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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Ich will meiner Lebtag selbst einen Weiberrock tragen, wenn das nicht ein verkleidet Dirnlein ist!“

Loy brach in ein Lachen aus, dem man deutlich anhörte, wie wenig es ihm gegen sonst vom Herzen ging. „Und wenn es so wäre, ging es Euch an, Meister Wollkrempler? Wenn ich nun dächte … ‚Immergrün das ganze Jahr, Schätzel noch im grauen Haar!‘ … wolltet Ihr mir’s wehren?“

„Fällt mir nicht ein, Herr, „entgegnete der Tuchscheerer, „aber Ihr werdet auch mir nicht wehren, mir das Schätzel näher anzuschauen … möcht’ Euren Geschmack kennen lernen, Herr …“

Er versuchte, Margarethe mit kräftiger Hand zu fassen und an’s Licht zu ziehen; sie sträubte sich, und mit mehr Kraft, als von dem Alten zu erwarten war, stieß Loy den Zudringlichen hinweg. „Zurück!“ rief er, „ich war eben daran, Euch die Botschaft zu sagen, die dies Mädchen mir gebracht, aber ich lasse mich nicht in’s Verhör nehmen und ausfragen von jedem unsaubern Gesellen, als stünd’ ich vor dem Halsgericht! Darum allein hab’ ich auf Euere Frage Euch nicht gleich die Wahrheit gesagt … es ist Lyskirchner’s, des Stadtkammerers Töchterlein, das sich in dieser Mummerei hierher gewagt und mich aufgesucht …“

„Die Lyskirchnerin?“ riefen neugierige Stimmen von allen Seiten. „Was will die hier? Bei Euch und vermummt?“

„Könnt Ihr das noch lange fragen? Ist es nicht genug, daß es die Tochter ist? Was kann sie suchen, als ihren gefangenen Vater?“

„Da ist nichts zu suchen, war sie doch in Weiberkleidern schon ein paar Mal da, aber sie ward nicht hineingelassen; es thut nicht noth, daß sie ihm Nachricht zubringt oder von ihm hinwegträgt!“

„Das kann Euer Ernst nicht sein, Bürger!“ rief Loy, dem jeder Ausweg willkommen schien, ohne den leisen Händedruck Margarethens zu beachten, mit dem sie ihn zurückhalten wollte. „Seid Ihr nicht auch Väter und habt Kinder, von denen Ihr einmal wollt, daß sie an Euch handeln sollen wie Kinder? Wie, wenn sich’s umgekehrt geschickt hätte, wenn Ihr in Banden läget, würd’ es Euch gefallen, wenn Euere Töchter und Söhne sich nicht um Euch kümmerten? Was würdet Ihr sagen, wenn man sie von Euerer Schwelle stieße, wie Ihr diese hinwegstoßen wollt?“

„Das ist wahr! Der Meister hat Recht!“ riefen mehrere Stimmen. „Man soll uns nicht nachsagen, daß wir Unmenschen sind, die kein Herz im Leibe haben! Die Lyskirchnerin soll zu ihrem Vater; kommt, Fräulein, kommt, wir führen Euch zu ihm …“

„Nein, nein … jetzt nicht!“ rief Margarethe ängstlich, „jetzt bin ich nicht vorbereitet …“

„Ei, habt keine Sorge, Jüngferlein,“ sagte der Schneider und nahm sie treuherzig bei der Hand. „Kommt mit mir, ich thu’ Euch nichts zu Leid, hab’ ja auch einen Vater gehabt und habe einen Buben, an dem ich Freud’ erleben möcht’! Kommt nur, braucht Euch nicht zu entsetzen, wir sind keine Wilden, die einen Feind in’s tiefste Verließ werfen zu den Vipern und Ottern; der Stadtkammerer hat ein ganz feines Gefängniß …“

„Weh’ mir!“ seufzte sie in sich hinein, während sie von der stürmischen Schaar fortgedrängt wurde, „ich löse dem Freunde das gegebene Wort und willenlos werd’ ich vielleicht am Vater zur Verrätherin …“

Sie verschwanden im Rathhause. Die beim Feuer als Wächter Zurückbleibenden hatten aber kaum die alten Plätze wieder eingenommen und bei Faß und Krug Nachsicht gepflogen, als von oben her wildes Lärmen und Rufen ertönte. „Holla, was giebt’s da?“ rief es durcheinander; als Antwort flog oben ein hastig geöffneter Fensterflügel an die Wand und eine gellende Stimme schrie durch die Nacht: „Verrath, Verrath! Bürger heraus! Der Stadtkammerer, unser Todfeind, ist entflohen! Sicher ist er hinaus und sucht nach Stauf zu kommen und uns die bairischen Mordbrenner auf den Hals zu rufen! Bürger heraus! Schickt nach den Thoren! Lauft auf die Mauern! Spürt in allen Winkeln, vielleicht ist er noch in der Stadt, vielleicht ist er noch aufzuhalten!“ Wuthgeheul antwortete dem Ruf; Waffen klirrten darein; nach allen Seiten stob es drohend auseinander und bald verkündeten einzelne dröhnende, sich immer schneller folgende Schläge, daß auch die Glocken ihre ehernen Zungen leihen mußten, das Unheil auszurufen, das über Regensburg hereingebrochen!

Wenige Augenblicke später kamen die Männer vom Rathhause zurück, in ihrer Mitte den Barchentweber, Meister Loy und Margarethe mit sich schleppend und auf sie hineinbrüllend, daß sie es gewesen, die ein heimlich verrätherisches Spiel getrieben und dem Verhaßten zu Flucht und Freiheit verholfen. Am schlimmsten ging es dem Weber, der angstvoll, und ohne die Hände von seinem inhaltschweren Gürtel zu lassen, sich unter den Fauststößen seiner Dränger wand. „Gesteh’, was gethan, Du Hund!“ schrieen sie, „wie hat er entkommen können, wenn Du Deine Schuldigkeit als Wächter gethan? Du hast ihm durchgeholfen!“

„Heiliges Blut von Neumarkt!“ wimmerte der halb Erwürgte. „Ich weiß von nichts! Ich bin ihm nicht von der Seite gewichen, aber er muß ein Hexenmeister und durch die Luft verschwunden sein, zur Thür hinaus konnt’ er nicht!“

„Warum konnt’ er nicht?“ rief zürnend der Schmied. „Ihr habt Wein gesoffen, bis Ihr eingeschlafen seid; das ist das ganze Geheimniß!“

„O Gott, o Gott!“ jammerte Hetzer wieder, „ich will in meinem Leben nie mehr Geld haben, als ich jetzt an mir trage, wenn ich nicht treulich gewacht habe! Habt Ihr den Wasserkrug nicht gesehen? Waren nicht Stiegen und Gänge auch besetzt? Und bin ich denn allein gewesen? Fragt einmal Euere Gesellen, ob wir nicht tapfer gewacht haben?“

Die Gesellen zauderten natürlich keinen Augenblick, ihm beizustimmen, und wenn er das tollste Märlein erzählt hätte, sie hätten es als wahr bestätigt, aus Furcht, daß die Wahrheit an’s Licht kommen möchte.

Der Bildschnitzer mengte sich endlich darein; ihm lag daran, das an seinem Arm sich nur mühsam aufrecht haltende Mädchen dem betäubenden Lärm und Gewühl zu entziehn. „Was plärrt Ihr durcheinander, wie die Narren im Mummenschanz?“ rief er überlaut. „Der Fuchs ist aus dem Bau; wollt’ Ihr wie die Schildbürger streiten, durch welches Loch er entwischt ist? Sucht lieber draußen, wohin er sich gewendet haben mag! Thut Euere Schuldigkeit und zeigt, daß der Dommeister nicht einen Haufen blöder Kinder vor sich hatte, als er von Euch sich das Wohl der Stadt geloben ließ! Fort, Jeder auf seinen Posten … den linken Schächer aber da, den Ihr zum Sündenbock machen möchtet, den laßt laufen!“

Damit schwenkte er den Barchentweber herum; der Knirps ließ sich die Gelegenheit nicht zwei Mal bieten und verschwand in der Menge, wie die Grundel, die sich im Schlamm einbohrt.

„Oho!“ rief nun der Schmied, „wer erlaubt Euch, uns zu meistern? Wollt Ihr mehr sein als wir, weil Ihr Euch herausnehmt, uns zu befehlen?“

„Recht, Gevatter,“ schrie der Tuchscheerer darein; „was braucht er uns den Dommeister aufzumutzen? Wir wissen selber, was wir zu thun haben, und wenn wir uns einen Anführer gewählt haben, können wir ihn auch wieder absetzen!“

„Eh’ Ihr uns befehlen wollt,“ schrie ein Dritter, „rechtfertigt Euch erst selber, daß Ihr kein Verräther seid! Zeigt erst, daß Ihr nicht mitgeholfen habt bei der Flucht! Haben wir Euch nicht ertappt, wie Ihr geheime Zwiesprach gepflogen mit der verkleideten Dirne?“

„Laßt mich nur erst das Fräulein in Sicherheit haben!“ rief Loy den auf ihn Andringenden entgegen. „Glaubt nicht, daß ich mich vor Euch fürchte und wenn Ihr Euch noch so bärbeißig anstellt! Bin ich erst allein, dann sollt Ihr die Antwort haben, wie sich’s ziemt, bis dahin aber zurück! Wer das Mädchen nur mit einer Fingerspitze berührt, dem bohr’ ich mein Schnitzmesser in den Leib!“

Loy’s feste und drohende Haltung verfehlte den Eindruck nicht; doch wäre dieser wohl kaum ergiebig genug gewesen, die Menge lang zurückzudrängen, hätte nicht neuer verstärkter Lärm verkündigt, daß ein neues Ereigniß eingetreten, wohl geeignet das Vorhergegangene vergessen zu machen. Darüber gelang es Loy, Margarethen den Händen einiger Weiber zu übergeben, welche mitleidige Neugier aus einem Hause hervorgelockt hatte; Alles wogte in der Richtung gegen die zur Donaubrücke führende Straße hin, von wo ein wüster Haufe in rasendem Knäuel sich heranwälzte.

In Mitte der bewaffneten Werkgenossen ward ein Mann herangeschleppt, kaum vermögend sich aufrecht zu halten, mit triefendem Gewand; ein breiter Blutstreifen lief unter dem weißen Haare hervor über Stirn und Antlitz nieder …

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_586.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)