mein unabänderliches Glaubensbekenntniß, und nun will ich Dir schließlich noch sagen, daß ich Dein heutiges Benehmen bitter tadle. Wie kannst Du Dich mit einem völlig fremden Manne in einen Wortwechsel einlassen, noch dazu mit einem Manne, der … hast Du vergessen, was gestern Dorte von ihm sagte? Solch Einer ist nicht werth, daß ein Frauenzimmer von Reputation mit ihm spricht, denn er denkt gewöhnlich schlecht von den Frauen und beurtheilt alle nach einer Sorte.“

Eine tiefe Gluth stieg in Lilli’s weißes Gesicht bis hinauf an die dunkle, graziös geschwungene Linie der Haarwellen; aber sie warf den Kopf zurück, und um ihre Lippen trat der stolze Zug, der dem kindlich weichen Antlitz oft so unerwartet den Ausdruck geistiger Reife und Ueberlegenheit geben konnte. Alles, was sie mit Herrn von Dorn gesprochen, glitt noch einmal an ihrem prüfenden, inneren Auge vorüber. Die von ihrer englischen Gouvernante unzählige Mal wiederholte Anstandsregel, welche ein Gespräch mit einem nicht vorgestellten Herrn verbietet, war ihr freilich ein wenig spät eingefallen; gleichwohl, hatte sie ihn mit ihren Antworten nicht ebenso energisch hinter die Schranken völligen Fremdseins zurückgewiesen, als wenn sie ihm schweigend den Rücken gekehrt hätte? … Der ihr noch vor wenig Augenblicken so peinliche Gedanke, daß sie doch wohl zu rauh und unliebenswürdig gewesen sei, war jetzt ein wahrer Trost für sie. Die vornehme Erscheinung des Blaubartes, die ihr wider Willen imponirt hatte, stand ja nicht mehr vor ihr und deshalb gewann die Warnung und Bemerkung der erfahrenen Tante um so rascher die Oberhand. Sie beschloß unwiderruflich, dem Pavillon nicht nahe kommen zu wollen, so lange keine feste Scheidewand zwischen hier und drüben wieder aufgerichtet sei … sie wollte dem Blaubart beweisen, daß sie in der That jede Begegnung mit ihm vermeide; dann werde er schon merken, daß sie nicht zu der sogenannten „Sorte“ gezählt werden dürfe.

Ueber diese Angelegenheit fiel nun zwischen der Hofräthin und dem jungen Mädchen kein Wort mehr. Die Bilder und Möbel waren geräuschlos in die grüne Stube geschafft worden, und in ihrem kleinen Zimmer hatte Lilli den Puppen eine Ecke eingeräumt. Am Abend kam eine alte Freundin der Tante und blieb zum Thee, der in der sogenannten Frühstückslaube getrunken wurde, und als die Nacht hereindämmerte, da saßen die beiden alten Damen noch und sprachen von längstvergangenen Zeiten, von Träumen und Enttäuschungen, von Hoffen und Entsagen. Lilli saß auf einem niedrigen Gartenstuhl, hatte die Hände um die Kniee gelegt und hörte aufmerksam und bewegt zu, wie da ein erblaßtes Bild um das andere aufstieg, während sie hinaussah in die schweigende Abenddämmerung.

Ihr umherschweifender Blick wurde plötzlich gefesselt durch einen hellen Gegenstand, der sich gleichsam von einem mattschimmernden Nachtviolenbusch ablöste und langsam weiter schritt. Sie erkannte sehr bald die Beschaffenheit des kleinen Nachtwandlers: ein weißes Huhn war dem Hofraum entkommen und spazierte, in völliger Gemüthsruhe hier und da die lockere Erde aufkratzend, über die Gurkenbeete. Zum Glück für Dorte – denn sie hatte die Aufsicht über das Geflügel – bemerkte die Hofräthin die scharrende Missethäterin nicht. Lilli erhob sich leise und unbemerkt, um womöglich das dräuende Ungewitter vom Haupt der pflichtvergessenen, alten Köchin noch rechtzeitig wegzulenken, allein das Thier rannte wie besessen bei ihrer Annäherung über die Beete, huschte durch Gebüsch und Hecken und tauchte binnen Kurzem wie ein höhnender Kobold in der entferntesten Ecke des Gartens wieder auf. Alle Bemühungen, die Henne nach der Richtung des Hauses zu scheuchen, waren vergeblich; plötzlich erhob sie sich, flog schwerfällig eine Strecke weit und setzte sich auf das Dach des Pavillons. Da half kein Rufen und Locken; sie kauerte sich nieder und drehte gravitätisch, in vollkommener Sicherheit, den Kopf hin und her. Ihr weißes Gefieder leuchtete doppelt über der dunklen Thüröffnung. Der innere Raum des Gartenhauses war unheimlich finster, nur durch das Loch in der Wand kam das schwache Dämmerlicht von draußen herein.

Da stand das junge Mädchen nun doch wieder wie festgewurzelt in der Thür. Fahl und gespensterhaft, ein verwischtes Bild, von den gezackten Umrissen der zerstörten Wand umrahmt, lag das weiße Haus drüben; sein Thurm starrte wie ein drohender Riesenfinger in die Lüfte. Die Fontainen plätscherten zwar ununterbrochen fort; aber sie standen dort als unbewegliche, mattglänzende Säulen, ihren zarten Schleier, die Millionen herniederfallender Wasserperlen, sog die Dämmerung auf… Im Hause schien alles Leben ausgestorben, nirgends ein erleuchtetes Fenster, eine offene Thür; vielleicht war der Gebieter in Begleitung seiner Hausgenossen nach dem Gut Liebenberg gefahren und hatte dort sein ängstlich behütetes Kleinod geborgen, um dasselbe vor neuem Schrecken zu bewahren; aber in diesem Augenblick öffnete sich die Thür nach der Terrasse, aus der gestern Abend der Neger gekommen war; ein breiter Lichtstrom quoll aus der hellerleuchteten Halle und legte sich über das Orangengebüsch, die Steintreppe und einen Theil des Rasenplatzes.

Lilli sah plötzlich mit klopfendem Herzen die Fremde auf die Schwelle treten.

(Fortsetzung folgt.)



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