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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

ich auch dieselbe gesternte und gestreifte Flagge in diminutiver Gestalt am Vorderende des kleinen Dreimasters. Die ganze Erscheinung war über alle Maßen fremdartig, beinahe märchenhaft. Man hätte glauben mögen, ein Seegespenst, eine Fata Morgana zu sehen; aber da fuhr es am hellen, lichten Tage dahin und unzweifelhaft deutlich hob seine Gestalt sich gegen die schwarzen Bäuche anderer Schiffe ab. Als ich oben auf der Terrasse der Klippe ankam, fand ich schon eine Anzahl Spaziergänger, um den dort stationirten Küstenwächter geschaart, in lebhafter Unterhaltung über das wundersame kleine Fahrzeug. Ich erfuhr nun, was ich vermuthet, daß nämlich das Schiffchen aus Amerika komme und The Red, White and Blue (Roth, Weiß und Blau) benamst; daß ferner schon vor zwei Tagen ein Canalpilot in der Nähe von Hastings an Bord gegangen sei, der zuerst die Nachricht verbreitet habe, diese Nußschale komme geraden Weges von New-York über den atlantischen Ocean, habe eine Bemannung von zwei Leuten, einem Capitän und einem Steuermann, als einzigen Passagier aber einen Hund und beabsichtige, ohne weitern Verzug seine Reise nach London fortzusetzen. Die Nachricht klang selbst für unsere an das Abenteuerlichste gewöhnten Ohren kaum glaublich, und halb staunend, halb ungläubig sahen wir dem kleinen Fahrzeug nach, bis es, um die nächste Klippe segelnd, vor unseren Blicken verschwand.

Im Laufe des Morgens wurde das Wetter stürmisch und ich hörte Tags darauf, The Red, White and Blue habe die Dienste eines Zugdampfers in Anspruch nehmen müssen und sei in dem etwa zehn englische Meilen entfernten Hafen von Margate vor Anker gegangen. Durch das ungewohnte Erlebniß und den Bericht des Küstenwächters interessirt, fuhr ich daher noch denselben Nachmittag in Begleitung einiger Freunde mit der Eisenbahn nach Margate hinüber, um womöglich an Bord zu gehen und von der Bemannung selbst über Schicksale und Bestimmung des außerordentlichen Schiffchens authentische Details zu erfahren. Wir fanden das kleine weiß-roth-blaue Meerwunder richtig im Hafen von Margate, bereits umgeben von einer Anzahl neugieriger Ruderboote. Die Bootsleute von Margate, wie nicht mehr als billig, waren in bester Stimmung. „Wollen Sie die Red, White and Blue sehen, Sir?“ schallte es uns aus einem halben Dutzend Kehlen entgegen. „Kommen Sie, Sir!“ Und bald saßen auch wir im Boote und flogen dem Amerikaner zu.

Da lag der kleine Heros, nicht mehr als etwa sechsundzwanzig Fuß lang, sechs Fuß breit, von dritthalb Tonnen Gehalt, wettergeschlagen, aber noch immer in seetüchtigem Zustande. Man durfte nicht daran zweifeln, alle Zeugen wiederholten die erstaunliche Geschichte, dies Miniaturschiff war von New-York über den atlantischen Ocean gesegelt. Zwei furchtlose Männer, begleitet von einem Hunde, hatten das so oft besprochene, aber noch nie vollendete Wagstück ausgeführt. Da standen sie, die Hände in den Taschen, offenbar mit sich selbst zufrieden, und tauschten mit ihren bewundernden Besuchern heitere Worte aus. Endlich kam auch an uns die Reihe und wir hörten als Zweck der Fahrt: die Yankees seien herübergekommen, um bei der großen internationalen Ausstellung von 1867 in Paris zugegen zu sein und „den Franzosen zu zeigen, daß sie nicht Alles zusammen hätten ohne eine Curiosität wie diese, die den übrigen Dingen zur Folie dienen könne.“

„Also eine Yankeespeculation!“ wird der Leser ausrufen. Ja wohl, weiter nichts, aber trotzdem nicht minderer Beachtung würdig. Alles wohl berechnet. Denn, um zur Ausstellung anzukommen, hätte man bis zum Februar des nächsten Jahres Zeit gehabt; allein mitten in den Winterstürmen würde eine solche Fahrt geradezu Wahnsinn gewesen sein. Die einzige Chance des Gelingens bot der Sommer, und mitten im Sommer segelte man demnach von New-York ab und langte nach siebenunddreißig Tagen an der englischen Küste in Margate an. Aber doch, welche Kühnheit, welche Ausdauer, welches Geschick setzt diese Fahrt voraus! – in ihrer Art in Wahrheit kaum eine weniger wunderbare Unternehmung, als die atlantische Telegraphen-Expedition, deren Größe die Welt in Staunen setzt. Ich will nur noch erwähnen, daß die Argonauten des Red, White and Blue, von denen der eine sich Capitän Hudson, der andere Mr. Fitch nennt, bald nach ihrer Abfahrt von New-York bei regnerisch stürmischem Wetter die Entdeckung machten, daß das Deck ihres Schiffchens lecke, und somit nicht allein ihren Reisevorrath durchnäßt sahen, sondern auch den größten Theil des Weges in nassen Kleidern zubringen mußten. Sie hatten einen Kochofen an Bord, konnten denselben jedoch aus eben jenem Grunde nur bei seltenen Gelegenheiten gebrauchen und waren nicht wenig froh, als der Capitän eines Schiffes, dem sie am südwestlichen Ende des englischen Canals begegneten, ihnen eine Flasche Branntwein zum Geschenk machte, um ihre steif und müde gewordenen Glieder zu erwärmen. Die Provisionen an Bord bestanden aus einhundert und zwanzig Gallonen Wasser, zweihundert Pfund Brod, fünf Pfund Kaffee, zwei Pfund Thee, vier Kasten geräucherte Häringe, fünfzehn Pfund geräuchertes Rindfleisch, siebenzehn Pfund Käse, allerlei Gewürz und Pickles, einer Anzahl hermetisch verschlossener Kasten mit präparirten Speisen und sechs Flaschen Branntwein und Whiskey. Das Innere, welches durch eine Fallthür erreicht wird, enthält vier Gemächer, zwei cylinderförmige an den Seiten, zwei viereckige von etwa vier Quadratfuß Flächeninhalt an beiden Enden. Die Seitengemächer geben genügenden Raum zum Liegen, sehen aber übrigens Särgen ähnlicher, als Betten. Mehrmals warfen Wind und Wellen das kleine Fahrzeug senkrecht auf seine Starbordseite und nur mühsam konnte die eingeströmte See durch Ausschöpfen entfernt werden. Die Schiffsuhr wurde gleich anfangs durch Nässe unbrauchbar, ein Chronometer fehlte, Compaß und Quadrant allein mußten daher als Wegweiser und Zeitmesser Dienste thun.

Am schlechtesten befand sich übrigens während der ganzen Fahrt der vierbeinige Passagier, der Hund, obgleich seine Genossen ihr Möglichstes thaten, ihn aufzuheitern. Als wir an Bord des Red, White and Blue waren, lag die arme Bestie mißmuthig, krank, mit gesenktem Kopf und Ohren in der Ecke neben dem Steuerruder und gab nur von Zeit zu Zeit, wenn man sich ihm näherte, ein wehmüthiges Winseln von sich. Capitän Hudson und sein Genosse erfreuten sich des unsäglichen Luxus, wieder trockenes Zeug auf dem Leibe zu haben und ihre Gliedmaßen yankeeartig bequem der Länge und Breite nach ausstrecken zu können. Boote auf Boote fuhren inzwischen von allen Selten heran und noch bei unserer Rückfahrt sahen wir The Red, White fand Blue ringsum von neugierigen Besuchern umgeben. Später erfuhr ich aus der Zeitung, daß die arme Fanny (so hieß der Hund) während der Weiterfahrt von Margate auf der Themse gestorben sei. Das Schiffchen ist seitdem nach dem Krystallpalast in Sydenham transportirt, wo es wahrscheinlich noch eine Zeit lang das sensationslustige Londoner Publicum herbeilocken wird, ehe es zu der von seinen Eigenthümern beabsichtigten Rundreise in den englischen und französischen Häfen wieder unter Segel geht und (falls Neptun ihm auch ferner seinen allerhöchsten Schutz gewährt) im nächsten Jahre schließlich auf der großen Ausstellung in Paris erscheint.




Berichterstatter im Felde. So lang es noch ohne Gefechte vorwärts geht, hat der Berichterstatter eine ruhigere Thätigkeit; er bewegt sich mit dem Hauptquartier weiter und zieht nur nach Ankunft im Quartier, welches auch nicht so bald gefunden zu sein pflegt – denn er muß sich selber einquartieren – Erkundigungen über etwaige Vorkommnisse ein, resp. legt dem Officier des Hauptquartiers, welcher damit beauftragt ist, Rechenschaft ab über das, was er heute zu schreiben beabsichtigt. Diese beiderseitige Mühwaltung ist nöthig, da der Feder ganz ohne Arg eine Nachricht entschlüpfen kann, deren Mittheilung aus strategischen Rücksichten unterbleiben muß. Der Friedensverband der Truppentheile z. B. ist gelöst, um dem Feind die Schätzung der gegenüberstehenden Truppen zu erschweren, es wäre daher unvorsichtig, wollte man bestimmte Regimenter, denen man begegnet ist, nennen, bevor der Feind mit ihnen zusammengetroffen ist. Aehnliche Dinge, die zu vermeiden sind, lernt der aufmerksame Beobachter bald ab; er lernt einen Officier und Beamten des Hauptquartiers nach dem andern kennen, er unterscheidet bald Diejenigen, welche ihm gern mit Rath und That an die Hand gehen, und es währt nicht lange, so beginnt der Correspondent sich als ein Mitglied des Hauptquartierverbandes zu fühlen.

Von Stunde zu Stunde rückt man dem Feind näher und bald entspinnen sich kleine Vorpostengefechte, welche immer größere Dimensionen annehmen, bis eines Tages deutlich Kanonendonner gehört wird. Nun beginnen die Schwierigkeiten. Der Correspondent muß suchen, eiligst vorzugehen, ohne daß er darum das Hauptquartier aus den Augen lassen darf, denn bis zur Entscheidung des Kampfes weiß der Commandirende selbst nicht, wohin er gehen wird, und nachher weiß es außer den wenigen Ordonnanzen, welche die Wagencolonne dorthin zu bestellen haben, auch Niemand, weil die Vorsicht diese Geheimhaltung gebietet. Aber auch die Truppentheile muß der Correspondent aufzufinden suchen, welche im Gefecht gewesen sind, da er hier nur interessante Details erfahren kann. Endlich mit Material ausgerüstet, den Tag über genährt von den wenigen Lebensmitteln, die er bei sich führte und die, in der Eile verzehrt, auch wohl häufig mit darbenden Seelen noch getheilt werden mußten, sucht er das Hauptquartier zu erreichen, wo Censor und Post, seine beiden Lebenselemente, allein zu finden sind. Eiligst muß nun geschrieben werden, da die Post gewöhnlich binnen Kurzem abgeht, dann erst ist’s Zeit, sich nach einem Unterkommen umzusehen und zu versuchen, ob irgend Jemand gegen Cigarren, Branntwein und sehr gute Worte dem correspondirenden Magen etwas Bouillon, Fleisch und Brod – natürlich Feldkessel-Kochkunst – zukommen läßt. So geht es dann fast einen, wie alle Tage, wenigstens in dem letzten Feldzuge, wo man beinahe nur verlassene Städte und Dörfer antraf. Nunmehr werden auch Cigarren und Schnaps des Marketenders, die einzige gangbare Münze, immer rarer, wodurch neue Schwierigkeiten entstehen und der Vertreter von Tausenden emsiger Leser, deren Interesse an der Sache zu befriedigen seine Aufgabe ist, zeitweilig zum Almosen-Empfänger herabsinkt. Er lebt so stets in Vorschuß und kann seine drückende Schuld erst in Städten, wo das Geld einen Werth hat, tilgen.

Eine einzige Ausnahme macht der Timescorrespondent, der drei Pferde mit sich führt, ohne daß sie verhungern, und der selbst ewig heiter aussieht, wie der Himmel Italiens. Er reitet frank und frei mit in jedes Schloß, mag der Raum auch noch so knapp sein, scheint nie Mangel zu leiden und Eile drückt ihn nicht, denn er steht ohne Concurrenz da und es ist gleichgültig, ob er heut’ oder morgen seiner Times einen Bericht schickt; dazu ist er in Allem ungenirt und stört, wenn er es für nöthig befindet, die Postbeamten noch Nachts ein Uhr aus dem Schlafe, um ihnen mit freundlichem Lächeln seinen Brief zu übergeben. Seine Einkünfte mögen ihm wohl eine starke Stütze bei dieser Sicherheit sein, denn von den Officieren eines Tages gefragt, auf wieviel dieselben sich etwa belaufen möchten, fragte er seinerseits zuvor nach den Einnahmen eines derselben, eines preußischen Lieutenants, und als dieser, wenn ich nicht irre, antwortete: monatlich zweiundzwanzig Thaler, erwiderte er, er könne englisches Geld nicht so rasch in preußisches übersetzen, er habe aber etwa so viel jeden Tag zu verzehren.

Das Vorgehen zum Gefechte selbst ist eine der mühsamsten Aufgaben. Civilkleidung fällt in einer Gegend, wo nur Uniformen zu sehen sind, doppelt auf. Die Vorsicht gebietet also den Officieren, sich über den Zweck der Anwesenheit eines Civilisten zu erkundigen, was auf hunderterlei Weise geschieht, worunter die der Höflichkeit bis zur Ueberzeugung vom Gegentheil allerdings die allein richtige, aber seltener angewandte ist. Jeder vorbeiziehende Soldat betrachtet den einsamen Civilmenschen mit Aufmerksamkeit und alberne Bemerkungen wie: „Der wird wohl auch bald gehängt werden“ etc. fließen in Menge. Auch dieses wird man bald gewöhnt, endlich jedoch, vom steten Fragen und Antwortgeben erschöpft, läßt der arme Correspondent sich am Rande eines Kornfeldes nieder, um seinen Vorräthen zuzusprechen. Da dröhnt Pferdegetrappel heran, Sand fliegt ihm in’s Gesicht und vor ihm hält ein eben aus der Artillerieschule kommender blutjunger Lieutenant, der es für durchaus nothwendig hält, seinerseits ein Examen abzuhalten. Plötzlich rasselt in breiten Colonnen Artillerie heran und

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