Seite:Die Gartenlaube (1866) 584.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

nur ein Sprung hinter einen nahegelegenen Baum rettet den Preßvertreter vor einer gründlichen Presse. Ein anderes Mal marschirt wieder in seinem ahnungslosen Rücken zahllose Cavalerie in Schlachtordnung auf und dröhnt im Galopp über das Feld daher; wieder ein Glück, daß der Correspondent noch ein einsam stehendes Haus erreicht. Nur ein gutes Pferd kann ihn dauernd vor Schaden bewahren, doch, die deutsche Presse pflegt außer dem Hippogryphen kein zweites in ihren Stallungen zu haben, Wagen aber kann man erstens in Kriegszeiten nicht miethen und zweitens nützen sie nichts, sondern hindern beim Vorgehen.

Kommt das Hauptquartier nach Wochen wieder einmal in eine große Stadt, wie Brünn oder Prag, wo das Geld nicht mehr Chimäre ist, dann tritt auch der deutsche Correspondent aus seinem Nichts hervor, jedoch nur, um in kurzer Zeit wie ein Comet nach flüchtigem Glanze vom Himmel zu verschwinden. Geht das Heer stets siegreich vor, wie es in diesem Feldzuge der Fall war, so treten wenigstens in der Censur Erleichterungen ein, indem man einerseits nicht mehr ängstlich zu sein braucht, andererseits es auch bemerkt, wenn die Mittheilungen sich dem natürlichen Gefühl nach in den Schranken der Vorsicht bewegen; wie es dagegen mit einem Correspondenten auf Seiten einer geschlagenen Armee bestellt sein muß, dies Bild kann man sich nach Obigem leicht ausmalen.

J. B.




Die neueste Katastrophe auf dem Montblanc. Der Krieg hat natürlich im gegenwärtigen Sommer die Reiselust sehr in Schranken gehalten, auch die sonst von Touristen wimmelnde Schweiz und das angrenzende Hochsavoyen sind bis auf die allerjüngste Zeit, wo der wiederkehrende Frieden noch nachträglich manchen verschobenen Reiseplan zur Ausführung zu bringen beginnt, heuer recht fremdenleer geblieben; dennoch ist auch diese stille Saison nicht ihrem Ende nahe gekommen, ohne uns Kunde von neuen Unglücksfällen aus der Alpensteigerwelt zu bringen, die, je kleiner diese letztere heuer selbst ist, um so mehr die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Von einem dieser traurigen Begebnisse wollen wir nach uns gewordenen speciellen Mittheilungen im Nachstehenden einige Einzelheiten berichten, welche durch die Zeitungen minder bekannt worden sind.

Drei junge Engländer, die Gebrüder Young aus Berkshire, hatten die Schweiz bereist, und da sie dort mehrere der höchsten Alpengipfel glücklich erstiegen hatten, wollten sie, in Chamounix angelangt, ihrem Werk die Krone aufsetzen, indem sie dem Montblancgipfel, und zwar ohne Führer, einen Besuch abstatteten. Ihr Unternehmen gelang anfangs nach Wunsch. Am Morgen des 22. August sah man vom Thal aus durch’s Fernrohr, wie die Reisenden auf dem höchsten Gipfel anlangten, und dieses Ereigniß wurde, herkömmlichem Brauch nach, von dem Gasthof in Chamounix, wo sie gewohnt hatten, mit Böllerschüssen begrüßt. Kaum aber war das Echo der letzten Schüsse, welche den Rückzug anzeigten, verhallt, so bemerkten die Beobachter im Thal mit Entsetzen, wie die kühnen Wanderer eine mehrere hundert Meter lange Schneewand hinunterrutschten, welche in einen steilen Abgrund ausläuft. Mit Haarsträuben sahen die Zuschauer, wie die drei Unglücklichen auch diesen Abhang hinunterstürzen; dann zeigt sich am Fuße nichts mehr, als eine ungestalte Masse in wirren Bewegungen, von welchen sich nichts genauer unterscheiden läßt.

Mit Blitzesschnelle verbreitete sich die Schreckensnachricht durch das ganze Chamounixthal. Die Führer, welche hier bekanntlich vollständig organisirt sind, werden sofort durch ihren Vorstand versammelt und eine Rettungskarawane abgeschickt, der sich auch der gerade anwesende, durch seine zahlreichen Montblancbesteigungen ebenso wie durch seine trefflichen Gletscher- und Hochalpenbilder berühmte Maler Loppé aus Genf anschließt. Während sich der Zug in Bewegung setzt, durchspäht man den Schauplatz der Katastrophe abermals mit dem Fernrohr und sieht endlich mit Freude, daß es wenigstens zweien der Verunglückten gelingt, sich zu erheben, während der dritte bewegungslos auf dem Schnee liegen bleibt. Seine beiden Brüder verlassen ihn erst nach dreistündigen vergeblichen Bemühungen, ihn in’s Leben zurückzurufen. Sie suchen wieder zu den sogenannten Petits-Mulets zurückzukehren, indem sie auf ihrem Weg mit fortwährenden Gefahren zu kämpfen haben. Dort angelangt, schlagen sie die Richtung nach den Grands-Mulets ein, wo sie den Augen der Beobachter verschwinden.

Die Rettungskarawane ihrerseits war indeß rüstig vorgedrungen und langte zwischen Mitternacht und ein Uhr bei der bekannten Breterhütte an, die den stolzen Namen des Hôtel Impérial des Grands-Mulets führt. Dort traf sie zwei Franzosen, welche mit ihren Führern den Montblanc besteigen wollten. Kurz nachher gelangten auch die beiden unglücklichen Brüder Young an; der ältere schleppte mühsam den jüngeren fort, welcher seine blaue Brille bei dem Sturz verloren hatte und nun durch die glänzende Weiße des Schnees, wie das den in den Hochalpen Reisenden nicht selten begegnet, momentan gänzlich blind geworden war. Die Brüder erzählen in fliegender Hast die schreckliche Begebenheit: der eine war zuerst auf dem hartgefrornen Schnee ausgeglitten und hatte dann durch das Seil, mit welchem alle Drei nach gewohnter Sitte verbunden waren, die beiden andern in seinen Fall hineingezogen. Nur schwer hatten sich die beiden Ueberlebenden, als sie sich von ihrer ersten Betäubung erholt, von der traurigen Thatsache überzeugen können, daß ihr jüngster Bruder wirklich todt war. Es folgten schreckliche Stunden in der grausigen Einöde, entsetzliche Gefahren bei der Fortsetzung der Wanderung. Trotz aller dieser überstandenen furchtbaren Anstrengungen ließ sich der älteste der Brüder Young dennoch jetzt nicht abhalten, die aus sechs Führern bestehende Karawane zu begleiten, um die Leiche des Verunglückten abzuholen.

Der Sturz hatte oberhalb jenes Wegs stattgefunden, auf welchem der erste Montblancbesteiger, Jacques Balmat, den Bergriesen vor achtzig Jahren erklommen hatte, ein Weg, der seiner Gefährlichkeit wegen schon längst nicht mehr benutzt wird. Dorthin wandte sich also jetzt die Karawane. Lange Stunden vergingen, ohne daß die auf den Grands-Mulets zurückbleibenden Personen etwas von dem Schicksal des Zugs erfuhren. Die erwähnten beiden Franzosen kehrten vom Montblanc zurück, allein sie hatten nichts von den Leuten bemerkt. Inzwischen umzog sich der Himmel immer düsterer, und bald fiel der Schnee in dichten Flocken. Dazu wußte man, daß die Führer ohne Mundvorrath waren. Die größte Besorgniß bemächtigte sich der Zurückgebliebenen; da ruft einer derselben, der ausgezeichnete Führer Baguette: „Laßt uns sie suchen;“ Loppé, Favre, gleichfalls ein Genfer Maler, ein Gendarm und ein zweiter Führer schließen sich ihm an.

Man gelangt bis zum Grand-Plateau; nichts ist zu sehen, auch der Ruf verhallt in der weiten Schnee- und Eiswüste, ohne Antwort zu finden. Die Wanderer ermüden selbst; endlich macht Baguette noch eine letzte Anstrengung, eine steile Felswand zu erklettern, und ist glücklich, als er die fast Aufgegebenen auf einem einzelnen hohen Felsen erblickt. Sie hatten den Weg verloren und waren von Kälte erstarrt. Man wirft ihnen Seile zu und es gelingt ihnen, sich daran herabzulassen; Young läßt sich von der Leiche seines Bruders nicht trennen, auch sie wird auf diesem Wege mitgenommen. Die ganze Energie und Zähigkeit des englischen Charakters zeigt sich überhaupt in diesem jungen Mann. Er verschmäht selbst jetzt noch die so nöthige Ruhe auf den Grands-Mulets und kehrt noch in derselben Nacht nach Chamounix zurück, um am folgenden Morgen auf kürzestem Weg nach England zu reisen und der Mutter die Trauerbotschaft selbst zu bringen.

So schloß diese traurige Episode aus dem sommerlichen Touristenleben in Chamounix. Einige Tage später aber las man in einem Genfer Blatt die Ankündigung einer Fremdenpension in Mornex bei Genf (doch auf savoyischem Boden), worin nach Aufzählung aller sonstigen Annehmlichkeiten des dortigen Aufenthaltes auch angeführt wurde, daß man die Katastrophe vom 22. August von dort durch das Fernrohr habe ausgezeichnet beobachten können. Also „immer ’ran, meine Herren und Damen, wenn das Glück Ihnen wohl will, können Sie auch das Vergnügen haben, den einen oder andern Reisenden am Montblanc den Hals brechen zu sehen!“ Im Punkt der Reclame werden wir Amerika bald nichts mehr vorzuwerfen haben.

W. Lampmann.




Für die Winterabende. Das Jahrhundert Ludwig’s des Vierzehnten von Frankreich, die classische Periode des Hoflebens mit seiner Pracht und seinen Intriguen, die Tage der glänzenden Cavaliere, der galanten Marquis und Marquisen, der Allonge und des Rococo mit den gepuderten Schäfern und Schäferinnen, die Zeit großer Feldherren, vornehmer Abenteurer und Verbrecher, bietet für den geschichtlichen Sitten- und Sensationsroman eine noch lange nicht ausgebeutete reiche Fundgrube. Wie die fesselndsten Romane des ältern Dumas: Königin Margot, die Musketiere der Königin u. a. m. die gestaltenreiche Zeit des „großen Königs“ zum Rahmen haben, so hat jetzt ein bekannter deutscher Schriftsteller, der den Lesern der Gartenlaube namentlich durch eine Reihe interessanter historischer Skizzen lieb geworden ist, Georg Hiltl, denselben merkwürdigen Abschnitt der französischen Geschichte zum Vorwurfe seines ersten größeren Romanes gewählt. „Gefahrvolle Wege. Historischer Roman aus der Zeit Ludwig’s des Vierzehnten“ heißt der Titel des nunmehr in seinen vier Bänden abgeschlossen daliegenden Buches, das wir zwar gewissermaßen als eine Nachahmung der Dumas’schen Muse bezeichnen müssen, das aber neben der Spannung, in welche uns der französische Schriftsteller in seinen Romanen zu versetzen pflegt, auch die Vorzüge des deutschen Gemüthes und deutscher Gründlichkeit zum Ausdruck bringt. Hiltl zeigt sich in seinen „Gefahrvollen Wegen“ als ein Kenner der französischen Memoirenliteratur, wie es in Deutschland wenige ihm ebenbürtige geben dürfte, und hat es verstanden, dies überwältigende Material zu einem abgerundeten, geschichtlich-romantischen Gemälde zu verarbeiten, und damit ein ungewöhnliches Gestaltungs- und Darstellungstalent bekundet.

Eine Menge von interessanten Figuren treten uns aus dem großen Bilde entgegen, als Haupt der Gruppe die berüchtigte Marquise von Brinvilliers, jene entsetzliche Giftmischerin, welche den Gipfelpunkt der Entsittlichung ihrer Epoche repräsentirt, daneben der verrufene Italiener Exili, die stolze Marquise von Montespan, Ludwig’s des Vierzehnten nachmalige Geliebte, der König selbst, der Chevalier von St. Croix und noch viele andere Herren und Damen des Hofes von Versailles – sammt und sonders lebensfrisch und lebenswahr, vollkommen ihrer Zeit und ihrem Charakter treu gezeichnet und nicht etwa nur in einzelnen Situationen und Episoden lose neben einander gereiht, sondern zu einem harmonischen Ganzen organisch mit einander verbunden und zusammengewachsen – mit Einem Worte, die farbenreiche Zeit lebt vor unsern Augen.

Es ist hier nicht der Ort für eine eingehendere oder referirende Kritik des Romanes, wir wollen blos bei dem nahenden Winter mit seinen der Lectüre so günstigen langen Abenden die Aufmerksamkeit auf ein Buch lenken, welches nicht verfehlen wird, manche Stunde nicht nur auf das Unterhaltendste, sondern selbst vielfach belehrend auszufüllen und den Freunden und Freundinnen der Gartenlaube die bewährte Feder Georg Hiltl’s von Neuem lieb und werth zu machen.




Kleiner Briefkasten.


R. in W. Ueber Mädchenpensionate in Berlin können wir Ihnen keine Auskunft geben; in der Familie des Dr. Beta in Berlin finden indeß junge Mädchen, die sich wegen ihrer Ausbildung dort aufzuhalten wünschen, freundliche Aufnahme und gewissenhafte körperliche und geistige Pflege. Die Familie lebte zehn Jahre in London und bietet somit jeder jungen Dame Gelegenheit, die englische Sprache theoretisch und praktisch zu erlernen. Eine sechzehnjährige Tochter, die noch immer eine höhere Töchterschule besucht, spricht Englisch so gut wie ihre Muttersprache. Die französische Conversation wird von einer im Hause wohnenden Lehrerin geleitet. Nähere Auskunft ertheilt Frau M. Beta in Berlin, Johanniterstraße 6.

Emil Kr–e in Königsberg. Allerdings sehr post festum gekommen. Zu wortreich und viel zu lang; alle Prägnanz des Ausdrucks fehlt; auch zu viele Bilder und manche falsch angewendet.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_584.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)