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Irrthum vorkommen, so möge zur Entschuldigung auf die Zeit hingedeutet werden, in welche die Regierungsperiode dieses deutschen Kleinfürsten fällt. Die Jahre von 1822 bis 1848 gehören zu den düstersten der neueren deutschen Geschichte. In ihnen kam jenes System, welches nach seinem Urheber, dem k. k. Haus-, Hof- und Staatskanzler Fürsten Clemens Metternich benannt wird, zur höchsten Entwickelung. In jenen Zeiten der geistlosesten und brutalsten Polizeiwirthschaft war schon die einfache, kritiklose Mittheilung gewisser Thatsachen bedenklich, ja sogar zuweilen unmöglich. Eine Presse in den Kleinstaaten gab es nicht; die der Mittelstaaten mußte sehr vorsichtig sein.

Es war am 8. Mai 1824, als Fürst Heinrich der Zweiundsiebenzigste die Regierung über das Fürstenthum Lobenstein-Ebersdorf und die Mitregentschaft über das Fürstenthum Gera antrat. Das Fürstenthum Reuß-Lobenstein-Ebersdorf, welches heute einen Landrathsbezirk des Fürstenthums Reuß j. L. bildet, war damals und bis zum Jahre 1848 ein selbstständiges, souveränes deutsches Fürstenthum mit einem Flächenraum von sechs Quadratmeilen und vierundzwanzigtausend Einwohnern, deren unumschränkter Gebieter Heinrich der Zweiundsiebenzigste war. Er war bei seinem Regierungsantritt siebenundzwanzig Jahre alt, von schöner Gestalt, lebhaften Geistes und einem Temperament, dessen heißen Wallungen sein Erzieher niemals die geringste Beschränkung auferlegt hatte. In einem Augenblicke richtiger Selbsterkenntniß hat der Fürst an öffentlicher Tafel dies seinem Erzieher, er hieß Heinemann, in bitteren Worten vorgeworfen. Trotz der Kleinheit seines Fürstenthums fühlte sich Heinrich der Zweiundsiebenzigste, ebenso wie der mächtigste Alleinherrscher, durchdrungen von dem Bewußtsein seiner Souveränetät, und der Unumschränktheit seines Willens sollte sich Alles beugen. Dies sollte, kaum zwei Jahre nach seinem Regierungsantritt, sein Völkchen in so furchtbarer Weise erfahren, daß noch bis zum heutigen Tage die Erinnerung daran nicht aus dem Gedächtniß der dortigen Bevölkerung geschwunden ist, aber noch in keinem deutschen Geschichtswerk ist das folgende Ereigniß ausgezeichnet.

Im Jahre 1826 erschien eines Tages eine fürstliche Verordnung, in welcher der Landesbevölkerung befohlen wurde, ihre sämmtlichen ländlichen Gebäude in der als Landfeuersocietät privilegirten Magdeburger Feuerversicherungsgesellschaft zu versichern. An und für sich betrachtet, war dies eine sehr zweckmäßige Anordnung. Denn zu jener Zeit waren die Bauern mit ihren Immobilien noch gar nicht assecurirt und deshalb Brandunglück für die Betroffenen ein großes Mißgeschick. Indessen das Landvolk begriff das Wohlthätige der Verordnung nicht; die bureaukratische Barschheit und Ungeschicktheit, die damals womöglich noch größer in Deutschland waren, als heute, verstanden es auch nicht, das Gute der Verordnung den Leuten begreiflich zu machen; sie hielten es auch wohl unter ihrer Würde. Der Fürst wollte es, das Volk hatte einfach zu gehorchen. Verschiedene an die Landesdirection wie an den Fürsten selbst abgesendete Deputationen kamen unverrichteter Sache zurück. Die verweigerten Versicherungsbeiträge wurden mittels Execution beigetrieben. Da rottete sich die gesammte Bauernschaft des Fürstenthums in dem Dorfe Harra bei Lobenstein zusammen. Auf die Nachricht davon schickte Heinrich der Zweiundsiebenzigste sofort alle seine Militärmacht von Lobenstein-Ebersdorf und Schleiz, zwei Compagnien, mit einem gewissen Herrn von Flotow als Civilcommissar nach Harra. Es war am 6. October des genannten Jahres. Die Truppen stellten sich in Schlachtlinie auf einem freien Platze inmitten des Dorfes auf. Ihnen standen die Bauern gegenüber, lärmend, aufgeregt, aber ohne Waffen. Eine kurze Aufforderung an die Bauern, auseinander zu gehen, verhallte in dem Tumult. Plötzlich wirbelt die Trommel; es fällt ein einzelner Schuß, dem ein wohlgenährtes Heckenfeuer auf der ganzen Linie der Militäraufstellung folgt. Ein Lieutenant, Zenker hieß der Ehrenmann, springt vor die Fronte und schlägt mit dem Degen die Gewehre der Soldaten in die Höhe, um die Schüsse in die Luft zu leiten, aber schon liegen siebenzehn Todte und eine Menge Schwerverwundete, darunter ein hübsches, junges Bauernmädchen, das ihren beim Militär stehenden Bruder hatte bewillkommnen wollen, blutend am Boden. Ein gräßliches Entsetzen befällt die Menge, laut jammernd stäubt sie auseinander.

Eine Stunde später erschien der Fürst auf dem mit dem Blute und dem Gehirn seiner Unterthanen bespritzten Platze. Er sah bleich aus, wie der Tod. Verzweifelte Frauen, weinende Kinder umringten sein Pferd.

„Das kommt davon,“ so redete er zu dem Volke, „wenn die Leute nicht folgen. Und wenn es nun noch nicht ruhig im Lande wird, dann lasse ich die böhmischen Schnauzbärte kommen. Er meinte damit die in Böhmen stehenden österreichischen Truppen.

Einige bei der Zusammenrottung betheiligt gewesene baierische Bauern wandten sich mit einer Beschwerde an den Bischof von Bamberg, dessen Bruder damals königlich baierischer Bundestagsgesandter in Frankfurt a. M. war. So kam die Sache vor die Bundesversammlung. Im Gasthof zu Harra wurde mir auch erzählt, eine Bauerndeputation sei nach Wien zum Kaiser gegangen, im guten Glauben, daß der österreichische Kaiser noch Kaiser des heiligen römischen Reichs deutscher Nation, der allein Hülfe und Sühne gegen die Unbilden der Vasallen des Reichs gewähren könne. Ob daran etwas Wahres ist, weiß ich nicht. Aber von Seiten des Bundes wurde eine Untersuchungscommission nach Lobenstein-Ebersdorf abgeordnet, deren Vorstand der weimarische Criminalrath Hickethier aus Weida war. Ein Resultat dieser Untersuchung ist nie bekannt geworden, ebensowenig aufgeklärt, von wem der Befehl zum Feuern ausgegangen. Jener Herr von Flotow, welcher als Civilcommissar bei der Expedition fungirt, wurde entlassen und starb als preußischer Landrath. Ein Hauptmann Mondorf aber, der in jener Harraer Schlacht, wie die Metzelei genannt wird, einem Bauer, der sich bückte, um seine Schuhriemen zu binden, mit einem Säbelhieb den Kopf gespalten, erschoß sich später. Ich habe noch eine alte Bauernfrau gekannt, die sich blind geweint um ihren einzigen Sohn, der an jenem Schreckenstage erschossen wurde.

Indessen hinderten derartige absolutistische Gelüste Heinrich den Zweiundsiebenzigsten nicht, sich zuweilen auch mit constitutionellen Ideen zu tragen … Man muß die traurigen öffentlichen Zustände eines deutschen Kleinstaates jener Zeit gekannt haben, um das Erstaunen gerechtfertigt zu finden, welches die Bewohner der guten Stadt Lobenstein und ihres Umkreises ergriff, als sie eines Tages – im Februar 1838 – im Amts- und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Reuß-Lobenstein-Ebersdorf unter der Rubrik „Vermischte Nachrichten“ folgenden Artikel lasen:

„(† Eingesandt. Europa 1838.) Es existirt in einem Lande ein Fürst, welcher aus eigener freier Ueberzeugung und eigenem freien Vorsatz beabsichtigte, eine neue verbesserte, auf Erweiterung der landständischen Rechte, Volksvertretung und allgemeine Staatsbürgerrechte gegründete landständische Verfassung einzuführen. Er arbeitete sie selbst aus, theilte sie seinen Landständen zur Begutachtung mit … Was geschah? Die Landstände, d. h. die alten, verrotteten (deren Zahl sich zum ganzen Volke wie 7: 20,000 verhält), machten die Ausführung der Absicht des Fürsten dadurch unmöglich, daß sie – in einer zu ihrer Kleinzahl unangemessenen Anzahl Mitglieder der neuen Landstände sein wollten und erklärten, ‚sie könnten sich nicht eher über den verbesserten Entwurf der landständischen Ordnung aussprechen, als bis die Vettern des Fürsten in einigen nahegelegenen Ländern auch dasselbe gethan hätten.‘ Dadurch ward aber die Ausführung der landesväterlichen Absicht unmöglich. Aehnliches Gutachten erstattete ein im Nimbus der Gemeinschaftlichkeit sich sonnendes Collegium. Die Sache ward aufgegeben … Die Verrotteten blieben … Der Fürst – nicht wie jener verrätherische Landpfleger, sondern als ehrlicher Mann – wusch seine Hände in Unschuld.“

Dieser Artikel in einem officiellen kleinstaatlichen Blatte erregte damals allgemeines Aufsehen. „Ueberall,“ rief ein sächsisches Blatt aus, „herrscht die Censur, nur im Fürstenthum Lobenstein-Ebersdorf ist Preßfreiheit.“ Die Redaction des sächsischen Blattes ahnte nicht, daß Serenissimus, Heinrich der Zweiundsiebenzigste selbst, der Verfasser dieses „Eingesandt. Europa 1838“ war.

Man sagt, daß ein Mensch, der einmal einen gelungenen Vers gedichtet, unlösbar an den Pegasus gefesselt sei. Vielleicht war das Aufsehen, welches dieser kleine Artikel in der Presse machte, die Ursache jener fruchtbaren schriftstellerischen Thätigkeit Heinrich’s des Zweiundsiebenzigsten, die sich zwar nicht in umfangreichen Werken äußerte, aber ihm dennoch einen Namen machen sollte. Es würde die Grenzen, welche diesem Artikel räumlich gezogen sind, weit überschreiten, wenn wir alle die originellen Erlasse des Fürsten in ihrem vollen Wortlaute hier wiedergeben wollten. Nur Einiges sei davon angeführt.

Er hatte die Beobachtung gemacht, daß seine Unterthanen seine Beamten nicht gehörig titulirten. Dies schien ihm bedenklich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_592.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)