Seite:Die Gartenlaube (1866) 478.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

großen Bildes liegt doch in dem überwältigenden Eindruck von dem, was rastlose menschliche Thätigkeit aus einer für den Verkehr höchst günstigen Lage bereits gemacht hat und noch zu machen sich anschickt.

Die Insel Manhattan, auf deren südlichster Spitze vor dritthalb Jahrhunderten die Holländer das Dörfchen Neu-Amsterdam gründeten und auf welcher noch zu Anfang dieses Jahrhunderts außer dem zur reichen Handelsstadt New-York gewordenen holländischen Dorfe ein halbes Dutzend besonderer Dörfer Platz fand, deren Namen jetzt nur noch als Bezeichnungen für Straßen oder Viertel dienen, ist ein drei deutsche Meilen langer, doch an seiner breitesten Stelle nur zwei Fünftel Meilen, an dem dreiviertel Meile langen nördlichen Zipfel kaum dreitausend Fuß breiter Streifen Landes, welcher einen ungefähren Flächenraum von einer deutschen Quadratmeile hat. Sie liegt zwischen dem fünftausend Fuß breiten Hudsonstrom und einer Nebenmündung desselben oder einem besonderen Meeresarm, welcher durch den Harlemfluß (ebenfalls nur ein Arm des Stromes oder des Meeres) mit ihm in Verbindung steht und den Namen East-River (Oststrom) führt. An der stumpfen Südspitze der Insel vereinigen sich beide und bilden die von der Manhattan-Insel, Long Island, Staten Island und einem langgestreckten Zipfel des Festlandes von New-Jersey eingeschlossene, anderthalb deutsche Meilen lange und eine Meile breite innere Bay oder Rhede von New-York. Durch eine fünftausend Fuß breite Meerenge, auf deren schmales Fahrwasser die riesigen Fünfhundert- und Tausendpfünder der Forts Hamilton und Tompkins gerichtet sind, steht diese innere Rhede mit der äußeren in Verbindung, welche durch das sich in weitem Bogen um Staten Island herumschlingende Festland von New-Jersey gebildet wird und ungefähr drei deutsche Quadratmeilen umfaßt.

Auf dem rechten (westlichen) Ufer des Hudson liegt der Manhattan-Insel eine ihr an Gestalt ähnliche, nur mit dem schmalen Ende nach Süden hinabragende Halbinsel gegenüber durch den Hackensack-Fluß und die zur Newarker Bay ausgeweitete Mündung desselben im Westen begrenzt, ebenfalls drei deutsche Meilen lang, doch an der breitesten Stelle dreiviertel Meile breit. Nur die obere breite Hälfte der ganzen Länge bildet das unmittelbare Gegenüber von New-York, die schmale untere Hälfte ist das Westufer der Bay, im Süden durch einen tausend Schritt breiten Meeresarm von Staten Island getrennt. Die Halbinsel gehört zum Staate New-Jersey und hat bis vor wenigen Jahrzehnten, obwohl ihre Lage für den Handel kaum minder günstig, als die von New-York ist, nur einen spärlichen Antheil von dem Ueberschuß des in der großen Handelsstadt nach Anlagen suchenden Capitals erhalten. Aber seitdem hat sie einen raschen Aufschwung genommen. Zwei Städte (Jersey-City und Hoboken) mit zusammen an achtzigtausend Einwohnern, bilden den Kernpunkt für eine große Handelsstadt, die noch im Laufe des jetzigen Jahrhunderts, wie New-York, ein Dutzend besonderer kleiner Dörfer annectiren und dann bald genug ihrer Million Einwohner gewiß sein wird.

An der Begründung dieser Zukunftsstadt haben die Deutschen einen sehr hervorragenden Antheil. Denn die Stadt Hoboken ist vorwiegend deutsch, so sehr, daß die Communalverwaltung meist in deutschen Händen ist oder wenigstens unter deutschem Einflusse steht. Fast ausschließlich deutsch sind die westlich und nördlich davon im Laufe der letzten zwanzig Jahre hervorgezauberten Ortschaften Hudson-City, Union-Hill, Nord-Hoboken, Weehawken, Guttenberg. Auf den reizend-schönen felsigen Hügeln, welche sich dort bis hart an den Hudson drängen, bestehen volkreiche deutsche Ansiedelungen, in welchen Alles, außer der Bauart der Häuser, deutsch ist und wo an Sonntagen viele Tausende der in enger Häuser dumpfen Gemächern schmachtenden Arbeiterbevölkerung von New-York Erholung und harmlose Genüsse finden. Die auf der schmalen südlichen Hälfte der Halbinsel gelegenen zwölf Dörfer sind dagegen fast ebenso ausschließlich angloamerikanisch mit hier und da noch bemerkbarer Beimischung des ursprünglichen holländischen Elementes.

Zum östlichen Nachbar, nur durch den eintausendachthundert Fuß breiten East-River getrennt, hat New-York die Stadt Brooklyn. Ursprünglich eine bloße Vorstadt, in welcher die New-Yorker Kaufleute stille und behagliche, doch immerhin dem Geschäftstheile der Stadt nahegelegene Wohnsitze suchten, ist Brooklyn in einem halben Jahrhundert zu der an Einwohnerzahl drittgrößten Stadt Amerikas erwachsen. Ihre Bevölkerung zählt, nachdem sie sich vor zehn Jahren durch Annexion der Stadt Williamsburg und der Dörfer Greenpoint und Gowanus abgerundet hat, vollauf eine Drittel Million Seelen, steht also außer der von New-York nur der von Philadelphia nach und hat Boston langst überflügelt. Der Form nach ist sie ein rechtwinkliges Dreieck, dessen die Wasserfront bildende Hypotenuse mehrere Vorsprünge und Einbiegungen hat. Die lange Kathete, von der Gowanus-Bay bis zur dem Dorfe East-New-York, ist ein und drei Fünftel deutsche Meile lang; die kürzere, von East-New-York als Scheitelpunkt bis zur Einmündung des Newtown-Creek in den East-River reichend, ein und ein Achtel Meile. Die unregelmäßig geformte Wasserfronte der Stadt am East-River und der Bai mißt anderthalbe Meile, wovon schon jetzt volle zwei Drittel die erforderliche Tiefe als Anlegeplatz für die größten Seeschiffe haben.

Die Worte „schon jetzt“ bedürfen der Erklärung. In New-York, wie in Brooklyn, Jersey und Hoboken, sind die ursprünglichen, natürlichen Ufer der Ströme bis auf sehr wenige Ueberreste längst verschwunden. Ueberall hat man Land aufgeschüttet und so die Uferfront hinausgeschoben, bis sie an die für die größten Schiffe erforderliche Wassertiefe reichte. Riesenhafte Werke sind in dieser Richtung geschehen. Ueber die elenden aus halbverfaultem, zerbröckelndem und zerfallendem Pfahlwerk bestehenden Werften, welche von den Uferstraßen hunderte von Schritten weit in die Ströme hineinragen, haben schon viele an das solide und glatte Mauerwerk europäischer Häfen gewöhnte Touristen die Nasen gerümpft; aber daß Flächenräume, auf welchen die Einwohnerzahl mehr als eines kleinen deutschen Fürstenthums haust, durch Aufschüttung dem Strome und Meere abgewonnen sind, so daß ganze Flotten von Schiffen am Straßenpflaster anlegen und mit ihren Bugsprieten in die Fenster der Speicher stoßen können; daß auf einer Strecke von mehr als einer deutschen Meile rund um den südlichen Theil der Stadt ein Landstreifen in’s Wasser hinausgebaut worden ist, auf welchem zwei, ja drei Parallelstraßen hinter einander Platz haben – das bringen sie nicht in Anschlag. Was in dieser Richtung geleistet worden ist, davon kann man nur dann eine Anschauung gewinnen, wenn man einen Plan von New-York und seinen Nachbarstädten hat, auf welchem außer der jetzigen Hafenlinie das alte, natürliche Ufer bezeichnet ist. Da sieht man, daß in New-York viele Meilen lange Straßen stehen, wo noch vor hundert Jahren Fluth und Ebbe wechselten; man sieht an der Wasserfront von Brooklyn eine große Meeresbucht, welche noch vor neunzig Jahren der englischen Flotte Raum bot, die Wallabout-Bai, bis auf ein kleines Schiffsbau-Bassin verschwunden. Wo damals auf abgetakelten Schiffsrümpfen Tausende von amerikanischen Freiheitskämpfern durch englische Rachsucht so scheußlich zu Tode gemartert wurden, wie vor drei Jahren in dem Marterpferch zu Andersonville, da stehen jetzt auf trockenem Lande die kolossalen Baulichkeiten des Kriegsbauhafens, aus denen die gepanzerten Thurmschiffe hervorgegangen sind, und die Casernen der Seesoldaten. Und einige englische Meilen weiter südlich ist der Gowanus-Bai Gleiches widerfahren. Mehr als eine englische Quadratmeile Land ist dort bereits in’s Meer hinausgebaut worden. Die zwischen Brooklyn und der Südspitze von New-York gelegene Insel Governors-Island war von dem Ufer dessen, was jetzt Brooklyn ist und damals Feld war, durch ein so seichtes Gewässer getrennt, daß noch vor hundert Jahren die Bauern bei Ebbezeit hindurchwateten, um ihre auf der Insel weidenden Kühe zu melken. Durch die fortwährende Auffüllung hat man das Wasser so verengt und vertieft, daß die schwersten befrachteten Schiffe es unbehindert passiren. Noch heute heißt dieses Fahrwasser zur Erinnerung an jene frühere Zeit der Buttermilch-Canal. Noch Gewaltigeres ist innerhalb des letzten halben Menschenalters auf dem rechten Ufer des Hudson vollbracht worden. Zwischen den Städten Jersey und Hoboken erstreckte sich bis zu Anfang der fünfziger Jahre eine breite, seichte Bucht, zwei bis drei englische Quadratmeilen groß. Schon heute ist sie Festland und der darauf wohnenden nächsten Generation wird kaum noch eine Erinnerung an die Bai übrig sein. Denn man lebt gar rasch in Amerika und hält sich bei einmal Gethanem nicht auf. Was heute vollbracht ist, ist morgen schon alt und nach Jahr und Tag fast vergessen. Am südlichen Ende von Jersey, da wo die Halbinsel sich mit einer plötzlichen Einbiegung zu dem schmalen bis in die Nähe von Staten-Island hinabreichenden Halse verlängert, baut man jetzt ein Areal von einer Sechstel deutschen Quadratmeile in’s Meer hinaus. Mitten im Wasser sieht man da Pfahlwerke von mehreren tausend Fuß

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_478.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2016)