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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 35.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Dommeister von Regensburg.
Geschichtliche Erzählung von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Roritzer’s Ton war feierlich, fast bewegt geworden. Er wandte sich der Thür zu, an der Schwelle blieb er stehen; ein Gefühl bemächtigte sich seiner, als habe er etwas vergessen, als lasse er etwas hinter sich zurück, dessen er sich augenblicklich nicht klar bewußt war und das er doch vermißte. Mit Rührung glitt sein Blick an den Wänden des Gemachs hin, das so lange die stillverborgene Werkstatt seines künstlerischen Schaffens, seine ganze Welt gewesen und aus welchem er nun hinausschritt in eine neue, fast unbekannte Welt, aus der Ruhe in die Bewegung, aus dem Frieden in den Sturm. Auch die Meister mochten ahnen, was ihm durch die Seele ging; sie standen in tiefem Schweigen und gaben ehrerbietig Raum, als er sich sammelnd zwischen ihnen hindurchschritt.

Der alte Loy war als der Letzte zurückgeblieben, die Thür zu schließen. Auch sein Auge glitt durch das Stübchen und blieb wie zufällig an dem Arbeitstische haften und an dem daraufliegenden Zeichnungsblatt.

Er trat hinzu.

„Wie schön!“ rief er überrascht, als er die Gestalt erblickte, an welcher Roritzer gezeichnet hatte. „Wahrhaftig … ein Engel, an dem er mir nicht einen Zug mehr ändern soll, der Trotzkopf! Diese Gewandfalten … wie sie dem Jungen nur so einfallen können … aber der Kopf, das Angesicht … hab’ ich das nicht schon irgendwo gesehen? … So, so,“ fuhr er dann mit bedächtigem Kopfnicken fort, indeß er mit der Hand über die Stirn und seine spärlichen Locken strich … „also darum war der Entwurf zum Beschauen noch nicht reif? Darum wollt’ er nichts wissen von meinem fürtrefflichen Antrag? … Sieh einmal, die Enkeltochter Lyskirchner’s, des hochmüthigen Kämmerers! … So hoch will das Wölflein hinaus? Das gefällt mir von ihm … das Mägdlein ist brav, ich hab’ sie nie anders gekannt, und schön … bei meinen Augen, schön ist sie auch … aber ob sie meinen Jungen auch lieb haben, ob sie der Schutzengel seiner Liebe werden wird, wie er sie da auf den Altar gezeichnet? … Und wenn es ist … Einer wird’s doch das Herz brechen … armes Dirnlein, arme Sibylle!“

– Indessen hatte es auch schon in den Gängen und Gemächern des Rathhauses sich zu regen begonnen, wo sonst außer den Rathsstunden und der Gerichtszeit nur das tiefste Schweigen waltete. Ein hagerer Mann kam mit raschen Schritten durch den Hauptgang gegen die Thurmstiege daher, aber trotz aller Eile übte er große Vorsicht, denn bei jedem Schritte hob er die Beine vorsichtig, um kein Geräusch zu machen, und hielt den Schlüsselbund am Gürtel mit beiden Händen gefaßt, daß er nicht rasselte. Plötzlich schrak er zusammen, als ob ihn unerwartet ein Schlag oder Stoß getroffen; vom andern Ende des Ganges her dröhnte eine mächtige, rufende Männerstimme, daß es an den Gewölbrippen widerhallte; mehr schwankend als gehend kam der Hagere an der Stelle an, von welcher das Rufen ausging. „Ihr seid es, Herr Kraft Dollinger?“ seufzte er, als ihm um die Ecke eine riesige Mannsgestalt entgegentrat, in Pickelhaube und Brustharnisch, ein mächtiges Schwert mit Korbgriff an der Seite. „Wie habt Ihr mich erschreckt durch Euren Ruf! War’s doch nicht anders, als ob schon die Posaune geblasen würde zum jüngsten Gericht. Ihr glaubt nicht, wie’s in diesen Gängen hallt und dröhnt, als wären ihrer Hundert da, die jeden Laut nachriefen!“

„Was soll man anders thun, als rufen?“ erwiderte mit dröhnender Stimme der Gewappnete. „Keine Seele läßt sich blicken, drum meld’ ich mich nach Kriegsbrauch. Ich bin Hauptmann und erster Rottmeister der Stadtknechte von Regensburg und bin mit dem frühesten Morgenschein auf’s Rathhaus beschieden … ist Herr Lyskirchner, der Stadtkämmerer, noch nicht da?“

„Wie könnt Ihr so fragen, Herr Dollinger,“ sagte der Hagere, „seit einer Stunde ist er schon oben und rathschlagt und arbeitet in’s Geheim’…“

„Wer ist bei ihm?“

„St! st!“ rief der Rathsvogt mit abwehrender Geberde, „es ist mir verboten, davon zu reden, und mit Herrn Lyskirchner, Ihr wißt es wohl, ist nicht zu scherzen … ich sag’ Euch nur so viel, es wird heiß hergehen heute, es giebt ein Unglück!“

„Ihr seid ein furchtsamer Unglücksvogel!“ sagte der Rottmeister, indem er mit dem Vogt die Treppe hinanstieg. „Ihr könntet einen anstecken mit Eurem Geflüster und Eurem Angstgesicht, wenn man das Fürchten nicht abgelegt hätte, wie man in den Harnisch kroch. Woher soll das Unglück kommen? Entweder Rath und Gemein’ vertragen sich heut miteinander, oder sie vertragen sich nicht; thun sie’s nicht und es kommt zum Dreinschlagen, so ist’s immerhin besser, als der elende Zustand zwischen Frieden und Fehde, in dem man kein Herz hat für keins von Beiden, und vertragen sie sich, so haben wir Ruhe wieder und Einigkeit, und das werdet Ihr doch kein Unglück nennen?“

„Es ist doch, wie ich sage,“ flüsterte der Rathsvogt wieder, indem er auf einem Treppenabsatz stehen blieb und ängstlich um sich blickte. „Ich lass’ es mir nicht nehmen, wer so lange, wie ich, in dem großen, unheimlichen Gebäude gelebt hat, der hört und sieht und weiß gar Manches, was einem Andern nicht einfällt sein Leben lang… Drunten in der Folterkammer hängt das große

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_537.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)