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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

entwürdigt die Frau und macht den Mann zum Tyrannen. Es erzeugt Eifersucht und Mißtrauen und reizt zur Untreue; das Spionirsystem der Kirche und des Gemeinwesens wird aber so streng und unablässig gehandhabt, daß das letztere Laster nur äußerst selten vorkommt.

Auf die Kinder kann die Vielweiberei nur entwürdigend einwirken, so gut sie auch bewacht und erzogen werden mögen. Das Letztere ist übrigens nicht einmal der Fall, denn die Mormonen haben für ihre Kinder, die überall schwärmen, wie die Heuschrecken in Aegypten, keine Freischulen gegründet, wie dies in Amerika selbst in den rohesten neuen Ansiedelungen geschieht. In den Gotteshäusern der Stadt und der größern Dörfer wird wohl Schulunterricht ertheilt unter der Aufsicht der Ortsbischöfe, allein es muß Schulgeld dafür bezahlt werden, und so sind denn die Armen vom Unterricht factisch ausgeschlossen. Indessen ist es ein gutes und ermuthigendes Zeichen, daß die heranwachsenden Mormonenmädchen meistens der Vielweiberei abgeneigt sind und ihre Ehemänner lieber unter den Heiden, als unter ihren Glaubensgenossen suchen. Die Officiere und Soldaten im Douglas-Lager haben schon manche Proselyten gemacht. Zwei Compagnien, die im letzten Jahre nach Californien abzogen, nahmen fünfundzwanzig Frauen mit, die aus der Mormonenheerde rekrutirt waren. Gegenwärtig befinden sich über fünfzig Frauen unter dem Schutze des commandirenden Generals, die im Lager Schutz vor Verfolgungen suchten oder ihren fragmentarischen Gatten entflohen waren, und die meisten haben bereits Ehemänner unter den Soldaten gefunden. Nicht selten kommen Väter oder Mütter mit ihren Familien in das Lager, um dort ihre Töchter vor dem polygamischen Treiben in Sicherheit zu bringen. Solche Vorgänge berechtigen aber zu der Erwartung, daß die Mormonen entweder bald ihre Doctrin ändern oder abermals den Wanderstab ergreifen und ihre bewundernswerthen Schöpfungen den Heiden überlassen müssen.

Durch die Polygamie sind in Utah mitunter sehr seltsame Verwandtschaften entstanden und die Zweige eines Stammbaums verschlingen sich oft so wunderlich, daß sich der geübteste Mathematiker kaum darin zurechtfinden kann. Sehr häufig heirathet ein Mormone zwei oder mehr Schwestern, andere haben eine Wittwe sammt ihren Töchtern genommen, die erstere zu dem Zweck, um die jungen Mädchen zu bekommen, und alle haben Kinder. Es giebt aber noch unnatürlichere Verbindungen, ein Mormone hat selbst seine Stiefschwester geheirathet. Bedenkt man, wie sich diese Kinder eines Vaters und verschiedener Mütter, die oft Blutsverwandte sind, in der zweiten und dritten Generation wieder zu neuen Heirathen verbinden werden, so kann man wohl mit Sicherheit voraussagen, daß in wenigen Generationen eine schreckenerregende physische und geistige Degeneration eintreten muß. Man findet sogar jetzt schon Vorboten einer solchen traurigen Zukunft.

Häufig ernähren die Mormonenfrauen nicht nur sich und ihre Kinder, sondern tragen auch noch zum Unterhalt ihres Mannes bei. Ein Handlungsdiener oder sonstiger Mann mit mäßigem Einkommen, der drei oder vier Frauen zu gewinnen wußte, lebt vielleicht mit der ersten unter einem Dache, während die anderen getrennt wohnen und sich mit weiblichen Arbeiten ernähren. Diese besucht der Herr Gemahl von Zeit zu Zeit und wird von den armen Geschöpfen auf’s Beste bewirthet, da jede den theuren heiligen Mann möglichst lange in ihrer Nähe zu behalten wünscht. In dieser Weise kann sich ein arbeitsscheuer Mensch das ganze Jahr hindurch von seinen Frauen füttern lassen, wenn er sich nur mit den Strahlen eines Frommen und Heiligen zu umgeben versteht.

Schließlich noch einige Worte über das Verhältniß, in welchem die Mormonen zu der Bundesregierung stehen. Sie erkennen die Autorität derselben nur gezwungen an, und seit zehn Jahren liegt stets eine Abtheilung von eintausend bis zweitausend Mann Bundestruppen in der Nähe der Salzseestadt, um die Autorität des vom Präsidenten der Union ernannten Gouverneurs und der übrigen Bundesbeamten aufrecht zu halten. Während des Bürgerkrieges sprachen sie offen ihre Sympathie für die Sclavenhalter aus, da auch nach mormonischen Begriffen die Sclaverei ein göttliches Institut ist. Wahrscheinlich würden sie den Südstaaten auch Hülfstruppen geschickt haben, wenn sie nicht durch die Anwesenheit der Bundestruppen und durch allzu große Entfernung vom Kriegsschauplatze daran verhindert worden wären.




Die Schlacht bei Langensalza.
(Schluß.)
Das Ende und die Waffenstreckung. – Hannoversche und Spitzkugeln. – Die letzte Proclamation. – Die hannoverschen Truppen und ihr Zug. – Der Hoftroß. – Der König und die Langensalzaer Deputation. – Betragen der Truppen. – Abschied von Illeben.


Spät am Abend des 27. kehrten die Hannoveraner von ihrer Blutarbeit nach Langensalza zurück und suchten ihre alten Quartiere wieder auf oder bivouakirten in der Nähe. Mein Nachbar hatte drei Mal dieselben Leute im Quartier – drei Mal also hatte der Besitz der Stadt gewechselt. Die Leute waren wahrhaft am Verschmachten und nahmen jede Labung mit großer Dankbarkeit in Empfang. Auch der folgende Tag wurde für sie ein Rasttag und man sah sie massenhaft in den Straßen der Stadt umher stehen und gehen, aber ohne jeglichen Exceß oder Tumult.

An diesem Tage, am 28. Juni, waren neue Verhandlungen wegen einer Capitulation im Gange und dieses Mal mit Erfolg, die Generale v. Manteuffel und v. Goeben standen mit 18,000 Mann frischer Truppen und 82 Geschützen in dem nahen Mühlhausen und die Hannoveraner sahen sich von allen Seiten eingeschlossen. Bei nur einiger Nachgiebigkeit des Königs hätte man die Hannoveraner am 29. Juni mit allen kriegerischen Ehren ziehen lassen – jetzt konnte davon nicht mehr die Rede sein. Sie hatten zwar einen augenblicklichen Sieg errungen und hätten bei richtiger Führung leicht durchbrechen können, aber jetzt waren sie erschöpft, die Pferde ruinirt, die Mannschaften zum Tode ermattet. Die Bedingungen sind bekannt: König und Kronprinz zogen frei ab, die Officiere hatten ihr Ehrenwort zu geben nicht gegen Preußen zu fechten, die Mannschaften lieferten Waffen, Pferde und Munition ab und wurden nach der Heimath gesandt.

So mußte die tapfere hannoversche Armee die Waffen strecken und abliefern. Die Preußen thaten alles Mögliche, um dem Feinde diese schweren Augenblicke zu erleichtern, und die hannoverschen Officiere haben dies auch dankend anerkannt. Aber schwer wurde es doch den meisten Kriegern, besonders der Artillerie und Cavalerie mit ihren prächtigen Geschützen, Waffen und Pferden, und Mancher weinte bei der Ablieferung seines treuen Rosses bittere Zähren und verwünschte diesen Tag des Unglücks. Grimmiger noch leuchteten die Augen der Officiere, und man sah ihnen deutlich die Unzufriedenheit an. Ein großer Theil der Truppen dagegen unterwarf sich mit sichtbarer Resignation, besonders unter der Infanterie. Mit Knüttel, Stock und Quersack zogen sie zu Haufen in den Tagen des 29. und 30. Juni in ihre Heimath ab, nicht ohne Hurrahs auf ihre gastlichen Pfleger und Quartiergeber in Langensalza.

Am 28. wurde der größte Theil der Todten begraben, sowohl auf dem nahgelegenen Gottesacker zu Merxleben, als auf freiem Felde, bei der Liebfrauenkirche, auf dem Wege von der genannten Oelmühle nach der Fabrik des Herrn Eduard Weiß und endlich auch auf dem städtischen Friedhofe. Unter diesen befand sich auch die Leiche des Sohnes eines hiesigen Bürgers, Namens Rudolph Bechstedt. Auf dem Rückzuge hatte eine Kugel durch den Kopf sein junges Leben unerwartet, aber jedenfalls schmerzlos geendet. – Die Zahl der Todten läßt sich mit Bestimmtheit zur Zeit noch nicht genau feststellen, weil der unerbittliche Tod immer noch neue Opfer in den vielen Lazarethen fordert. Jeden Tag, besonders an den Morgen und Abenden, wirbeln die gedämpften Trommeln preußischer Tamboure schauerlich den Todtenmarsch und ihnen folgen ganze Gruppen von Särgen mit den Opfern des ungemessenen Ehrgeizes und hartnäckiger Verblendung. Sie werden, ob Feind oder Freund, mit militärischen Ehren begraben.

Unter den Verwundeten befanden sich eine Menge selbst hoher Officiere, und preußische Soldaten und Officiere haben wiederholt versichert, eine solche Feuertaufe hätten sie selbst bei Düppel und Alsen nicht bestanden. Bei dieser Gelegenheit ist auch allgemein die Erfahrung gemacht worden, daß die scharfgekanteten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_457.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)