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Dieser ernste Anruf blieb nicht wirkungslos. Es trat eine kurze Pause ein, der dämonisch auflodernde Zorn entflog mit den Geistern des Weines. Tief beschämt ließ der Jüngling den erhobenen Arm sinken, schleuderte das Pistol weg, umarmte seinen Führer und sagte: „Sie haben Recht, ich war, bei Gott, im Begriff, eine ehrlose That zu verüben!“


Der geräuschvolle nächtliche Vorgang hatte Horcher herbeigelockt, denen der zum Theil in französischer Sprache geführte Streit ein bis dahin streng bewahrtes Incognito enthüllte. Man wußte jetzt in Venedig, daß der junge Mann, welcher schon seit einer Reihe von Wochen in jenem Hotel wohnte und durch die straffe Derbheit seines Auftretens, so wie durch sein ungezähmt dem berauschenden Athem des südlichen Lebens sich hingebendes Jugendfeuer vielfach die öffentliche Aufmerksamkeit erregt hatte, der Sohn eines berühmten regierenden Fürstenhauses sei. Was hier in der Fremde an ihm auffiel, jene frühreife Sicherheit, das bereits scharf hervortretende Gepräge, das borstige, allen Regeln der damaligen französischen Politur spottende Ungestüm seines Wesens und Benehmens, war durch eine seltsame, an die Zeiten des ungebundensten Ritterthums erinnernde Erziehung in ihm gepflegt und entwickelt worden. Wie ein wildes Steppenroß ohne Zaum und Zügel war er in den dunklen Eichenwäldern, den stillen lichtgrünen Auen seines abgelegenen norddeutschen Heimathländchens aufgewachsen. So hatte es sein Vater, Johann Georg II. von Anhalt, der bekannte Kriegsheld und Feldmarschall des großen Kurfürsten, ausdrücklich gewollt; dem ihm spät geborenen einzigen Sohn und Thronerben sollte jeder Zwang und jede Dressur fern gehalten, seinen Wünschen und Neigungen ein Widerspruch. niemals entgegengesetzt werden. Es war daher kein Wunder, daß der kräftig und kerngesund heranblühende Knabe, der ungestraft jeder Wallung folgen durfte, schon frühe in den Räumen des alten Fürstenschlosses zu Dessau die Rolle eines trotzigen, seine Umgebungen beherrschenden Gebieters spielen lernte und selbst den Bemühungen der gebildeten Mutter, seine Wildheit durch wissenschaftlichen Unterricht zu zähmen, einen so hartnäckigen Widerstand leistete, daß es nicht möglich war, ihm neben der französischen Sprache, die er spielend erlernte, mehr als die allernothdürftigsten Schulkenntnisse beizubringen.

Hatte er aber zum Lernen keine Geduld und Neigung gezeigt, so war dagegen der im Familienblute steckende Sinn für alles Kriegerische und Militärische, für Alles, was auf körperliche Gewandtheit und Abhärtung sich bezog, um so früher in der rauhen Seele des zuchtlosen Kindes hervorgetreten. Den Uebungen der Soldaten beizuwohnen, oder selbst die Waffen zu führen und an der Spitze ausgelassener Knabenschaaren in tollen Wagnissen durch Wald und Feld zu streifen, oder zu Hause in einem heimlichen Winkel bei den alten Schloßsoldaten zu sitzen und sich von ihnen schauerliche Kriegsabenteuer erzählen zu lassen, waren die einzigen Belustigungen, denen er mit Lust und unermüdlicher Ausdauer sich hingab. Auch an den Jagden des Hofes hatte er schon vom neunten Jahre an Theil genommen und seitdem manchen Tag und manche rauhe Winternacht mit den Jägern unter freiem Himmel gelegen. Und wenn er sich gar an der Seite des Vaters in Berlin befand, wurde sein ausschließlich kriegerischer Hang in den militärischen Umgebungen am Hofe des prachtliebenden Friedrich des Ersten so heftig aufgereizt, daß er der Aufmerksamkeit nicht entging und sogar Kaiser Leopold in Wien den erst elfjährigen Knaben zum Obersten und Inhaber eines Regiments ernannte.

So war er auf den Exercirplätzen und Fechtböden, in den Forsten und auf den Reitbahnen, die Waffen in der Hand und in stetem Umgange mit Soldaten, Jagdleuten und Pferden siebenzehn Jahre alt geworden, als plötzlich sein Vater starb. Es ist nichts über die Art aufgezeichnet, wie dieser schnelle Verlust eines so liebevollen Vaters, dessen Glück und Stolz er gewesen, das Gemüth des jungen Sohnes berührt hat, aber man weiß, daß er glücklich war, die Regierung, seiner Minderjährigkeit wegen, noch einstweilen in den guten Händen der Mutter zu sehen, um ungehindert nur seiner Leidenschaft für Jagd und Kriegswesen folgen zu können. Wenn er in jener Zeit auf dem wildesten Renner, über Hecken und Zäune setzend, mit der Hetzpeitsche knallend oder mit der Büchse die Vögel von den Dächern schießend, durch die Straßen Dessau’s jagte, krochen die Bürger scheu und ängstlich in ihre Häuser zurück, um hier von einem sicheren Verstecke aus voll bangen und doch wiederum stolzen Grauens die unheimlich fremdartige Jünglingserscheinung mit dem fliegenden schwarzen Haar und dem gebräunten Antlitz zu betrachten, aus dem zwei schon ernst und streng blickende Augen mit der Gluth ungeduldiger Rastlosigkeit hervorblitzten.

Um so größer war das Erstaunen, als kurz nach dem Tode des alten Fürsten die Klatschbasen der Stadt sich einander zuflüsterten, daß der furchterregende Nimrod, den man so ganz außerhalb der Kreise gewöhnlicher Menschengefühle sich bewegen sah, von einer zarteren Empfindung, einer jugendlichen Neigung zu einem menschlichen Wesen, ergriffen sei. Das sechzehnjährige Apothekertöchterchen, dem seine Huldigungen galten, wurde fortan ein Gegenstand scheuer Beobachtung und Aufmerksamkeit. Wer jemals das jugendliche Portrait dieses Mädchens gesehen, wird sich freilich nicht wundern, daß selbst das Herz des tollsten Wildfangs von einem solchen Zauber bezwungen werden konnte. Nur selten wohl hat ein heller Verstand, ein mildes und reines Engelsgemüth einen so strahlenden Ausdruck gefunden, als in dieser edeln Gestalt, in diesen seelenvollen blauen Augen, in den schwungvollen Linien und Zügen dieses kindlich blühenden, von einer üppigen Fülle goldigen Lockenhaars umwallten Gesichts. Schon vom zartesten Alter an hatte das Bürgermädchen zu den Gespielen des Fürstensohnes gehört, man war es gewöhnt, die Kinder bei einander und Leopold oft in dem Hause des Apothekers zu sehen, ja man wußte, daß die Fürstin sogar diesen Umgang begünstige, da sie in der stillen und sanften Anna Louise Föhse das einzige Wesen fand, das auf den starren Eigensinn, den trotzigen Jähzorn des wilden Prinzen einen sänftigenden Einfluß zu üben vermochte. Daß jedoch mit den zunehmenden Jahren aus dieser kindlichen Gemeinschaft eine leidenschaftliche Liebe sich entzündet hatte, merkten die scharfen Augen der Residenzbewohner früher, als es der Arglosigkeit der fürstlichen Mutter möglich war. Leopold war nicht der Mann, der seine Empfindungen verbergen konnte.

Je rosiger seine jungfräuliche Freundin emporblühte, um so offenkundiger wurde der leidenschaftliche Eifer seiner stürmischen Bewerbungen. Man wunderte sich, wie gesagt, ihn auf Liebeswegen zu sehen, aber man fand nichts Arges darin. Denn das so hart orthodoxe, in Bezug auf seine Standesgenossen bis zur äußersten Engherzigkeit sittenstrenge Pfahlbürgerthum jener Tage wurde erstaunlich naiv und duldsam, sobald es sich um die Frivolitäten und sogenannten kleinen Vergnügungen jener Erdengötter handelte, die für ihre Person das ausschließliche Privilegium besaßen, über die unzweideutigsten Vorschriften der Religion und Sittlichkeit öffentlich sich hinwegsetzen zu dürfen. Fürstlichen Freundinnen gegenüber steckten selbst der geistliche Zelotismus und die scharfkantigste und zungenfertigste Moralität ihre Maßstäbe ehrfurchtsvoll in die Tasche, und nicht gerade häufig waren die Fälle, wo eine unbeugsame Ehrenfestigkeit adeliger oder bürgerlicher Familien den anlockenden Vortheilen widerstand, welche sich für ihre Verhältnisse und ihre Stellung aus einer allerunterthänigst gehorsamsten Willfährigkeit gegen allergnädigste Herzenswünsche eines gebietenden Herrn ergeben mußten.

Nur ein derartiges Verhältniß konnten denn wohl auch die ehrsamen Dessauer im Auge haben, als sie die Gunst ihres zukünftigen Gebieters so unverhohlen über dem Hause ihres wohlhabenden Mitbürgers leuchten sahen. Wie groß war daher das Erstaunen, als sich plötzlich eines Morgens eine unerhörte, eine unglaubliche Kunde in der Stadt verbreitete. Laut wagte man damals über Verhältnisse des Hofes nicht zu sprechen, aber auf den Bierbänken und in den Winkeln der Häuser zischelten sich die Leute mit erhitzten Gesichtern und Gebehrden der Ueberraschung heimlich in die Ohren, daß Fürst Leopold mit ansehnlichem Gefolge die Residenz verlassen habe.

Seiner schleunigen Abreise war ein heftiger Auftritt mit der Mutter vorhergegangen. Diese war eine sittenstrenge Dame und hatte es endlich gemißbilligt, daß der Sohn schon in so jungen Jahren ein unbeflecktes Bürgerhaus in den Verdacht eines leichtfertigen Verkehrs bringe. Leopold aber erwiderte, daß seinen Besuchen in der Apotheke die ehrlichsten Absichten zu Grunde lägen. Ehrliche Absichten? Und welche könnten das sein? So fragte halb spöttisch die Fürstin, so flüsterte es von den ersten Hofschranzen bis zur letzten Küchenmagd herab durch die Räume des stolzen Askanierhauses. Und selbst die geharnischten Ahnenbilder und die ernstblickenden Frauen an den Wänden schienen die Köpfe zu schütteln und in unhörbarem Geflüster die seltsame Frage zu wiederholen. Ehrliche Absichten!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_623.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)