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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

war die alte hölzerne Kirche, von der die Chronica meldet, vom Blitz getroffen worden und ein Regensburger Kind, Herr Leo Dundorfer, der’s bis zur Bischofsmütze gebracht, der legte den Grundstein.“

„Und jetzt stehen wir im Jahre des Herrn 1514 …“ sagte der Hagere bedächtig rechnend vor sich hin … „also nicht volle dreihundert Jahr sind vergangen, seit die Gemeinde von Regensburg sich eines solchen Riesenwerks vermaß! Was ist diese Zeit für diesen Bau – wie ein achtes Weltwunder steht er jetzt schon da, wie ein ewiges Denkmal, was der feste Wille vermag und der gläubige Sinn!“

„Und vor Allem die Eintracht!“ setzte der Andere mit bedeutsamem Nachdruck hinzu.

„Sollt’ es daran gebrechen in dem reichen, mächtigen Regensburg?“ fragte der Hagere staunend entgegen und trat mit weit vorgestreckten Armen rasch an das Fenster, weil der Mann Anstalt machte, noch einen Flügel desselben zu öffnen. „Wollt’ es auch nicht übel vermerken, so ich Euch ersuche, das Fenster zu schließen. Ihr möget wohl an derlei gewohnt und dafür gehärtet sein, dieweilen mich mein asthmatisches Leiden zwingt, alle Verkühlung zu meiden.“

„Soll geschehen, Herr,“ erwiderte der Angeredete; „wollt’ Euch nur Gelegenheit geben, auf die Frage, so Ihr eben gestellt, die Antwort recht deutlich von außen zu hören … horchet einmal …“

Durch die inzwischen völlig eingetretene Dunkelheit erscholl von draußen her wüstes, verworrenes Geschrei, vermischt mit Waffengeklirr und einzelnen, scharf gellenden Glockenschlägen.

„Ihr müßt nicht lange in deutschen Landen und noch kürzere Frist in Regensburg sein, Herr,“ fuhr der Mann fort, indem er das Fenster schloß, „sonst wüßtet Ihr, daß das nicht mehr die reiche, mächtige Stadt ist, die Ihr in Gedanken haben mögt! Die drei Säcula sind nicht darüber weggezogen, ohne gar Manches zu ändern … der Gemeingeist ist erloschen, Rath und Bürgerschaft liegen miteinander seit Jahren in Hader und Zwietracht und drüber haben sie’s versehen, wie die gierigen Nachbarn uns allmählich eingebunden und eingeschnürt haben, daß wir uns nicht mehr regen können … die Bürger können und wollen nicht mehr steuern, denn das reiche Regensburg ist verarmt, die Christenheit aber ist lau geworden im Glauben, und darum ist auch das Gnadenbrünnlein versiecht, das der Papst dem Dombau verliehen … die Ablaßpfennige fließen nur mehr tropfenweise.“

Der Hagere schüttelte bedächtig das ernste Haupt. „Freilich, so es sich also verhält,“ sagte er, „sind das schlimme Anzeichen und Prästigia! Habe all’ das nicht so gewußt, weil ich erst kürzlich von einer weiten Reise aus Hispania zurückgekommen, so ich im Auftrage des Kaisers Maximilian vollführt, um kostbare Bücher und Handschriften aufzuspüren. Der Kaiser ist ein Freund und großgünstiger Mäcenas der Künste, und wie ich wieder zu ihm komme, werde ich ihm Vorstellung machen, daß er ein gnädig Einsehen nimmt und auch dafür sorgt, daß der Zwietrachtsgöttin, die den Zankapfel in diese Stadt geworfen, die Hände gebunden werden. Werd’ ihm auch von Euch erzählen, Meister, denn seit ich das Sacramentshäuschen gesehen, das Ihr in dem Dome ausgeführt, habt Ihr keinen eifrigern Verehrer Eurer Kunst, als den alten Doctor Leonardus Stabius! Werde kaiserlicher Majestät sicher von Euch erzählen und ich darf mich wohl rühmen, daß mein Wort Gewicht hat in seinem Sinn: ist er es doch gewesen, der mich mit aller Gnade überhäuft, auch eigenhändig vor dem ganzen kaiserlichen Hofe als Poeten gekrönet hat. … Sagt doch, Meister, seid Ihr nicht ein Nachkomme des berühmten Steinmetzen Roritzer, der am Stephansdom zu Wien mitgeholfen und das Beste gethan bei der Lorenzer-Kirche in Nürnberg?“

„Es war mein Ahn, Herr Stabius,“ entgegnete der Meister, „und hieß Wolfgang, wie ich; mein Vater, Matthias Roritzer, ist nach ihm Dommeister gewesen.“

„Und was Vater und Sohn begonnen,“ sagte Stabius und bot Roritzer lächelnd die Hand, „das wird der Enkel vollenden! Ihr seid noch zu guten Jahren, Herr Dommeister, möget immer noch so ein vierzig Jährlein vor Euch haben, zu wirken und zu schaffen … Gebet Acht, meine Prophezeiung wird sich erfüllen und als der größte Eures Namens werdet Ihr die Reihe schließen und der letzte Dommeister sein!“

„Ihr meint es wohl gut mit mir, Herr Doctor,“ erwiderte Roritzer, „aber ich weiß nicht, wie es geschieht, es will keine rechte Freudigkeit, keine feste Zuversicht mehr aufkommen in meinem Gemüth! Gebe Gott, daß Euer Spruch sich nicht in schlimmem Sinn erfüllt … drüben auf dem großen Quaderstein, den ich Euch vorhin gezeigt, sind all’ die Werkzeichen derer eingehauen, die als Steinmetzen und Dommeister an dem Bau mitgeholfen; es ist Brauch so, daß Jeder in der Hütte sein Zeichen zurücklaßt.“

„Welch’ ein Zeichen habt Ihr gewählt?“

„Ein schwarzes Kreuz, Herr, am untern Stamm gebrochen. Das Kreuz wird einmal auch in dem Quaderstück eingehauen stehen und das wird vielleicht Alles sein, was man von Wolf Roritzer wissen wird… Weiß man mehr von Meister Ludwig, der den Werkplan gemacht? Von Meister Andreas, der den Chor gebaut? Aber wenn es so ist, soll’s mich nicht kränken, ich begehre nicht mehr als sie! Drum ist unsre Kunst die größte von allen, weil Einer allein ein solches Werk nicht ausführen kann, weil ihrer Viele zusammenhelfen müssen und weil ein Jeder sich selbst vergessen muß über dem Werk, das sie schaffen alle nacheinander und doch miteinander. Mir soll’s genug sein, auch mein redlich Theil daran geschaffen zu haben … wüßt’ ich’s nur gewiß, daß der Bau nicht stocken wird, daß er einmal vollendet dasteht …“

Der Poet wollte erwidern, aber die Thür ging auf und der Gruß eines rasch Eintretenden schnitt ihm das Wort vom beredten Munde ab. Es war ein kleiner, stark beleibter Mann mit rothem, fröhlichem Gesicht und munteren Augen, zu denen das schneeweiße, starke und etwas wirre Haupthaar ganz wundersam stand, ein Greis mit dem Aussehen, der Behendigkeit und dem Feuer eines Jünglings. „So hat’s das Blitzmädel doch errathen!“ rief er lachend. „Da sitzt er richtig einsam und in der Finsterniß wie eine Nachteule! Hast wohl die Weinglocke überhört, Wölflein? Ich war schon zweimal in der Donauwacht und hab’ nachgesehen im güldenen Greiffen; Sibylle, das Schenkmädel, hat auch um Dich gefragt und hat dabei ein paar Augen gemacht, so verdreht und verwirrt, daß sie mich schier dauerte… Da bin ich nun hergelaufen und will Dich fragen, ob Du nicht weißt, daß ein richtiger Steinmetz, wenn er den Tag über genug Sand geschluckt hat, Abends hinter den Schenktisch gehört?“

„Kugle Dich nur erst vollends herein,“ erwiderte Roritzer, indem er Feuer schlug und mit dem Schwefelfaden eine alte Metalllampe anzündete, deren Form mit Schnabel und Henkel hohes Alter verrieth. „Laß Deine Schwänke, Alter, und sieh Dich um, wir sind nicht allein … Vermerkt es nicht übel, Herr Doctor,“ fuhr er gegen Stabius gewendet fort, „daß Ihr solchen Gruß vernehmt, es ist mein allzeit lustiger, fürtrefflicher Freund, Meister Loy, der Bildschnitzer …“

„Wie?“ rief Stabius, indem er beide Hände erhob und verwundert einen Schritt zurücktrat. „Ihr seid Loy? Hans Loy der Bildschnitzer? Der berühmte Loy?“

Der muntere Greis besah sich etwas verwundert den Fragenden und ein gutmüthiges Spottlächeln zuckte ihm um die Lippen. „Berühmt?“ sagte er dann. „Davon spür’ ich nichts, aber das hab’ ich sagen hören, daß die Köpfe und Figuren, die ich schnitze, Menschen eher gleichsehen, als Affen!“

„Ihr seid Loy?“ rief Stabius wieder, der sich von seinem Erstaunen noch immer nicht erholen konnte. „Ihr habt den engelischen Gruß in der Rosenkrone geschnitzt, der in der Stiftskirche zu Straubing hängt?“

„Habt Ihr ihn gesehen, Herr?“ fragte der Bildschnitzer noch immer etwas unsicher.

„Gesehen und bewundert! O, welch’ ein glückseliges Gestirn ist es, so über dem heutigen Abend regiert und mich zu zwei solchen Männern und Künstlern geführt! Ich werde den Tag im Kalender roth anstreichen. Wie wird mein kaiserlicher Herr sich freuen, wenn ich ihm von dieser Begegnung erzähle! Und wie will ich ihm erzählen; Ihr sollt zufrieden sein, wie ich Euer gedenken werde, Meister Loy, und Euer, Herr Roritzer!“

„Das ist all’ ganz gut, Herr,“ sagte Loy, der Stabius noch immer prüfend, wie mit Kenneraugen, betrachtete. „Aber ich weiß ja gar nicht …“

„Ihr wißt nicht, wer ich bin … mein Name ist Stabius, Leonardus Stabius, kaiserlicher, gekrönter Poet, auch der sieben freien Künste Doctor.“

Der Ausdruck in dem Gesichte des weißköpfigen Bildschnitzers ward immer eigenthümlicher und immer stärker zuckte es um seine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_506.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)