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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Loy eilte entgegen … auch Margarethe, von schrecklicher Ahnung aus halber Bewußtlosigkeit aufgeschreckt, entriß sich den Armen ihrer Hüterinnen und kam eben hinzu, als die Schaar mit ihrem Gefangenen den Feuerplatz erreichte …

In einem Augenblick hatte sie mit übermenschlicher Kraft das Gedränge durchbrochen, im nächsten stürzte sie mit wildem Aufschrei zu des Mannes Füßen.

Der Blutende richtete sich zur ganzen Höhe seiner Gestalt empor: er war der Alte, ungebrochen an Körper und Geist. „Du hier?“ rief er mit wild ausbrechendem Grimm. „O, nun wird mir Alles klar! Also bis dahin ist es mit Dir gekommen …“

„Nein, Großvater!“ rief sie wie außer sich und suchte seine Hand zu fassen, die er ihr stets entzog, „beim Heil meiner Seele, ich habe nicht gethan, was Du denkst …“

„Hinweg von mir, Entartete!“ entgegnete Lyskirchner, indem er sie von sich drängte und sich zu den Bürgern wendete. „Bringt mich in den Kerker, thut mit mir wie Ihr Macht habt über einen Gefangenen, aber schützt mich vor diesem Weibe, wahrt mich vor der Schlange, die ich mir selbst am Herzen erzogen… Meinen grimmigsten Fluch über Dich, Verrätherin!“

„Was soll das heißen?“ schrie Schuster Hörhamer entgegen, indeß Margarethe mit einem Kreischen des Jammers und der Verzweiflung zu Boden sank. „Wenn hier von Verrath die Rede ist, ist Niemand der Verräther, als Ihr selbst. Habt Ihr nicht Söldner geworben, die Stadt zu überfallen, während Ihr uns mit friedlicher Unterhandlung genarrt? Seid Ihr nicht aus Eurem Gewahrsam entflohen und wolltet hinaus, um den Ueberfall jetzt noch auszuführen? Warum seid Ihr in den Windfangbach hinabgestiegen und in dem Canal hinausgewatet bis unter die Mauer? Haben wir Euch nicht ergriffen, wie Ihr eben den Nachen losmachen wolltet, um nach Stauf hinabzufahren und uns die Mordbrenner über den Hals zu schicken?“

„Und bildet Ihr Euch vielleicht ein,“ erwiderte Lyskirchner stolz, „ich werde leugnen, was ich gewollt und gethan? Es war nur, was mir Recht und Pflicht gebot, dem Aufruhr gegenüber, zu dem Ihr Verblendeten Euch hinreißen ließt, zum Untergange der Stadt und Eurem eigenen Verderben! Ich bereue, ich beklage nichts, als daß mein Vorhaben nicht gelang … Ihr Alle …“

„Ein unheimlicher, dröhnender Schall, wie der Ruf eines Feuerhorns, dröhnte durch die Nacht und unterbrach ihn; Alles stand und lauschte in die Nacht empor. „Der Thürmer ruft an,“ flüsterte es ahnungsvoll und hohle, dumpfe Worte schallten langsam in gezogenen Tönen hernieder. „Fackeln am Thor!“ klang es. „Ein Trupp Reiter jagt heran!“

„Sie sind’s! Die bairischen Mordknechte kommen!“ schrie Alles und rannte in wilder Hast, wüthend und doch angstvoll durcheinander.

„O, daß es wäre!“ rief Lyskirchner und hob die Arme hoch in die nächtliche Finsterniß. „Wenn du meine Rache übernommen hättest, o Himmel … nur so lange halte meine sinkende Kraft empor!“

„Nein,“ rief der Schuster wüthend, „Du wenigstens sollst den Triumph nicht erleben! Nieder mit Dir…“ Damit sauste seine Hellebarde durch die Luft und der breite, beilartige Theil derselben schmetterte auf das schutzlose Haupt des Kämmerers hernieder; der Getroffene wankte, sein trotziger Wille schien einen Augenblick sich selbst gegen den Tod wehren zu wollen, der durch die breit klaffende Wunde eindrang; dann stürzte er mit voller Wucht zusammen, über ihn Margarethe, in herzzerreißendem Jammer, mit schwindenden Sinnen.

– Der verhängnißvolle Schlag war kaum gefallen, noch stand das Volk und hatte kaum erfaßt, was geschehen, als abermals Rufen ertönte, dazwischen der wechselnde Hufschlag heranstürmender Pferde. Bis auf wenige der Beherztesten drängte Alles zur Seite, aus Furcht vor den bairischen Reitern, die man eingedrungen glaubte.

Es war Wolf Roritzer, der Dommeister, der mit einigen Begleitern heransprengte und sich von seinem schaumbedeckten Thiere warf; der erste Blick ließ ihn überschauen, was geschehen war. „Weh’ mir!“ rief er, „also doch vergeblich, dennoch zu spät! Verblendete, welcher Wahnsinn hat Euch erfaßt! Während Ihr mich auf dem Wege zum Kaiser wißt, taucht Ihr Eure Hände in Blut! Habt Ihr mir nicht Ruhe gelobt? Habt Ihr mir nicht feierlich zugesagt, daß Niemandem auch nur ein Haar gekrümmt werden solle?“

Der Rausch in den Köpfen begann bei dem Anblick des Todten zu verfliegen, die Erregung ermattete. „Wir können nichts dafür,“ sagte kleinlaut Rauhenfelser, „der Kammerer war aus dem Gewahrsam entflohen; wir glaubten, die Baiern. seien schon in der Stadt …“

„Loy, Du hier?“ unterbrach Roritzer mit freudig-schmerzlichem Ausrufe und zog ihn an seine Brust. „… So müssen wir uns wiedersehen, alter Freund? Aber Dank für Deine Fürsorge, auch wenn sie vergeblich war! … Du weißt, wie Doctor Stabius mir selbst sich zum Begleiter angetragen und mir sein Fürwort anbot bei Kaisers Majestät, aber der alte Mann, des scharfen Reitens nicht gewohnt, erkrankte uns, wie wir in die Richtung von Pfatter kamen… Drüber ward ein ziemlicher Aufenthalt, konnt’ ich ihn doch nicht so zurücklassen und wollte seiner in Augsburg nicht entbehren; so geschah’s, daß Dein Bote mich noch einholte… Ich brach augenblicklich auf, aber ein böses Geschick vereitelte meinen redlichen Willen, wie Deine gute Absicht! … Wilder, trotziger Greis,“ fuhr er fort und trat näher an die Leiche des Kammerers. „Du selbst hast es auf Dich herabbeschworen, dieses böse Geschick! … Nicht also hab’ ich mir die Zukunft gedacht, wahrlich nicht also war es, wie ich den Ausgang träumte; andere Bilder schwebten vor meiner ahnenden Seele, schöne Träume von Frieden, Versöhnung, Glück … sie fließen mit Deinem unaufhaltsam rinnenden Blute dahin… Und wer ist es, der so über dem Todten trauert? Wessen Gemüth ist so reich, daß es so viel Liebe übrig hat für diesen starren, unbeugsamen Mann? …“

Er blickte näher hin, ein schwacher Schrei drängte sich über seine Lippen, er taumelte einen Schritt zurück in Loy’s Arme …

Wenige Worte genügten, das Geschehene zu erklären.

„Hast Du es so treu gemeint mit dem Wort, das Du mir gegeben?“ sagte Roritzer mit leiser, vor Rührung bebender Stimme. „So hat mein Gefühl mich nicht betrogen … auch Dir ist die Stunde unseres Begegnens zur Grenze geworden, an welcher weit zurück das Leben mit Allem, was vergangen war, versinkt, verweht wie ein Traum, aus dem man erwachend emporfährt und vor welcher weit und leuchtend dahingebreitet ein Paradies emporsteigt im Morgenstrahl? … O, welche reiche Saat von Freude liegt hier zerschmettert … ein Eden von Blumen ist verwelkt und zerstört … Sie regt sich, Freund! Laß sie hinwegbringen, ich folge Dir … ihre wieder sich öffnenden Blicke sollen diesem Bilde des Schreckens nicht mehr begegnen …“

Niemand rührte sich, in lautlosem Ring stand die erst so aufgeregte Menge und ließ Loy gewähren; als Roritzer ihm schweigend folgen wollte, trat ihm der Schmied ehrerbietig in den Weg.

„Sagt nun an, Herr, was geschehen soll,“ sprach er mit gesenktem Tone; „wir warten der Befehle unsers Anführers …“

„Eures Anführers?“ rief Roritzer, indem er sich umwandte und dem Fragenden voll Hoheit entgegentrat. „Wer ist so kühn, Wolf Roritzer, den Dommeister, an dieser Stelle noch mit diesem Namen zu rufen? Ich habe mich Männern zugesagt, besonnenen Bürgern, die gelassen einstehen mit ihrer ganzen Kraft für ihr Recht und ihre Freiheit. Ihr seid, wofür ich Euch anfangs gehalten, meuterisches Gesindel, das im Weine seinen Sinn ertränkt, das aus dem Aufruhr ein Geschäft macht; sucht Euch unter Räubern den Anführer, der zu Euch gehört! Ich sage mich los von Euch … feierlich hebe ich meine Hand zum Schwure auf in den nächtlichen Himmel und sage, daß ich keinen Theil habe an diesem Blute, keinen an Euch… Mein einzig Streben soll sein, Euch zu vergessen, mein ärgster Feind soll heißen, der mich daran mahnt, daß ich jemals Euch angehört!“

Dumpfes Gemurre antwortete. „Das könnt Ihr nicht,“ hieß es, „Ihr habt Euch uns zugesagt, Ihr müßt den Vertrag halten …“

„Vertrag?“ rief Roritzer aufflammend. „Vertrag mit Euch? Hier liegt er zerrissen zu Euren Füßen und wenn seine Buchstaben glühend stünden, wie Flammenschrift der Hölle, dies Blut hat sie ausgelöscht! … Euer Recht habt Ihr zu suchen begehrt? Eure Freiheit? Unselige, hier vor Euch liegt der Beweis, wie sehr wohl Jene gethan, die Euch Beides vorenthielten … Ihr seid reißendes, wildes Gethier, das nur Käfig und Kette bändigt, Ihr wißt die Freiheit nicht anders zu nützen, als zu Raub und Mord! Ihr selber habt den Vertrag, das feierliche Gelöbniß gebrochen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_587.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)