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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Eure Anwesenheit,“ entgegnete der Stadtkämmerer unterwürfig, „ist wohl die beste Widerlegung und Gegenprobe gegen diesen schweren Vorwurf, diese ebenso kränkende wie grundlose Incrimination! Euch ist nicht unbekannt und auf dem Wege hieher konntet Ihr Euch überzeugen, daß ich insgeheim und nur mit Wenigen einverstanden im Namen der Stadt Soldknechte geworben; Ihr wißt, daß sie sich zu Stauf versammeln; daß Herzog Albrecht von Baiern, noch immer der Stadt ein wohlgewogener Gönner, gutgeheißen hat, daß es unter dem Vorwand geschieht, als sammle er dort seine Mannschaft zu des Kaisers bevorstehendem Reichszug gegen Ungarland … Wäre gestern nicht ein dummer Zufall dazwischen getreten, der das Volk aufregte, so hätt’ es schon heute, wenn es sich zur Beredung eingefunden, meine Söldner gefunden, welche nicht wie die meist einheimischen Stadtknechte aus Besorgniß zaudern, daß es vielleicht ein Gevatter oder der Sohn einer Muhme ist, der ihr Eisen spüren soll! Aber auch für den schlimmsten Fall hab’ ich vorgesehen; es gelang mir, auf verborgenem, nur mir bekanntem Wege einen Boten aus der Stadt und an den Führer des geworbenen Volks zu schicken, daß er sich bereit halten soll; jede Stunde kann er kommen und mir Nachricht bringen, ein Zeichen ruft sie hierher. Jetzt macht mir noch Vorwürfe, so Ihr glaubt, dazu Anlaß zu haben … Alles ist vorbereitet und nichts mehr zu thun, als die Entscheidung zu verzögern und die Unruhigen so lang’ hinzuhalten, bis man ihnen den Herrn zeigen und in der ersten Ueberraschung sie niederwerfen kann; an einem Vorwande dazu wird es wohl nicht fehlen!“

„Wann hätt’ es uns je an einem solchen gefehlt!“ rief der Fremde mit funkelnden Augen. „Das habt Ihr trefflich gemacht, Herr Stadtkämmerer … das versöhnt mich mit Euch! Laßt uns denn nicht länger zögern, den Fastnachtsschwank zu beginnen; mich dünkt, dem Volke währt es zu lang’, bis die Kurzweil beginnt. Ich höre Stimmen von der Straße, die Zünftler kommen …“

Es war wirklich so. Auch die Rathsherren vernahmen den Lärm und traten neugierig an die Fenster, aber weit genug entfernt, um von unten nicht gesehen werden zu können. Der Rottmeister und der Rathsvogt waren minder bedenklich in ihrer Nische und sahen dem Andrängen des Volkes zu, das sich lärmend von der Haid und vom Fischmarkt her über den Rathhausplatz heranwälzte.

„Wie sie brüllen!“ sagte der Rottmeister. „Sie denken, wir sind nicht vorgesehen, aber meine Bursche mit ihrem Waibel stehen hinter dem Thor und wenn sie es wagen … Der große, stattliche Mann in der Pelzschaube ist wohl der Dommeister, den sie sich zum Führer gewählt haben?“

„Das ist Herr Wolf Roritzer,“ „erwiderte der Vogt, „und bei meiner armen Seel’, es ist wirklich ein stattlicher Mann! Schreitet er doch daher, als wär’ er schon Stadtkämmerer und trüge die goldene Kette mit dem Ehrenpfennig um den Hals!“

„In Gedanken trägt er sie wohl schon!“ sagte Dollinger lachend. „Die Andern kenn’ ich meist! Links hinter ihm, ist das nicht Meister Hörhammer, der Schusterkneif, der mir meine Reitstiefeln so elend versohlt hat, daß ich noch heut’ Lust habe, sie ihm um die Ohren zu schlagen? Und der will auch mitreden und will an der Gemeine flicken?“

„Hört nur das Geschrei! Seht nur das Gedräng’!“ rief wieder der Vogt. „Die ganze Menge wird doch nicht herkommen und in’s Rathhaus eindringen wollen? Nein, seht, der Roritzer bleibt stehen und redet zu ihnen … Wie sie alle die Mützen von den Köpfen reißen, als wär’s ein durchlauchtig Fürstenhaupt, vor dem sie stehen! Sie gehorchen ihm, sie bleiben zurück und nur die Rädelsführer geh’n mit ihm vorwärts … O weh, o weh, das ist ein übel Anzeichen!“

„Was ist geschehen?“ fragte der Rottmeister, der sich schon etwas abgewendet hatte, zurückkehrend.

„Saht Ihr’s nicht? Da, mitten auf dem Platz haben die Maurer, die jüngst am Rathhausthor gearbeitet, einen Haufen Sand liegen lassen … wie der Dommeister mit dem Volke geredet und nicht hingesehen, wär’ er bei einem Haare gefallen! Ein schlimmes Anzeichen sag’ ich Euch … wenn mir das geschähe, ich hielt’ es für einen Unglücksgang und kehrte um, bei meiner armen Seele!“

Alles wandte sich dem Eingange zu, wo man die Bürger kommen hörte; auch aus dem Nebengemache trat der Stadtkämmerer mit dem Fremden. Er grüßte flüchtig und herablassend; auch sein Auge hing an der Thür. Niemand fand Zeit, seinen Begleiter zu beachten, der fest und sicher, als ob es so gebühre, neben den Stuhl des Kämmerers trat.

Tiefes Schweigen empfing Roritzer, als er auf der Schwelle erschien; hinter ihm drängten die Meister und Zunftgenossen nach, hart neben ihm pflanzte Loy sich auf: er schien sich vorgenommen zu haben, keinen Schritt von der Seite des Lieblings zu weichen.

„Gott zum Gruß, Ihr edlen Herren und Gestrengen vom Rath der freien Stadt Regensburg!“ begann Roritzer sich leicht verbeugend mit klarer Stimme und ruhigen Blicks die Versammlung überschauend. „Die ehrbare Gemein’ verdankt es Euch höchlich, daß Ihr deren Begehr willfahren wollt; wollet allerlei Beschwerniß und Mißhelligkeit, so sich erhoben, freundlich anhören und friedlich verhandeln. Deshalb erscheinen diese wackern Meister und Zunftgenossen als Abgeordnete der Gemeine auf Eure Ladung vor Euch; mir aber leget es nicht als eigene Kühnheit aus, daß ich als eines gestrengen Raths Diener, auch wohlbestallter Dommeister, als Anführer und Fürsprech erscheine …“

„Ihr bedürfet nicht der Entschuldigung, werther Meister,“ unterbrach ihn der Stadtkämmerer mit ausgesuchter Artigkeit in Ton und Geberde. „Wir sind Euch vielmehr Dank schuldig und der Rath rechnet es Euch zu hohem Verdienste an, daß Ihr an die Spitze löblicher Gemein’ getreten. Wir begrüßen die Abgeordneten mit um so größerer Freude, als ein Mann sie anführet, der die beste Kenntniß und Fähigkeit besitzet, dessen aufrichtigen, redlichen Willen …“

„Ihr habt mich unterbrochen, Herr Lyskirchner,“ sagte Roritzer kalt, „gebt Vergunst, wenn ich es hinwider thun muß, aber Ihr schweift ab und redet von Dingen, die nicht hierher gehören. Diese Männer haben alle den aufrichtigen redlichen Willen, ihren Spahn mit dem Rath gütlich zu vertragen, damit Frieden und Eintracht und mit ihnen Gedeihen und Wohlfahrt wiederkehre in unsere gute Vaterstadt! Und weil sie bei Euch denselben guten Willen voraussetzen, sind sie gekommen zu offenem Rathsgespräch und meinen, es sei wohlgethan, die edle Zeit nicht zu vergeuden mit eitler Reverenz und Wortgepräng …“

Der Stadtkämmerer biß sich auf die Unterlippe. „Wie es Euch gefällt,“ sagte er dann in merklich abgekühltem Tone, „der Rath hofft übrigens, daß Niemand es wagen werde, an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln, und so laßt uns denn beginnen. Nehmt Platz, und laßt den Rath erfahren, was die Gemein’ von ihm begehrt …“

„Nichts für ungut, Herr Stadtkämmerer,“ rief Roritzer sich niederlassend, „ich muß Euch gleich bei Beginn zuwider sein. Was eine löbliche Gemein’ von Regensburg begehrt, braucht nicht erst lang erörtert zu werden, es ist dem Rathe längst bekannt, auch unlängst in ausführlicher schriftlicher Vorstellung des Breitern erörtert worden …“

„Mit Vergunst, Herr Dommeister, es ist so viel gesagt und ventiliret worden, daß ein förmlicher präciser Vortrag nicht zu umgehen … auch die Rathsordnung verlangt es so und die Form Rechtens …“

Der Fremde neigte das Lockenhaupt gegen den Stadtkämmerer und sagte feierlich: „Es ist so, ich muß das bestätigen!“

„Und wer ist es, der diese Bestätigung giebt?“ fragte Roritzer mit festem Blick.

„Ah, ich vergaß, diesen Herrn der Versammlung vorzustellen,“ entgegnete der Stadtkämmerer; „seine Anwesenheit ist ein Beweis, wie sehr ich bemüht bin, den obwaltenden Streit in gründlichster Weise zu schlichten … Doctor Fux, ein berühmter Meister der Rechtsgelahrtheit, auch Lehrer an der hohen Schule zu Prag, der auf seiner Durchreise meine Einladung nicht verschmäht, als Juris Consultus sein Gutachten …“

„Das ist dankenswerth von dem Herrn Doctor,“ entgegnete Roritzer, „aber ich vermein’, es soll so gelahrter Hülfe nicht bedürfen, mit schlichtem Verstand und gutem Willen gedenken auch wir das Rechte zu finden; doch um dem Zank ein Ende zu machen und zu zeigen, daß wir nicht widerspenstig sind … Ihr habt Euren Rathsschreiber, gebt ihm die Beschwerdeschrift, er soll sie lesen …!“

„Ich weiß nicht,“ sagte Lyskirchner ausweichend, „ob die Schrift augenblicklich zur Hand …“

„Ei, ei, Herr Stadtkämmerer,“ rief Roritzer rasch, „Ihr wußtet doch, was verhandelt werden soll, und habt nicht einmal die Schrift zur Hand? Doch immerhin, wir haben für eine Abschrift gesorgt … Hier ist sie, nehmt, Rathsschreiber, und lest …“ Er warf das Papier dem Schreiber hin; die Rathsherren machten verlegene Mienen, die Bürger warfen sich bedeutsame Blicke zu.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_539.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)