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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 39.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Dommeister von Regensburg.
Geschichtliche Erzählung von Herman Schmid.
(Schluß.)


Von draußen riefen die Abendglocken zum Gebet, zugleich fiel in Garten und Kreuzgang der letzte Sonnenstrahl und so einmüthig trafen Ton und Licht zusammen, daß man fragen mochte, war es der Abendschein, der so feierlich klang, oder hatte der Schall sich zum Strahle verdichtet und zu leuchten begonnen. Wieder, wie vor Wochen, schritten nach dem Glockenzeichen die Steinmetzen und Werkleute vorüber und zogen die Mützen, aber sie sprachen den Feierabend-Gruß nicht, der doch wohl unerwidert geblieben wäre; es war, als ahnten und ehrten auch sie, was in der Seele des Meisters vorging.

Als der letzte Hall verklungen, richtete Roritzer sich auf, griff gelassen wieder nach Meißel und Hammer und fuhr in der Arbeit fort, wo sie unterbrochen worden.

„Du willst noch arbeiten, Wölflein?“ fragte Loy und trat verwundert hinzu. „So spät noch? Was ist es Dringendes, das Du schaffst?“

„Was ist dringend,“ fragte Roritzer entgegen, „und was ist es nicht? Die Zeit geht dahin – so unmerklich schnell, daß man nie sagen kann, ein Geschäft sei vor dem andern abzuthun … gethane Arbeit bleibt gethan!“

„Ist das nicht der Block mit den Werkzeichen?“

„Er ist’s … mein Zeichen fehlt noch daran: man weiß nicht, was den Menschen anwandeln und treffen kann in der nächsten Stunde … ich hab’ das bitter lernen müssen in den letzten Tagen, drum hab’ ich das Kreuz mit dem unten gebrochenen Stamm eingemeißelt – einmal mußt’ es ja doch geschehen!“

Der alte Meister antwortete nicht gleich; er schien etwas auf dem Herzen zu haben und nicht zu wissen, wie er beginnen sollte, es an den Mann zu bringen; er trat ganz nahe hinzu und sah wie neugierig, als hätte er noch niemals im Leben dergleichen gesehen, den Meißelschlägen zu, unter denen das Zeichen im Stein sich lösend entstand.

„Ja, ja, Wölflein, Du hast ganz Recht,“ sagte er dann, „gethane Arbeit ist gethan und nach ihr soll gut ruhen sein! … Wie weit ist’s mit Deinem Schutzengel-Altar?“

„Er ist vollendet – im Entwurfe, bis zur Ausführung.“

„Gut, gut – und die Geländer zu der Giebelgalerie?“

„Sie sind fertig: ich habe gestern die letzte Kreuzrose zu Ende gebracht … Warum fragst Du all’ das?“

„Warum?“ entgegnete Loy etwas zögernd. „Ja sieh’, mein Wölflein – es geht mir wie Dir! Hab’ auch in den letzten Wochen so viel erfahren, wovon ich keine Ahnung gehabt, daß ich mein altes Regensburg schier nicht mehr kenne und komme mir vor, als hätt’ es mich hinein geschneit an einen wildfremden Ort. Es engt mich in den Mauern, drum will ich hinaus, will die Donau hinauf, wo in der Felsenschlucht eingekeilt das einsame Kloster Weltenburg liegt – Du weißt ja, ich habe einen alten Freund dort, den Pater Sabinus, den ich wohl zehn Jahre nicht gesehen …“

„In der That? Du willst von mir gehen?“ fragte Roritzer lächelnd.

„Das so eigentlich nicht,“ entgegnete der gute Alte, der immer befangener ward. „Das nicht! Hab’ mir vielmehr gedacht, Du solltest mit mir gehen – würde Dir sicher auch gut thun, Wölflein und bist ja fertig schier mit all’ Deiner Arbeit!“

„Meinst Du?“ rief der Meister und fuhr sich sinnend über die Stirn. „In die einsame Felsenschlucht – nach Weltenburg also! Ein guter Name das und ein viel verheißender … Eine feste Burg, die ihren Einwohner wahrhaftig vor der Welt verbirgt! Die Welt bleibt draußen, aber ob das auch zurück bleiben wird, was man in sich mit hinaus trägt aus der Welt … Doch gleichviel, ich gehe mit Dir! Wir wollen Deinen Pater Sabinus besuchen – morgen will ich Urlaub fordern und die Domhütte einem Andern übergeben …“

„Morgen erst?“ rief Loy hastig und doch sichtbar unsicher, wie er das vorbringen sollte, was er im Sinne trug. „Ich hab’ mir’s einmal eingebildet, daß ich heute noch gehe, und Du weißt wohl, Alter macht eigensinnig – darum rüste Dich nur und komm: ich bin deßwegen hier, um Dich mitzunehmen …“

Roritzer trat zu dem Alten, legte ihm, wie er pflegte, die Hand auf die Schulter und sah ihm fest in’s Auge. „Viel hab’ ich für möglich gehalten,“ sagte er, „aber wer mir das gesagt, den hätt’ ich einen Thoren genannt!“

„Was denn?“ fragte Loy und suchte unbefangen auszusehen, schlug aber die Augen vor dem forschenden Blicke des Freundes nieder. „Was hättest Du nicht für möglich gehalten?“

„Daß es meinem alten Loy noch einfallen sollte, seinen Schüler und Sohn zu hintergehen!“

„Hintergehen? Ich Dich? Wie kannst Du … Aber sieh mich nicht so an, Wölflein, ich will’s nur eingestehen und die Mummerei fallen lassen, die mir doch nicht anstehen will. Nun ja denn, weil Du all’ mein Winken und Deuten die Tage her nicht hast verstehen wollen, bin ich auf den Umweg verfallen. Ich werde meine alte Sorge nicht los, bei meiner armen Seele drum sag’ ich’s lieber gerade heraus: Du sollst fort, Wölflein, oder richtiger – Du mußt fort!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_601.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)