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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

der Stadtarzt, geschritten, sichtlich vermeidend, das verhängnißvolle Gerüst in’s Auge zu fassen; der Edle von Aunkhover trat ihm des Weges entgegen, hochgetragen das Haupt, in der Hast sieghafter Befriedigung. „Ihr wollt fort, Doctor?“ sagte er bissig. „Wollt nicht zusehen, wie meine Cur angewendet wird?“

„Mir gebricht die Zeit,“ entgegnete der Arzt, „ich bin über Land gerufen zu einem gefährlichen Kranken.“

„Was Ihr mir sagt! Und die Gefahr scheint dringend, nach Eurer Eilfertigkeit zu schließen? … Der Kranke wird Euch wohl gar auf längere Zeit in Anspruch nehmen?“

„Möglich, so Ihr aber meiner bedürfen solltet, werde ich nicht verfehlen, zur Hand zu sein; Ihr wißt, meine reisende Uhr behält allzeit Recht …“ Aunkhover ging, der Stadtarzt sah ihm nach. „Er vermuthet, was ich vorhabe,“ murmelte er. „Immerhin! Ich will fort, ehe der Sand abläuft, meine Vorstellung und Fürbitte war vergebens, die Tigerkrallen sind noch ausgestreckt; ich will nicht erproben, wie weit sie reichen …“

Am Fuß der Todesbühne trafen Roritzer und Loy mit dem Zuge der Andern zusammen, mit Hörhamer, Rauhenfelser, dem Schneider und Allen, denen es nicht gelungen war zu entkommen, oder die ihr Haupt sicher geglaubt und es nun niederlegen mußten zu blutiger Sühne; es waren ihrer wohl zwanzig an der Zahl.

Noch ehe sie vollends herangekommen, traf es Roritzer, den Todesreigen zu beginnen. Er umarmte Loy noch einmal, dieser aber streichelte ihm die Wange und rief: „Keinen Abschied, Wölflein, es lohnt der Mühe nicht für die paar Augenblicke, die Du Vorsprung hast …“

Als Roritzer den Fuß auf die Stufen setzte, erscholl feierliches Glockengeläute, den Morgen zu verkünden. „Hörst Du?“ rief er. „Denk’ an Margarethens Wort: die Glocken läuten das Wiedersehen ein …“

Wenige Augenblicke später fiel sein Haupt unterm Beil, noch einige Secunden, und der wackere, fröhliche Bildschnitzer hatte ihn eingeholt.

Am Abend traf auf abgehetztem Rosse, erschöpft und leidend, Doctor Stabius ein, der gekrönte Poet, und brachte den Instandsbefehl, den er am Kaiserhofe erwirkt – er fand nichts mehr zu thun, als die beiden Künstler, die er so werth gehalten, zum Grabe zu geleiten. Daß der Kaiser später über die eilfertige Vollstreckung zürnte und den abgerufenen Hauptmann seine Ungnade fühlen ließ, weckte und störte die Dahingegangenen nicht mehr.

– – – Des letzten Dommeisters letzter Traum aber hat sich zu erfüllen begonnen: der herrliche Dom von Regensburg wird ausgebaut und rückt der Vollendung nahe, vielleicht erfolgt sie zur Stunde, da, wie er es geahnt, Volk und Reich daran gedenkt, die alte Größe aus dem Schutte zu graben.

Roritzer wurde am Dom bestattet. Vor wenigen Jahren noch war die Stelle mit einer durch die Unachtsamkeit der Gegenwart jetzt verloren gegangenen Tafel bezeichnet. Sie trug das schwarze, am Stamm gebrochene Kreuz und die Inschrift:[WS 1]

Anno. domini. 1518. am. 12. may. starb. der. erbar. wolfgang. roritzer. thumbmaister. dem. g. g.

Wie die Tafel, ist auch sein Gedächtniß verschwunden, und nur eine unsichere Sage erzählt von einem Baumeister des Doms, der unter dem Schwerte geendet. Die alten Bücher aber wissen davon, besonders die ungedruckte Chronik eines Zeitgenossen, des wackern Domherrn Widmann, der mit blutendem Herzen die Gräuel beschreibt, deren er Zeuge gewesen, und die meisten der Thatsachen und Namen erzählt, die hier berichtet sind. Er schließt mit unverkennbarer Betrübniß, wenn er von Loy spricht, der ein „schneeweiß alter ehrlicher Herr“ gewesen, und von Roritzer, wie man, „ein so berimbter Meister seiner Kunst er war, ihn aus der Stainhütt’ am Dom nahm“ und wie es geheißen: „… nur nieder und Kopf herab; da half weder Geld noch Kunst, noch Bitte; nichts auf Erden konnt’ und mocht’ helfen!“

Darum war es vielleicht wohlgethan, dem Volke zu Lehr’ und Ehr’ die Erinnerung aufzufrischen an Wolf Roritzer, den Dommeister von Regensburg.




Siegesjubel und Todtenklage.


Noch immer ist in Langensalza, wo sich das Drama des hannover’schen Kriegszuges entwickelte, ein reges Leben. Die Spuren der Schlacht, die dort geschlagen wurde, sind zwar kaum noch sichtbar, obwohl der Schaden, den jener Kriegszug verursacht hat, für die Stadt auf nahe an einunddreißigtausend und für die sonstigen Ortschaften des Kreises auf mehr als zweiundsechszigtausend Thaler geschätzt worden ist. Auch hat man noch jüngst, als die Getreidefelder abgemäht waren, die Kugeln und die Splitter der zersprengten Hohlgeschosse, die wie gesä’t auf den Aeckern lagen, haufenweis gesammelt, so daß ein Klempnermeister in Langensalza auf den Gedanken gekommen ist, diese Kugeln und Splitter zu Aschenbechern, Cigarrenhaltern und Briefbeschwerern zu verarbeiten, die als vielbegehrte Reliquien starken Absatz finden. Ja, vor nicht langer Zeit fand man noch in einem Kleefeld einen todten Hannoveraner, dessen Notizbuch bewies, daß er sich tagelang aus seinem Brodbeutel genährt und fort und fort auf Hülfe gewartet habe. „Nun muß ich verschmachten.“ Dies waren die letzten, mit zitternder Hand gekritzelten Worte. – Was aber die Stadt noch immer belebt, das sind vornehmlich die Reconvalescenten, die sich allgemach zur Heimkehr anschicken, und die sechszehn hannover’schen Aerzte, welche auch jetzt, inmitten des Septembermonates, noch alle Hände voll zu thun haben, nicht blos die Schwerverwundeten vollends zu heilen, sondern auch der Kranken zu warten, die von jener mörderischen Seuche niedergeworfen werden, welche mit ihrem Gifthauch unaufhaltsam vorwärts schreitet.

Es war am 13. September d. J, als ich, wie schon öfter, am Schmerzenslager eines jener Verwundeten saß. Der Todesengel schien zu wiederholten Malen über seinem Bett zu schweben. Wenn er ihn abgerufen hätte, – fürwahr, es wäre ein Verlust für die ganze deutsche Turnerschaft gewesen. Denn es war der Literat Georg Hirth aus Leipzig, der, als gothaisches Landeskind, die Feder mit dem Zündnadelgewehr vertauschen mußte, um mit den coburg-gothaer Truppen die Lorbeeren zu theilen, die ihre Bravour geerntet hat. Jetzt aber glänzten seine Augen wieder und sein alter Humor sprühte von Neuem, wie hart es ihm auch ankam, mondenlang auf dem Rücken zu liegen und das wunde Bein, das eine hannoversche Miniékugel zerschmettert hatte, nicht rühren und regen zu dürfen. „Freilich geht es fortan im Dreiachteltact“ – scherzte er, „– denn das verwundete Bein ist zwei Zoll kürzer geworden, und mit den Lorbeeren will es auch nicht viel sagen, dieweil ich der Erste war, der in diesem unseligen Streite fiel, bevor wir noch eigentlich Pulver gerochen oder einen Feind gesehen. Aber die dreilöthige Kugel, die mir aus dem Schenkel geschnitten, breitgedrückt wie ein Thalerstück, ist sie nicht ein neumodischer Orden, den ich mir in der ersten und hoffentlich letzten Campagne meines Lebens verdient habe?“

Er wollte weiter reden, aber seine Stimme verhallte in dem Jubel, der zu uns herübertönte. „Sie kommen,“ lispelte der Verwundete, „und ich kann sie nicht begrüßen.“ Wir aber begrüßten sie, die thüringischen Ulanen, die sieggekrönt aus Ungarn und

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Wolfgang Roritzer starb 1514. (12. Mai ist ein Datum nach altem Stil.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_606.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)