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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Restauration, Lese- und Gesellschaftszimmer und ein bequemes Unterkommen offen steht. Aber Alles hat seine Zeit und auch dem großen Markttage der Londoner Kornbörse ist seine Grenze gesetzt. Der große Zeiger der Uhr, welche die Rückwand des Börsenraumes ziert, steht nicht mehr weit von der zweiten Nachmittagsstunde, und das Gewühl der Börsenmänner beginnt sich zu verlaufen. Auch unsere Zeit drängt. Wir folgen daher dem Menschenstrome, welcher der Vorhalle zuwogt, und sagen, indem wir die Sorge für das verschüttete Korn den „Fegern“ anheimgeben, für heute der Kornbörse und dem Leser Lebewohl.




Pariser Bilder und Geschichten.
Der Mensch muß zu leben verstehen.


Es mögen jetzt vier Jahre her sein, als ich von einem Ausfluge nach Paris zurückkehrte. Ich hatte meinen Koffer vorausgeschickt und eine ziemlich umfangreiche Reisetasche bei mir, deshalb sah ich mich nach einem Fiaker um, konnte aber keinen erlangen, da alle, welche am Bahnhofe standen, sofort von Ankommenden in Beschlag genommen worden waren. In einen Omnibus zu steigen hatte ich keine Lust, denn es giebt nichts Schrecklicheres als einen Pariser Omnibus.

Indem ich etwas verdrießlich meinen schweren Sack aufnahm, nahte sich mir ein Blousenmann, grüßte höflich und fragte im feinsten Französisch, ob ich vielleicht etwas zu tragen habe. Ich gab dem Manne meine Reisetasche und ging nebenher, wo ich bald bemerkte, daß der Blousenmann ein auffallend angenehmes Aeußere besaß. Seine Haltung war elegant, doch keineswegs geziert, Hand und Fuß schmal, wie die des Aristokraten. Eine Zeit lang ging ich schweigend neben dem Manne her. „Halt, da ist der Laden meines Buchbinders, warten Sie ein wenig, ich habe eine Bestellung zu machen,“ sagte ich jetzt.

„Gut, mein Herr, ich werde Sie erwarten.“

Als ich aus dem Laden herauskam, hielt ich zwei Bücher in der Hand, welche ich mir bei dieser Gelegenheit geholt hatte.

„Ich kann sie Ihnen tragen, mein Herr.“

„Schön!“

Der Blousenmann betrachtete die Bände mit Kennerblicken, zuckte ein wenig die Achseln und sprach: „Keine sonderliche Arbeit. Wollen Sie Ihre Bücher vorzüglich gut gebunden haben und auch nicht theurer, so gehen Sie zu Kaufmann, Rue Dauphine, unweit von der Statue Heinrich’s des Vierten.“

„Ich kenne diese Straße, denn ich wohne unfern von ihr. Kaufmann ist ein deutscher Name.“

„Bah, die besten Handwerker sind die Deutschen; wenig Artikel werden von Franzosen eben so gut oder wohl gar besser gemacht.“

„Das sagen Sie, ein Franzose?“

„Lieber Herr, ich bin stets unparteiisch und bei aller Vaterlandsliebe doch Kosmopolit.“

Der Mann gefiel mir; ich zündete mir eine Cigarre an und bot ihm ebenfalls eine. Mit einer graciösen Verbeugung nahm er sie.

„Ein gutes Blatt; noch einen Monat älter wird sie vortrefflich sein. Was zahlen Sie dafür, wenn ich fragen darf?“

Ich nannte den Preis.

„Ein wenig theuer; ich rauche ebenso gute und habe das Hundert einen Franken billiger.“

Er zog ein geschmackvolles Etui aus seiner Tasche und bot mir eine an. „Versuchen Sie dieselbe zu Hause; mundet sie Ihnen, so ist hier die Adresse.“

„Ich danke Ihnen.“

Wir kamen über einen der Blumenmärkte; mein Blousenmann sagte lächelnd: „Verzeihung, ich werde Sie nicht lange aufhalten,“ kaufte ein Rosenbouquet und war wieder an meiner Seite.

„Sie sind ein Pariser?“

„Nein, mein Herr, allein ich lebe schon lange hier. Sie scheinen ein Deutscher zu sein?“

„Ja, was Sie leicht hören können.“

„Durchaus nicht, Sie sprechen vollkommen Französisch, an Ihrem Aeußern errieth ich Ihre Nationalität. Ich war auch schon in Deutschland, am längsten in Sachsen. Dresden ist eine reizende Stadt, auch Leipzig hat mir sehr gefallen.“

„Ah, da sprechen Sie Deutsch, mein Herr.“

„Nicht sonderlich, ich habe es sechs Jahr nicht mehr geredet, lese es aber noch. Doch, hier sind wir vor Ihrer Wohnung.“

Der Blousenmann trug mein Gepäck die drei Treppen hinauf und legte es vor der Thür meines Zimmers nieder.

„Wie viel bin ich Ihnen schuldig?“

„Geben Sie was Sie wollen, mein Herr.“

Ich hatte keine kleinere Münze als ein Fünffrankenstück, der Mann hatte etwas so Feines, ja ich möchte sagen Vornehmes, daß ich es ihm freundlich gab. Er dankte und war mit unglaublicher Schnelligkeit verschwunden. Einem andern Blousenmanne würde ich nicht mehr als zwei Franken gegeben haben.

Einige Tage später wandelte ich in dem Tuileriengarten umher, als mein Blick auf eine schlanke junge Dame von ungewöhnlichem Liebreiz fiel. Natürlich bemerkte ich endlich auch den Herrn, an dessen Arm sie hing, und war nicht wenig erstaunt über dessen Aehnlichkeit mit meinem Blousenmann. Er selbst konnte es aber unmöglich sein, denn der Anzug des Herrn, den ich vor mir sah, war so fein und elegant, wie ihn nur Männer aus den höheren Ständen zu tragen pflegen. Ich faßte ihn scharf in das Auge, er schritt mit vornehmer Gleichgültigkeit an mir vorüber. Einige Tage nach jener Begegnung trat einer meiner Freunde bei mir ein, welcher, wie ich, Mitglied eines Männergesangvereins ist. Er brachte ein mir neues Männerquartett, welches mir beim Durchlesen sehr gefiel.

„Haben Sie die Stimmen dazu? Wir könnten es bei unserer nächsten Versammlung studiren.“

„Ich habe keine Stimmen, und es wird schwer sein, sie rasch zu schaffen.“

„Merkwürdig, daß in Paris so ein großer Mangel an correcten Notenschreibern ist.“

„Gar nicht merkwürdig, die Franzosen sind nicht so musikalisch wie wir Deutschen. Wollen Sie aber Compositionen abgeschrieben haben, so gehen Sie nur zu Haar und Steinert. In diese Buchhandlung kommt wöchentlich ein junger Mann und holt ab, was dort für ihn niedergelegt wird; er schreibt sehr gut und richtig und ist nicht übertrieben theuer.“

Ich befolgte den Rath meines Landsmannes und trug denselben Tag noch einige Musikalien nach der deutschen Buchhandlung, um die Herren Haar und Steinert zu bitten, sie dem Copisten zu übergeben. Ich fragte nach dessen Adresse.

„Der Copist giebt seine Wohnung nicht an, ist aber vollkommen zuverlässig,“ war die Antwort.

Ich erhielt nach einigen Tagen, als ich wieder, vorfragte, die Copien, erhielt sie, mit angenehmer Schrift, durchaus richtig und zu mäßigem Preise. Als ich etwa sechs Wochen später wieder mit Musikalien in die deutsche Buchhandlung ging, sah ich einen jungen Mann, der mir bekannt vorkam.

„Da ist der Herr, welcher die Noten copirt,“ rief der Buchhändler mir zu.

„Schön. Wollen Sie diese Arbeit übernehmen?“

„Gern, mein Herr.“

„Sah ich Sie nicht schon?“

„Möglich!“

Obgleich der Notenschreiber einen grauen modernen Sommeranzug trug, wie ihn anständige Handwerker zu tragen lieben, erkannte ich doch in ihm meinen Blousenmann. Als wir zusammen die Buchhandlung verließen, sagte ich: „Die von Ihnen empfohlenen Cigarren sind vortrefflich.“

„Nicht wahr?“

„Sie sind wohl sehr musikalisch?“

„Etwas; ich lernte in Leipzig einige Zeit singen.“

„Aber dann ist es mir unbegreiflich, daß –“

„Ah, daß ich auch eine geringere Arbeit that? Hm, der Mensch muß zu leben verstehen! Guten Tag, mein Herr.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_577.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)