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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

ihnen sah! Wenn sich freilich der unheimliche Zug im glühenden Sonnenbrand durch die Fluren wälzte, oder wenn die vom langen Marsche, von Hunger und Durst erschöpften Soldaten todesmatt zu Boden sanken, sobald zur kurzen Rast commandirt wurde; wenn Viele es nicht verbergen konnten, daß sie einer faulen, verzweiflungsvollen Sache dienten, und es mit bittern Worten, wohl gar mit unverhohlener Scham, geradezu aussprachen, daß in diesem Kampfe keine Lorbeeren zu ernten seien, gleichviel ob man siege oder unterliege: dann flog wohl ein dunkler Schatten über das seltsame Bild, und der hin und her gehetzte Kriegszug, welcher das friedliche Thüringen urplötzlich in ein geräuschvolles Heerlager verwandelte, schien zu einem phantastischen Leichenzug zu werden, der in manches Auge eine Thräne lockte, zumal in jener mondhellen Mitternachtsstunde, als die Hannoveraner durch Langensalza gen Eisenach zogen und die Garde-Husaren, während die Regiments-Musik schwieg, den feierlichen Choral anstimmten: „Eine feste Burg ist unser Gott, eine gute Wehr und Waffe.“

Kaum hatten jedoch die wackern Truppen ein sicheres Quartier erreicht, so lebten sie bald wieder auf. Flugs säuberten sie sich von dem Staube, der sie mit einer schmutzigen Kruste überzogen hatte. Die Officiere lechzten gewöhnlich nach einem kalten Bade. Auch die sonstige Mannschaft verschmähte eine solche Erquickung nicht. Wir sahen, wie sich, in Ermangelung einer Badewanne, die anstelligen Köpfe zu helfen wußten. Kaum war der Abend hereingebrochen, als Einer nach dem Andern sich entkleidete und mit sichtlichem Wohlbehagen unter die Röhre eines Pumpbrunnens trat, um sich, während der Camerad als Badediener fungirte, von einem lustigen Sturzbade überströmen zu lassen. Und mit welch gottgesegnetem Appetite vertilgten sie die Mahlzeit, zumal die warme, die ihnen geboten ward; wie ward ihrem müden Haupte der harte Stein, der Tornister oder Sattel zum weichen Polster, auf dem sie alsbald entschliefen, wenn die müden Füße rasten durften! Galt es jedoch dem Dienste, so mußten alle leiblichen Bedürfnisse zurücktreten. Am 26. Juni, also Tags vor der Schlacht, traf die vierte Brigade der hannoverschen Armee unter General von Bothmer in Gräfentonna, einem gothaischen Marktflecken bei Langensalza, ein. Es war gegen Mittag, als die Mannschaft, die Tag und Nacht keine Ruhe gehabt, endlich ein Mal unter einem menschlichen Obdache sich zu pflegen hoffte. Aber siehe, da sie sich zu Tische setzen wollte und mit lüsternen Augen die dampfenden Schüsseln sah, – hatten doch Viele seit ihrem Abzuge aus der Heimath keine warme Mahlzeit genossen und die Kleider nicht vom Leibe gebracht! – da ertönte das Alarm-Signal und rief sie alsbald wieder unter die Waffen. Der Feind sollte im Anzuge sein. Mit bewundernswerther Resignation sprangen sie von den gedeckten Tafeln empor und eilten zu ihren Fahnen. Alle Ausgänge des Ortes wurden mit gezogenen Gußstahl-Kanonen bepflanzt, die Hannover jüngst erst aus den preußischen Werkstätten bezogen hatte, die Straßen verbarrikadirt, Bäume niedergeschlagen, Mauern und Häuser mit Schießscharten durchbrochen, und das alte Schloß des Grafen von Gleichen, das seit Jahr und Tag zu einem Zuchthaus umgewandelt war, castellartig besetzt, und dies Alles mit einer so rapiden Energie, als ob die Leute soeben aus ihren Garnisonen zu einem Manöver ausgerückt seien. So standen und lagen sie bis gegen Abend auf ihren Posten, den Feind erwartend. Als dieser aber nicht kam, ließ der Commandeur die Regimentsmusik aufspielen, und die Bewohner des Ortes, denen es zu Muthe war, als ob diese Töne den entsetzlichen Alp, der auf ihrer Brust gelegen, plötzlich verscheuche, trugen von allen Seiten Erfrischungen herbei. Da veränderte sich die tragische Scene wie mit einem Zauberschlage zu Wallenstein’s Lager: „Heisa, Juchheisa! Dudeldumdei!“ Die Soldaten sangen und tanzten auf den offenen Plätzen, bald sich gegenseitig umschlingend, bald die friedlichen Bewohner umfassend, die mit vollen Gläsern in ihrer Mitte verkehrten; Andere trieben Spiel und allerlei Kurzweil. Endlich wagten sich auch die Frauen und Mädchen des Ortes hinzu, das bunte, lustige Treiben zu sehen. Und sie durften es getrost. Keine unanständige Bewegung, kein rohes Wort, kein frecher Blick scheuchte sie von hinnen. Da krochen allmählich auch die Furchtsamsten aus ihren Verstecken hervor befreundeten sich mit den vermeintlichen Kannibalen und tranken mit ihren politischen Widersachern auf das Wohl des deutschen Vaterlandes.

„Wahrheit gegen Freund und Feind!“ Die öffentlichen Blätter, auf lawinenartig sich fortwälzende Gerüchte gestützt, haben den Hannoveranern viel Uebles nachgeredet. Es mag sein, daß sie bei der unsichern Hast ihres Zuges, und bei dem empfindlichen Mangel ausreichenden Proviantes und unentbehrlicher Transportmittel, da und dort bei ihren Requisitionen mit militärischer Rücksichtslosigkeit verfuhren und manchem Ort und mancher Flur empfindliche Nachtheile zugefügt haben. Das ist jedoch allüberall die unvermeidliche Begleitung des Krieges, der nun einmal nicht mit lackirten Saffianschuhen, sondern mit ehernem Fuße durch die Länder schreitet. Wir sind absichtlich vielen harten Klagen nachgegangen, welche den Hannoveranern wie krächzende Unglücksraben vorausflogen. Und wenn man sie bis zu ihren Quellen verfolgte, so wurde entweder aus dem Berge eine Maus, oder es bestätigte sich das alte Sprüchwort: „Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es wieder heraus“. Wo man vor den hannoverschen Truppen die Thüren verschloß, da schlugen sie freilich diese Thüren ein; wo man nicht willig gab, was sie nun einmal nicht entbehren konnten, da haben sie es ohne langen Proceß genommen; wo sich Menschen und Thiere vor dem anrückenden „Feinde“ geflüchtet hatten, da mußten sie sich selbst zu helfen suchen, wie es eben gehen wollte. Aber das Privateigenthum haben sie überall mit der strengsten Gewissenhaftigkeit respectirt, so daß sie eines Theils lachten, andern Theils aber auch böse wurden, wenn sie mit Blechlöffeln sich begnügen mußten, weil man in übertriebener Angst die silbernen versteckt hatte, auch die Saatfelder haben sie möglichst geschont, und ihre Bedürfnisse entweder baar, oder doch mit Anweisungen bezahlt.

Waren sie doch reichlich mit Geld versehen. Sobald die Officiere ihr Quartier betraten, entledigten sie sich gewöhnlich zuerst ihrer schweren Börsen und der langen Rollen, die mit neugeprägten Thalerstücken gefüllt waren. Und mit denselben geizten sie nicht. Wenn der Wirth keine Bezahlung annahm, so gaben sie reiche Trinkgelder in’s Haus. Selbst die Kinder, die sie zu ihren Quartieren führten, entließen sie selten ohne eine Gabe. Hier und da haben sie sogar, um sich irgendwie dankbar zu erweisen, die Armencassen bedacht und mit milden Händen Spenden ausgetheilt.

Mit einer überaus wohlthuenden Artigkeit und Bescheidenheit, welche nicht blos die Officiere, sondern die ganze Mannschaft charakterisirte, und mit einer Freundlichkeit, die für jede Belästigung tausend Mal um Entschuldigung bat und jeden Dienst mit einem warmen Händedruck vergalt, ging die strengste Mannszucht Hand in Hand. So weit unsere Erfahrungen reichen, nirgends ein Exceß, nirgends eine Klage. Als bei einem Barrikadenbau ein ermatteter Soldat aus einem Hause Breter holte, reichte ihm der Hausherr freiwillig ein Butterbrod und ein Glas Bier. Während er die willkommene Gabe verzehrte trat ein Officier zur Thür herein und fragte alsbald den Soldaten mit aufgeregter Stimme: „Was haben Sie hier zu thun?“ – „Ich habe Breter geholt,“ war die stotternde Antwort. Der Officier aber, der das Butterbrod in der Hand des Soldaten sah, zürnte ihm entgegen: „Wissen Sie nicht, daß Sie nicht das Geringste fordern dürfen?“ und führte ihn, selbst in diesem kritischen Momente, zur Strafe ab, ohne daß sich der Schuldlose auch nur mit einer Sylbe verantwortete. Der Hausherr klärte jedoch alsbald das Mißverständniß auf, daß es sich nicht um „Butter“, sondern um „Breter“ handle und daß dem Soldaten die leibliche Erquickung freiwillig gereicht worden sei. Natürlich ging er straffrei aus.

Solche kleine Züge kennzeichnen die Disciplin eines wohlgeschulten Heeres und sind für die hannoversche Armee um so ehrenvoller, je desolater sie aus ihrer Heimath ausgerückt war und je leichter ihre bisherigen Kreuz- und Querzüge die Bande der Zucht und Ordnung lockern konnten. Darum hatte man sich auch bald mit den vermeintlichen Feinden versöhnt. In Mühlhausen, in Langensalza und später in Gotha, sowie in vielen umliegenden Ortschaften, sind sie auf das Freundlichste bewirthet worden. Sie haben es dankbar anerkannt und selbst in öffentlichen Erlassen gerühmt.

In Illeben, einem Dorfe bei Langensalza, verbrachte ein Theil der ersten Brigade unter General von Knesebeck die traurigen Tage, in welchen die Capitulation abgeschlossen wurde. Als sie abziehen wollten, sagte der General zu den Ortsbewohnern, die sich noch einmal um ihre liebgewordenen Gäste versammelt hatten: „Habt tausend Dank für die gute Aufnahme, die wir in Euerm Dorfe gefunden. Eure Freundlichkeit hat uns den schmerzlichsten Tag unseres Lebens versüßt.“ Da wurden die Bauern so ergriffen, daß sie kaum der Thränen sich erwehren konnten, und drückten den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_459.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)