Seite:Die Gartenlaube (1866) 528.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Hat der Dampfer die Erlaubniß, seine lebendige Fracht zu löschen, so legt sich ein ansehnlicher Steamer an seine Seite, der jedoch, trotz seiner Größe, neben der „Arche Noah mit dem allerlei Gethier“ wie ein hübsches, kleines Spielzeug aussieht. Die Emigranten werden jetzt darauf geschickt, wenn nicht getrieben, und er trägt seine kostbare, für Amerika unbezahlbare Last nach dem Castle-Garden. Dahin wollten wir eben. Castle-Garden liegt am südlichen Ende der Manhattan-Insel und ist ein großes, rundes Holzgebäude, halb Musenhalle und halb Viehpferch, wie man sich weniger ästhetisch als richtig ausdrücken, könnte. Der Castle-Garden ist zum Schutze der Einwanderer errichtet worden, da dieselben vor seinem Bestehen zu sehr den Beutelschneidereien der Vertrauensmänner, Taschendiebe und anderer Edler dieser Kategorie ausgesetzt waren. Ganz sind sie natürlich auch heute nicht dagegen geschützt und es soll sogar dagewesen sein, daß die Aermsten von gewissen Beamten des Castle-Gardens unverantwortlicher geprellt und bestohlen wurden, als sonst von den unbezahlten Dieben. Es gab eine Zeit, in welcher der Castle-Garden dasjenige Gebäude in New-York war, welches die meisten Menschen faßte, und deshalb hielt Barnum auch darin seine monströsen Jenny-Lind-Concerte ab, die bekanntlich von ganz ungeheuren Menschenmassen besucht waren. Ich kann nichts Genaues über die Größenverhältnisse dieser alten Bude angeben, halte das auch an diesem Orte für nebensächlich, möchte aber doch die Zahl der Personen, welche der große, amphitheatralisch gebaute Saal faßt, auf zehntausend schätzen.

Wenn ein Emigrantenschiff telegraphisch angekündigt ist, nimmt der Castle-Garden sogleich ein geschäftiges Aussehen an. Die Beamten schnallen ihre strengen Dienstgesichter vor, denn bei den „Grünen“ imponiren noch die altgewohnten Fratzen; die Polizei setzt sich in Positur; der persönliche Schutzengel der weiblichen Passagiere, Madame S…, wird noch einmal so dick vor Vergnügen, da sie es sich zur besondern, nicht bezahlten Aufgabe gemacht hat, die frischankommenden oft sehr arglosen Tauben vor den Krallen gewisser Raubvögel zu bewahren. Der ganze Castle-Garden bekommt ein officielles Aussehen und bläst sich förmlich auf vor Lust.

Das bemerken sogleich die wohlbestallten Eckensteher am Castle-Garden und bringen im Geschwindschritt die Neuigkeit an ihre Geschäftsfreunde, so da sind: Boardinghauswirthe, Gesindevermiether, Schwindler, Arbeitsgeber, Preßmeyer etc. Sofort entsteht nun eine kleine Völkerwanderung gen Castle-Garden und dieser Strom zieht wieder Neugierige und Müßiggänger an, so daß die Neuankommenden sich zu ihrem Erstaunen in das Gewühl eines Jahrmarktes versetzt glauben. Auf diesem Jahrmarkt, wo nicht selten Seelen verkauft werden, bekommen die „Grünen“ den ersten blassen Begriff davon, daß „Amerika ein großes Land“ ist. Der Menschenstrom darf indessen durchaus nicht in den Castle-Garden hineinfluthen, dagegen ist die Polizei, welche sich am Eingang postirt hat und Jeden zurückweist, der unbekannt oder sonst nicht bei der Polizei accreditirt ist. Letzteres wird man indessen leicht auf dem nicht mehr ungewöhnlichen Wege des Trinkgeldgebens.

Die Emigranten treten jetzt von der Flußseite des Castle-Gardens ein und bewegen sich in schüchternem Gänsemarsch auf die Sitze der Beamten zu. Vor diesen ist eine Vorkehrung getroffen, daß nur immer eine Person dem Pulte gegenüberstehen kann, damit kein Gedränge entsteht. Diese eine Person muß ihren Namen, ihr Alter und ihr Geschäft angeben; gewöhnlich fragt man sie auch, ob sie weiterreise oder in New-York bleibe, und bietet ihr für den ersteren Fall Billete an, die hier nach allen Weltgegenden der Union zu haben sind. Fremde thun sehr gut, sich hier solche Billets zu kaufen, denn sie sind sicher, damit in keiner Weise beschwindelt zu werden. Betrügereien mit Fahrbillets sind nämlich in New-York an der Tagesordnung und es ist vorgekommen, daß Emigranten, die nach irgend einer anderthalbtausend Meilen entfernten westlichen Stadt wollten, mit schwerem Gelde ein Billet kauften, welches auf eine Stadt gleichen Namens im Staate New-York lautete. Andere erhielten gefälschte oder ungestempelte Billets, noch andere wurden in den Preisen betrogen, und es wird deshalb von Einwanderern sehr klug gehandelt sein, die Fahrbillets, entweder im Castle-Garden mit Beihülfe eines Beamten, in einer der großen Billet-Agenturen in der Stadt, oder direct an der betreffenden Eisenbahn zu kaufen. Bei Zwischenhändlern und besonders solchen, die von ermäßigten Preisen reden, ist die Sache stets riskirt.

Sind die Emigranten eingeschrieben, so behindert sie nichts mehr in die Stadt zu gehen, und sie machen davon mit einer Art zitternder Hast Gebrauch. Unzählige Fragen der Neugierde sollen jetzt beantwortet werden und viele suchen nach einem guten Omen für die Zukunft bei dem ersten Betreten des gelobten Landes der neuen Welt. Was ihnen indessen zuerst entgegentritt, das sind die bösen Omen der Boardinghauswirthe, diese nothwendigen Uebel der Metropole. Sie strecken mit süßholzsüßer Miene ihre langen Spinnenbeine nach Dir aus, Dich in ihr schmutziges Raubnest zu ziehen, und Du kannst eben nichts Besseres thun, als Dich einem von ihnen anzuvertrauen, denn Deine Baarschaft reicht gewöhnlich nicht so weit, um in der Maison dorée, im Fifth-Avenue-Hôtel, oder im Spencer-House täglich sechs Dollars zu bezahlen. Suche also nicht lange, wähle Dir den ersten, besten aus, besonders, wenn er anständig gekleidet erscheint und ein dicker Mensch ist, denn dicke Menschen sind selten schlecht.

Indirecten Schlechtigkeiten sind die Neuankommenden fast immer ausgesetzt. Man betrügt sie, wo man weiß und kann, berechnet ihnen ihr Gold zu niedrig, nimmt ihnen zu hohe Logispreise ab, quartiert sie in schlechtere Kammern ein, als sie beanspruchen können etc. Das will indessen Alles nicht viel sagen, denn weit schlimmer ist es, in gewisse Hände zu gerathen, die mit Menschenfleisch handeln. Solche Satanswirthe giebt es hier auch. Sie wissen den Einwanderer dahin zu bringen, daß er sich nicht sogleich nach Arbeit umsieht und sein Letztes bei ihnen verzehrt. Ist das Geld einmal zu Ende, so folgen diesem bald die Effecten, und nun redet der brave Wirth seinem Gast zu, hier oder dort Beschäftigung zu nehmen, einen Contract mit dem Süden abzuschließen, oder Aehnliches; beißt der Fisch an, so streicht der Wirth ein, was er für den Seelenverkauf erhält, und der Verkaufte geräth in das Verhältniß eines Sclaven oder Hundes. Schlimmer geht es natürlich noch mit den Mädchen.

Wie eigenthümlich gemeiner Art die Schwindeleien sind, welche man sich mit den „Grünen“ erlaubt, davon möchte ich Ihnen ein kleines Beispiel mittheilen, das ich selbst erlebte:

Derselbe Schwede, welcher den Liverpooler Wirth durch das Treppenloch warf, bittet mich, mit ihm Hemden kaufen zu gehen. Wir begeben uns zu einem jüdischen Kleiderhändler in Greenwich-Street, unweit von unserem Boardinghause, und kaufen Hemden, die natürlich mit Papiergeld bezahlt wurden, weil man eben in der Kriegszeit kein anderes Geld hatte. Der Kleiderhändler nimmt die Note, betrachtet sie genau, durchsucht den sogenannten „Banknoten-Reporter“, um ihre Echtheit zu prüfen, und giebt endlich darauf heraus. Wir gehen und sind bereits wieder eine Stunde im Gasthof, als der Mann athemlos hereinstürzt und uns erklärt, die Note sei falsch und wir hätten ihn wissentlich mit derselben betrogen.

Meinen Schreck können Sie denken, denn es ist in Amerika durchaus keine Kleinigkeit beschuldigt zu werden, falsches Geld in Umlauf gesetzt zu haben. Indessen der Schwede war schon in Californien gewesen und kannte das.

„So,“ sagte er, „die Note ist also falsch?“

„Total falsch!“

„Zeigen Sie doch einmal!“

„Ich denke nicht daran, werde mich hüten die Note aus der Hand zu geben.“

„Dann sind Sie ein Schwindler!“

„Herr, ich lasse Sie arretiren!“

„Möchte wissen, mit welchem Rechte! Halten Sie mich für so verdammt grün, daß ich meine Noten nicht zeichne? Hier, meine Herren, ist mein Taschenbuch, sehen Sie nach, ob eine Note darin ist, die nicht meine Namenschiffre auf der Rückseite hat, und dann untersuchen Sie die Note, die der Schuft da hält. Außerdem habe ich Zeugen, daß der Kerl vorher eine Stunde im ‚Banknoten-Reporter‘ nachsah, ehe er das Geld nahm; ist dies falsch, so ist das jetzt seine Sache und ich will verdammt sein, wenn ich den Kerl jetzt nicht auf die Straße werfe, daß er die –hölzer bricht.“

Der Schwede erhob sich, aber der Mann der Speculation wartete ihn nicht ab, sondern entfernte sich schimpfend. Ohne die Vorsicht des Schweden wäre unsere Lage eine mißliche gewesen, denn der Spitzbube würde uns arretirt haben, wenn wir die von ihm untergeschobene falsche Banknote nicht durch eine echte eingelöst hätten.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_528.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)