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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

von einem solchen Nachtmarsche nach einem solchen Tage? Müde und hungrig die Leute und Pferde, schläfrig beide, und jedes Steinchen im Wege rüttelt Roß und Reiter wach! Um drei Uhr am 27. früh ging’s nicht weiter; wir saßen ab, bivouakirten auf der Stelle und fütterten die Pferde. Bivouakirten, wenn nämlich ein Lagern ohne Holz und Stroh, ohne Lebensmittel und Getränk so genannt werden kann. Kurz, die Sonne begrüßte eine unsäglich ausgenüchterte, übernächtige Schaar und schien durch dreifache Gluth uns unsern Hunger vergessen machen, dafür aber unsern Durst und unsere Müdigkeit bis in’s Unerträgliche steigern zu wollen. Gegen sechs Uhr brachen wir wieder auf und, ich gestehe es, schlapp hingen wir auf unseren schlappen Pferden. So quälten wir uns fort und kletterten bald nach acht Uhr in brennender Sonnenhitze die Höhen von Nachod empor, wo wir in gänzlicher Erschöpfung ein wenig ruhten. Die Unbehaglichkeit unserer geistigen und körperlichen Verfassung läßt sich nur von Einem nachfühlen, der selber Aehnliches durchgemacht, und wir mußten uns wohl herzlich schlecht ausnehmen, als wir uns nun in Escadrons-Zugcolonnen neben die ersten ostpreußischen Ulanen Nr. 1 setzten, die offenbar frisch, durch Nachtruhe gestärkt und durch Morgentoilette bei Weitem sauberer waren. Unsere katzenjämmerliche Stimmung klärte sich durchaus nicht auf, als einige Granaten dahergesaust kamen und in unseren Reihen crepirten – ein unangenehmes Frühstück bei so gänzlich leerem Magen. Und doch mußten wir in regungsloser Unthätigkeit halten bleiben. Das waren recht häßliche Minuten für unser junges, vor wenigen Jahren erst geschaffenes Regiment. Gott sei Dank! es zuckte Niemand und Jeder von uns begriff die Nothwendigkeit.

Endlich, endlich, vorwärts Marsch! Von Wisoka her zeigte sich feindliche Cavalerie, und jetzt in’s Gefecht! Dieser Anblick ersetzte uns vollkommen eine achttägige genossene Ruhe in der Garnison. Die Dragoner richteten sich auf, fort war jede Müdigkeit, fort jeder Hunger und Durst, jedes Auge sprühte Kampfbegier und unwillkürlich nahm die linke Faust die Zügel straffer. Es wäre nicht nöthig gewesen, denn auch die Pferde waren wie umgewandelt; ich sage Ihnen, sie wußten, um was es sich handelte, und nach mehrtägiger Ruhe vor gefüllter Krippe hätten sie nicht kräftiger und muthvoller sein können.

Die helle Trompete befiehlt Deployiren und die Regimenter entfalten sich in langen geschlossenen Linien. Drüben die stolzen, altberühmten Kürassier-Regimenter Kaiser Ferdinand, errichtet 1672, und Graf Stadion, errichtet 1682; fest geschlossen im Trabe uns entgegen! In einer halben Minute! Galopp! Fest die Schenkel, locker, aber sicher die Zügel! Sind wir nicht auch Reiter mit guten Pferden, starken Fäusten und scharfer Klinge? Fanfaro! Mit furchtbarer Gewalt und donnerndem Hurrah mitten hinein in den Feind. Die furchtbaren Pallasche der mächtigen Kürassiere sausen auf die leichten Dragoner herab; allein diese wissen sich zu decken, beugen sich unter der Parade herab; scharfe Terz oder Stich nach. Wüthender Einzelkampf, und die schnaufenden Pferde verstehen den Kampf, unterstützen ihren Reiter. Rittmeister v. Walther schwenkt mit seiner Schwadron, die den linken Flügel hat, rechts ein; Hurrah, den Ferdinand-Kürassieren in Flanke und Rücken! Und die flinken Dragoner entfalten eine ungeahnte Fertigkeit in Hieb und Stich. Mitten im Getümmel sieht Lieutenant v. Raven die feindliche Standarte in seiner Nähe. Dorthin, mein braves Roß! und mit geschwungener Klinge stürzt er sich darauf los. Eine mächtige Quarte, und herab sinkt der Kürassier, der sich ihm entgegenstellt. Aber wehe, in vier furchtbaren Pallaschen schwebt der Tod über ihm; doch die Seinen haben es bemerkt. Unterofficier Reudelsdorf, Trompeter Tuchale und einige Dragoner fangen die Hiebe auf, unterlaufen die Gegner. Ein gewaltiger Satz des Pferdes und Raven greift nach der Standarte, in der rechten Faust hoch geschwungen den Säbel. Gänzlich zügelfrei hebt sich das kluge Roß, es versteht den Moment.

„Her die Standarte!“ und die Linke umklammert den Schaft. Aber ein braver Soldat vertheidigt sie, und ein mächtiger Hieb mit dem Pallasch ist die Antwort. Raven sah den Hieb kommen, seine Klinge parirt ihn, seine Linke läßt den Schaft nicht los, und sein treues Pferd erleichtert ihm durch eine Drehung den furchtbaren Kampf. Er muß die Standarte haben und der brave Feind muß fallen. Er hebt sich im Sattel zurück, legt die Klinge zum Stich aus und bevor der gegnerische Pallasch die wuchtige Schwingung vollendet, zischt die leichte Dragonerklinge bis zum Heft in des wackeren Feindes Brust. Die ersterbenden Finger lockern sich vom Schaft der geliebten Standarte, ein letzter Blick auf sie und der Kürassier sinkt schwer hinab in das Chaos von Menschen- und Pferde-Leibern. Der glückliche Raven schwingt die schwer erbeutete Standarte über seinem Haupte und dringt mit den Seinen weiter vor, die Kürassiere den tapfern Ulanen zudrängend, die ebenfalls die Stadion-Kürassiere geworfen und ihnen die Standarte abgenommen hatten.

Die feindliche Artillerie schützte die beiden Regimenter vor weiterer Verfolgung. Signal-Appell sammelt unsere Leute hinter einem Hügel und nur mit Mühe sind sie von einer wüthenden Verfolgung zurückzurufen. Von vorheriger Müdigkeit, Entkräftung nicht die leiseste Spur mehr! Die erste Zeile in der Geschichte des Regiments war ein Sieg, eine eroberte Standarte; das Regiment war begierig geworden, die zweite Zeile zu schreiben. Sein Commandeur, Oberstlieutenant v. Wichmann mit einem Hiebe über den Kopf und blutüberlaufenem Gesicht, reitet soeben herbei auf dem Pferde des Wachtmeisters Grindel, der mitten im Kampfe seinem Commandeur unter dem gestürzten Pferde hervor und auf sein eigenes Pferd geholfen hat. Doch da kommt auch bereits der wackere Grindel auf einem erbeuteten Pferde dahergesaust. Die Verwundeten, darunter fünf Officiere, werden zurückgebracht, und jubelnd stürzt sich das Regiment auf eben sichtbar gewordene feindliche Infanterie-Bataillone. Zwei Carrés werden vollständig zersprengt und überritten. Die Dragoner sind kaum zu halten; wo sich von Neuem feindliche Infanterietrupps ansammeln, wird von Neuem attakirt. Und so schreibt das Regiment das erste Blatt seiner Geschichte mit seinem eigenen Blute. Major von Natzmer todt, viele Officiere verwundet, dreißig Mann todt und verwundet!

Lieutenant von Raven hat von allen Gefechten nicht die geringste Schramme davongetragen und theilt die Glückwünsche seiner Vorgesetzten redlich mit denjenigen Dragonern, die im Moment der Gefahr ihm so wacker beigestanden.




Ueber Liverpool nach Castle-Garden.
Eine Warnung für Auswanderer.


In den „Deutschen Blättern“ stand einmal eine Notiz, die den Titel führte: „Nicht über Liverpool“ und eine sehr berechtigte Warnung an Auswanderer enthielt. Es möchte hier nicht ganz am unrechten Platz sein, meine eigenen Erlebnisse „via Liverpool“ zu erzählen, um damit jene Notiz zu illustriren.

Wie viele deutsche Schriftsteller, hatte ich sehr wenig Geld, als ich im August 1862 nach Hamburg kam, um von da nach New-York zu gehen. Ich konnte deshalb Alsterbassin und Jungfernstieg nicht lange genießen, sondern mußte mich nach einer Fahrgelegenheit umsehen, „durch das dicke Wasser zu gehen“, wie die Indianer sagen. Unglücklicherweise waren die Hamburger Steamer fort und den Bremer Dampfer hätte ich auch nicht mehr erreicht, selbst wenn meine Reisemittel bis dort gelangt hätten. Was war zu thun? Mein Wirth antwortete mir darauf: „Wenden Sie sich an Falke und Comp. und gehen Sie via Liverpool!“ Was wußte ich, welche Schrecknisse sich mit den Worten „via Liverpool“ verbanden, was wissen noch heute die Auswanderer davon?“

Ich suchte die obenerwähnten Raubvögel aus, welche leider nicht den zoologischen Garten bevölkerten, sondern recht anständig wohnten, stellte mich als Mitglied der Presse vor und erhielt die Versicherung, daß ich prompt und in süperber Weise „via Liverpool“ expedirt werden würde. Die Ueberfahrtssumme war, um der Wahrheit die Ehre zu geben, eine so geringe, daß mir sogar noch zehn Dollars Gold – ein Vermögen für einen reisenden deutschen Journalisten – in der Tasche blieben.

Die Art und Weise unserer Versendung war indessen eine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_526.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)