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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

wie an eleganter Bauart mit den schönsten Opernhäusern der Union messen kann. Eben so reich sind die Costüme und Decorationen, und die Vorstellungen, obwohl nur von Dilettanten aufgeführt, würden der geübtesten Schauspielergesellschaft Ehre gemacht haben. Auf ein gutes Drama folgte ein komisches Singspiel und dann ein reizend durchgeführtes Ballet, bei welchem einige Töchter des Präsidenten Young mitwirkten. Dieses Theater ist eine Privatunternehmung Brigham Young’s, wie er auch der Besitzer verschiedener gewinnbringender Fabriken und trefflicher Farmen ist. Im Winter wird jede Woche zwei Mal gespielt, und da die Schauspieler nichts kosten, die Eintrittspreise dagegen hoch sind, macht der ehrwürdige Prophet offenbar ein gutes Geschäft mit dieser Anstalt.

Ein großartiger Tempel, der nach seiner Vollendung die schönste Kirche Amerikas sein wird, ist eben im Bau begriffen, der übrigens nur langsam voranschreitet. Der Gottesdienst wird vorläufig noch in dem alten „Tabernakel“ abgehalten und die Propheten predigen abwechselnd in demselben. Die Reisenden hörten eine Predigt von Brigham Young selbst, in welcher er die wichtigsten Doctrinen der Kirche erörterte und vertheidigte. Diese Sätze sind im Folgenden kurz zusammengefaßt:

Die Bibel hat für die Mormonen dieselbe Autorität, wie für die übrigen Christen; die Mormonenbücher enthalten aber neu hinzugekommene Lehren, welche die ursprünglichen Lehren der Schrift bestätigen und ergänzen. Nach dem Mormonenglauben ist Gott ein menschenähnliches, materielles Wesen mit Fleisch, Blut und Leidenschaften, wie der Mensch, nur vollkommen in allen Dingen, sein Sohn Jesus ein Menschenkind wie andere. Jesus und der Vater sind sich gleich und unterscheiden sich nur dadurch, daß der Letztere älter ist. Unsere Auferstehung wird eine materielle sein und wir werden im Himmel mit denselben Körpern und denselben Leidenschaften fortleben, wie auf der Erde. Die Nichtmormonen werden nicht nothwendigerweise in die Hölle fahren, allein sie werden nicht die hohe Stelle im Himmel einnehmen, wie die Heiligen der jüngsten Tage. Die Polygamie war in den älteren Zeiten bei allen Kindern Gottes gebräuchlich und wurde erst von den Gothen und Vandalen, welche Rom plünderten und dann die römische Kirche gründeten, abgeschafft. Luther billigte sie wenigstens in einem Falle. Dann rühmte der Prediger die guten Eigenschaften und die Erfolge der Gläubigen, pries die Vortrefflichkeit ihres Kirchensystems, die es seinen Präsidenten, Concilien, Bischöfen und Aeltesten verdanke, und behauptete schließlich, daß ihre Prediger göttliche Inspirationen empfangen, wie die Propheten des alten Testaments.

Unsere Reisenden waren natürlich nicht sehr erbaut von diesen rohen, sinnlichen Lehren, die offenbar nur auf ganz ungebildete Menschen berechnet sind, und in der That gehören denn auch die meisten Mormonen den untersten Classen an. Die von der Kirche ausgesandten Missionäre machen in allen Ländern Propaganda, namentlich in den englischen Fabrikstädten, und so findet sich denn in Utah eine äußerst gemischte Bevölkerung, und Brigham Young rühmt sich, daß unter seiner Heerde fünfzig verschiedene Nationalitäten vertreten seien.

Den Präsidenten Young schildert Bowles als einen kräftig und gesund aussehenden Greis, dem man seine vierundsechszig Jahre nicht ansieht. Sein hellgraues Auge hat einen kalten und unsicheren Ausdruck, der Mund und das Kinn verrathen einen starken und entschiedenen Willen. Er ist in Haltung und Gesichtszügen vielleicht ein schöner Mann, allein im Ganzen macht er einen abstoßenden Eindruck. In der Unterhaltung ist er kühl und ruhig und drückt sich treffend aus; er entwickelt kühne und originelle Ideen, spricht aber nicht sehr correct. Seinen Anhängern zeigte er eine milde, väterliche Sorgfalt, und dann war der Ausdruck seines Gesichtes gewinnend, wenn auch nicht erwärmend.

Unter den übrigen Häuptern zeichnet sich Heber Kimball, der erste Vicepräsident, durch seine gemeine und rohe Sprechweise aus. Er steht in hoher Achtung unter den Propheten, seine Manieren sind salbungsvoll wie Macassar-Oel, seine Phrasen fromm wie die Reden eines Thomas a Kempis. Dr. Bernhisel ist ein alter, ehrwürdiger Mann, der sich durch seine Bildung vor allen seinen Collegen auszeichnet. Eine besondere Erwähnung verdient noch Porter Rockwell, der berüchtigte Führer der Daniten oder rächenden Engel der Kirche, einer engeren Verbrüderung von fanatischen Mormonen. Diesem Manne und seiner Bande werden eine Menge Mordthaten zugeschrieben, welche in früheren Jahren an Auswanderern, die auf der damals noch sehr einsamen Ueberlandroute nach Californien zogen, sowie an abtrünnigen Mormonen die zu entfliehen suchten, verübt wurden. Die Mormonen behaupten, daß die Indianer diese Verbrechen begangen hätten, und bestimmte Beweise wird man wohl nie finden können. Nach Bowles ist übrigens dieser Rockwell ein Mann von starkem Geist und starkem Herzen, den man seinem Benehmen und seinem Aeußeren nach kaum solcher Verbrechen fähig halten könnte, es sei denn, daß er durch einen wilden Fanatismus dazu getrieben würde.

Die meisten dieser frommen Propheten haben eine reichliche Zahl von Frauen. Brigham Young selbst ist der glückliche Besitzer von etwa zwanzig wirklichen Ehefrauen, und überdies sind ihm noch etwa ebenso viele der Form nach angetraut; diese letzteren sind meistens fromme alte Damen, die nach hohen Sitzen im Mormonenhimmel streben und den Anschluß an des Propheten Engelsprocession als den sichersten Weg zu diesem erhabenen Ziele betrachten. Es ist nämlich ein mormonischer Glaubensartikel, daß die Frauen durch den Mann selig werden und daß dem Manne alle Autorität in der Familie zusteht. Die Größe eines wahren Mormonen wird denn auch nach der Zahl der Frauen berechnet, die er in einträchtiger, liebender und vor allem in gehorsamer Unterwürfigkeit halten kann. Ein solcher Mann kann so viele Weiber nehmen, als er für gut findet; dagegen widersetzt sich der Prophet, wenn Männer, welchen diese schätzbare Eigenschaft abgeht, mehrere Frauen nehmen wollen. Sein eigener Haushalt ist in der That in der trefflichsten Ordnung, doch zeichnen sich seine Damen mehr durch ihre Unterwürfigkeit, als durch Schönheit aus. Selbst die Jüngste, die er nur nach langer Werbung gewonnen haben soll, ist wohl ziemlich hübsch, aber gemein aussehend, trotz der feinen Kleider und Spitzen, mit welchen sie allein unter der ganzen Schaar herausgeputzt ist. Noch weniger glücklich war der zweite Prophet Heber Kimball, bei dessen Gattinnen man das Wort Schönheit gar nicht anwenden kann.

Im Ganzen scheint die weibliche Schönheit unter den Mormonen selten zu sein, und man trifft unter der kleinen Zahl der Heiden weit mehr schöne Frauen und Mädchen. Ein boshafter Ungläubiger könnte daraus den Schluß ziehen, daß die schönen Frauen größere Ansprüche machen, während die andern sich noch lieber einem vielbeweibten Mormonen anschließen, als ganz ledig bleiben. Nur bei einem Mormonen fand Bowles zwei sehr hübsche Frauen, die sich freundschaftlich in ihren Gatten zu theilen schienen. Sie waren geborene Engländerinnen und fast von gleichem Alter, gingen stets gleich gekleidet und erschienen zusammen im Besuchzimmer und auf der Promenade. Allein auch bei diesen konnte man die stille, ängstliche, halb traurige Miene bemerken, welche alle Mormonenfrauen, junge wie alte, charakterisirt. Nirgends beobachtet man bei ihnen das lebhafte, gesprächige Wesen, wie unter andern Frauen, und dieser Unterschied ist gewiß nicht der höheren Bildung der Mormoninnen zuzuschreiben, er ist vielmehr in Wirklichkeit das Zeichen ihrer Sclaverei, ihrer Erniedrigung.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Frauen das Institut der Vielweiberei als einen peinlichen, entwürdigenden Zustand betrachten, dem sie sich aber freudig fügen, angetrieben durch religiösen Fanatismus und eine seltene, nur einer Frau mögliche Selbstverleugnung. Man sucht ihnen den Glauben beizubringen, daß sie sich dadurch eine höhere und glorreichere Belohnung in der zukünftigen Welt sichern. „Der Herr Jesus hat mir eine schwere Bürde auferlegt,“ sagte eine arme, sanftmüthige Frau, „allein ich werde sie um seinetwillen und um die Herrlichkeit, die er mir in seinem Reiche gewähren wird, ertragen.“ Dies ist die allgemeine Klage, der allgemeine Trost, und ohne Zweifel nehmen die meisten Gatten und Ehefrauen diese Ansicht ehrlich an und unterwerfen sich der Vielweiberei als einem gottgefälligen Institut, das sie und alle mit ihnen Verbundenen in der andern Welt zu Heiligen erhöhen wird.

Doch fügt sich die menschliche Natur nur widerwillig diesen unnatürlichen Geboten. Wenn auch in manchen Familien die Frauen verträglich zusammenleben, so herrscht doch bei der Mehrzahl Unfrieden und häufig bewohnen die einzelnen Frauen getrennte Abtheilungen des Hauses oder selbst verschiedene Häuser. Die erste Frau ist gewöhnlich die in der Gesellschaft anerkannte Gattin und betrachtet häufig die andern mit Verachtung als Concubinen. Es ist im Ganzen ein schrecklicher Zustand für einen feinfühlenden Menschen, er raubt dem Eheleben das Zartgefühl und die Genossenschaft,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_456.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)