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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

der Menschen das unmerkliche Gesetz und die verborgene Einheit fehlen, die das anscheinende Wirrsal der Thiere zu wohlvertheilter, sinniger Arbeit erhebt. Das Gerücht von dem Bürgergespräch auf dem Rathhause, von der Bedrohung der Stadt durch feindlichen Ueberfall und von der Gefangennehmung der edlen und Rathsgeschlechter hatte Alles hervorgelockt, was noch Gleichgültigkeit, Furcht oder Unkenntniß zurückgehalten haben mochte; die Werkstätten, die Bürgerhäuser waren leer, die burgähnlichen Ansitze der Adeligen und Rathsherren aber hatten sich geschlossen, Fenster und Thüren waren verrammelt, als ob Niemand mehr hier hause, oder als ob ein trotziger Feind dahinter laure, entschlossen, einem feindlichen Angriff mit ritterlicher Abwehr zu begegnen. Die Klöster, voran das mächtige Sanct Emmeran und das Frauenstift Niedermünster, sperrten sich ab, kleine Burgflecken bildend, mitten im Stadtgebiet; der Bischofshof mit den Wohnungen der Domherren schloß seine wuchtigen Thore, und die vorsichtigen Juden verrammelten mit doppelter Wehr den Eingang zu ihrer Straße und den darin gesammelten Schätzen. Vom Volke dachte Niemand mehr an Arbeit und Erwerb, die Männer und Gesellen zogen ab und zu und lösten einander ab auf Thorwachen, Wehrgängen und Thürmen, oder sie rasteten auf den Plätzen und die Häuser entlang, bis die Reihe wieder an sie kam, die Frauen und Mädchen aber trugen und schafften herbei, was an Nahrung vorhanden und zu bekommen war, damit Männer und Brüder und Geliebte sich stärken möchten in dem beschwerlichen Geschäft, der Stadt Haushalt und Regiment zu bessern.

Die Gefangenen waren indessen getrennt und in den verschiedenen Räumen und Gewölben des Rathhauses untergebracht, Alle wohlbewacht und behütet, daß Keiner im Stande sein möge, den Seinigen oder irgend einem etwa verborgenen Anhänger ein Zeichen zu geben zur Befreiung oder zum Heranrufen der auf dem Nachbargebiete harrenden Genossen. In ohnmächtiger, verbissener Wuth fügten die gestrengen Herren sich in das Unvermeidliche, knirschend und über eigene Säumniß scheltend die Einen, mit Lachen und Selbstverhöhnung die Andern. „Nun seht, Herr Aunkhover,“ sagte der Stadtarzt im Vorüberschreiten zu dem zornblassen Mann, als sie aneinander vorbeigeführt wurden, „sehet, ob ich nicht Recht gehabt mit meinem Studium der reisenden Uhr … unser Sand will ablaufen …“

„Ihr sagt es, Herr Stadtarzt,“ erwiderte der Rothbart, „aber Ihr habt auch geweissagt, wenn der Sand abgelaufen ist, wird die Uhr gestürzt und was unten gewesen, kommt obenauf!“

„Ein schlechter Trost bei der Aussicht, die Nacht hindurch oder wer weiß wie lange hier bleiben und sein Bett und seine Hausbequemlichkeit entbehren zu müssen,“ rief der Doctor. „All’ dem wär’ vorzubeugen gewesen mit einem kühlenden Mittel …“

„Ich bleibe bei meiner Cur,“ grollte Aunkhover, „die Zeit soll kommen, die mir und Euch beweisen wird, daß nur mit Blut geholfen werden kann!“

„Blut?“ rief einer von den Bürgern dazwischen, ein stämmiger Gerber, indem er den Sprechenden mit der lohbraunen Faust am Genick faßte und schüttelte. „Verwünschtes Edelgezücht, was willst Du damit sagen? Willst Du uns mit Blutvergießen drohen?“

„Was kommt Euch in Sinn, werther Meister?“ rief der Stadtarzt, den Genossen befreiend. „Ihr werdet mir doch nicht wehren, eine ärztliche Consultation zu halten? Der wohledle Herr von Aunkhover hat sich, wie billig, über das Geschehene alterirt und hat mich befragt, ob ihm eine kleine Aderlaß’ nicht heilsam sei …“

„Ist es um die Zeit?“ rief der Gerber und schob seinen Gefangenen vor sich her. „Schlägt es Euch endlich auch in’s Blut? Nur zu, Ihr habt es uns lang’ genug angethan: nun kostet selbst, was es heißt, wenn man die Galle immerfort in sich hineinschlucken muß …“

Der Stadtkämmerer Lyskirchner war in dem Gemache untergebracht, in dem er sonst zu arbeiten und zu amtiren pflegte; derselbe Raum, der ihn so oft gesehen in der Fülle seiner Würde und Macht, war zum Schauplatz seiner tiefsten Erniedrigung gewählt. Das Gemach hatte nur ein großes, wohlvergittertes Fenster und keinen Seitenausgang, die Thür stand offen und in dem Vorsaal an der langen Sitzungstafel machten sich’s die Bürger bequem, von dort konnten sie jede Bewegung des Gefangenen überblicken und bewachen. Es waren einige Schmiedegesellen, die sich mit Hämmern und Eisenstangen aufgepflanzt; ein Paar von ihnen hatte sich zum Ueberfluß Stühle an die Thür gerückt und hielt seine Spieße vor derselben gekreuzt; Meister Hetzer, der Barchentweber, allein hatte sich’s nicht nehmen lassen und sich’s in dem Gemache selbst in des Stadtkämmerers mächtigem Armstuhl bequem gemacht. Auf der Tafel im Vorsaal zeigten die herumstehenden Becher und Krüge, daß die Wächter wohl darauf bedacht waren, sich für die lange Weile ihres Geschäfts mit reichlichem Trunk zu entschädigen.

Der noch vor wenigen Stunden so mächtige Kämmerer empfand die Gefangenschaft und das Bewachtsein wie ein eingekerkertes Raubthier, das ruhelos hinter den Gitterstäben seines Eisenkäfigs hin und wider rennt. Der Weber hatte sich lange daran ergötzt, ihn durch Stachelreden zu reizen und in spöttischen Worten fühlen zu lassen, daß er, der so lange sein Gebieter gewesen, nun sein Untergebener geworden; er rächte sich an dem Gefallenen dafür, daß er so lange vor ihm gezittert. Lyskirchner’s Ingrimm hatte dafür weder Ohr noch Erwiderung; der Spötter ermüdete zuletzt und kehrte ärgerlich zum Kruge zurück, während Jener unermüdet, rastlos hin und wider schritt, grollend und lauernd. Sein kühner Geist gab das Spiel noch nicht verloren, noch hoffte er auf eine Wendung, auf eine Möglichkeit des Entrinnens, und mit ihr tauchten neue Pläne, neue Verwickelungen empor, wenn auch wie Feuer-Meteore wild aufflammend und im ersten Lodern erlöschend. Aber Secunde um Secunde, Stunde um Stunde kroch an ihm vorüber; keine brachte, was er so heiß ersehnte, und im steigenden Unmuth warf er sich endlich auf die an der Wand angebrachte Umlaufbank.

Die Tasche, die er am Gürtel trug, schlug an die Holzkante und machte den Inhalt erklirren.

Der Weber horchte auf, er wandte sich zwar nicht um, aber seine Bewegung war sichtbar genug, um dem spähenden Lyskirchner nicht zu entgehen. Dieser gab sich jedoch den Anschein, als habe er nichts bemerkt, und nahm seinen Wandel durch die Stube wieder auf; nach einiger Zeit ließ er sich wie ermüdet am Tische nieder, wo des Webers Blicke ihn bequem erreichen konnten, und begann in dem goldenen Inhalt seiner Gürteltasche zu wühlen; er that, als ob er zähle, und ließ die Goldstücke klingen und in dem Lampenschein glitzern, der aus dem Vorsaal wie neugierig hereinfiel. Die Gesellen draußen waren stumpf und müde geworden, nur die Beiden an der Thür des Vorsaals mit den gekreuzten Hellebarden waren noch halbwach, murrten unverständliche Worte und nickten mit den schweren Köpfen.

„Plagt Euch wieder der alte Uebermuth?“ rief der Weber, nachdem er einige Augenblicke zugesehen. „Ihr habt Recht, daß Ihr Eure Goldfüchse überzählt, habt lange genug allen Rahm von der Milch abgeschöpft; nun kommt an uns die Reihe! Hättet Ihr uns die fremden Gewebe nicht hereingelassen in die Stadt, dann könnt’ ich auch mit Golde klappern, wie Ihr … all’ das ist eigentlich mein, denn Ihr habt mich verhindert, daß es nicht in meinen Beutel gekommen ist!“

„Ihr mögt Recht haben, Meister,“ sagte Lyskirchner mit anscheinender Betrübniß, „ich fange an, zu begreifen, welch’ ein Thor ich war, mich auf einen solchen Wechsel der Umstände nicht besser vorzusehen. Aber es ist nicht Uebermuth, daß ich das Geld von mir schleuderte, es ist Aerger, weil es so unnütz ist! Wenn ich es auch an Jemand verschenken wollte, der vielleicht ein wenig zu kurz gekommen … es würde mir nicht einmal das Geringste verschaffen, wonach ich lechze, wie der Fisch im Sand, einen frischen, erquickenden Trunk!“

In des Webers Gesicht spiegelte sich die unverhohlenste Ueberraschung. „Einen frischen Trunk?“ fragte er zweifelnd. „Wenn Ihr weiter nichts begehrt und anfangt, Euer Unrecht einzusehen, könnt’ ich Euch wohl meinen Weinkrug anbieten …“

„O, nichts davon!“ sagte Lyskirchner mit abwehrender Geberde. „Ich bin ein kranker, alter Mann … ein vieljähriges Leiden quält mich und wenn ich einen Tropfen Wein über die Lippen brächte, müßte ich es mit unsäglichen Schmerzen bezahlen …“

„Was? Ihr dürft keinen Wein trinken?“ rief Hetzer und drehte sich auf seinem Sitze herum. „Na, dann seid Ihr wahrlich nicht zu neiden gewesen mit all’ Eurem Gold! Aber was meint Ihr dann mit dem frischen Trunk?“

„Was sonst, als einen Trunk frischen erquickenden Wassers.“

„Wasser? Nun, wenn’s weiter nichts ist, der Röhrenbrunnen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_561.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)