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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

man vielleicht erst entdecken werde, wenn es zu spät sei – diese und manche andere Bedenken wurden geltend gemacht und fanden bis zuletzt bei nüchternen und ungläubigen Leuten Eingang. Doch auf der andern Seite war der Muth und das Vertrauen der Compagnie unerschütterlich.

Die nöthigen Vorkehrungen wurden mit dem größten Eifer, der größten Umsicht getroffen; die englisch-amerikanischen Regierungen versprachen zwei Kriegsschiffe zum Transport des Taues, und am 7. August 1857 traten jene Schiffe, der „Niagara“ und der „Agamemnon“, mit dritthalbtausend Meilen Telegraphentau an Bord, unter den Glückwünschen des englischen Volkes ihre Fahrt von Valentia nach Neufundland an. Die Expedition mißglückte. Schon wenige Meilen vom Lande zerriß das Tau, indem es in die zum Auswinden bestimmte Maschinerie verwickelt wurde. Das Geschwader, hierdurch nicht entmuthigt, kehrte um, hob das abgerissene Ende und ging nochmal auf die Fahrt. Allein noch einmal, und diesmal in verhängnißvoller Weise, trat der Mangel an Erfahrung dem Gelingen entgegen. Mehrere hundert Meilen westlich von Valentia kam man an eine Stelle, wo ein mächtiger, klippenartiger Abgrund das Bett des atlantischen Oceans plötzlich von 2400 zu 10,000 Fuß vertieft. Man hatte dem Einfluß der durch einen so gewaltigen Sturz auf die Auswindemaschinerie geübten Spannung keine genügende Rechnung getragen und mit unwiderstehlicher Gewalt riß noch einmal das Tau auseinander. Unter diesen vorbereitenden Versuchen war die günstigste Jahreszeit vorübergegangen. Die Aequinoctialstürme standen bevor und durch das Erlebte, wenn nicht entmuthigt, so doch belehrt, entschloß man sich, obgleich die noch vorhandene Taulänge im Nothfall zur Vollendung der Linie ausgereicht haben würde, zur Umkehr.

So endete die erste atlantische Telegraphenexpedition. Die ungläubigen Leute triumphirten, die Actien der Compagnie fielen. Daß aber nach einem solchen Ausgang im folgenden Jahre eine neue Expedition versucht werden müsse war keinen Augenblick

Das atlantische Telegraphenkabel vom Jahre 1865.
In natürlicher Größe.

zweifelhaft. Die Zwischenzeit wurde benutzt, das verlorene Tauende zu ersetzen und, was noch wichtiger, der Auswindemaschinerie die möglichste Vollkommenheit zu geben. Auch in der zur Expedition bestimmten Jahreszeit machte man eine durch die Erfahrungen des vorigen Jahres gebotene Aenderung. Statt im August sollten die Schiffe schon zu Anfang Juni ihre Fahrt beginnen. So durfte man für den Fall theilweisen Mißlingens auf die Chance einer Reihe neuer Versuche rechnen, und um kein Mittel des Erfolges zu vernachlässigen, berücksichtigte man in ebenso liberaler Weise neben dem Maße der Zeit das des Raumes, indem mehrere hundert Meilen Extra-Taulänge über die volle Meilenzahl von zweitausend in Reserve gehalten wurden. Voller Hoffnung ging nach diesen Anstalten die alte Telegraphenflotte am 10. Juni 1858 von Neuem unter Segel. Man verlor den Muth nicht, als nach einigen Tagen das Reißen des Taues am Bord des „Niagara“ die Rückkehr nach Irland nothwendig machte; man kehrte voller Zuversicht noch einmal nach Irland zurück, nachdem bei der zweiten Fahrt zweihundertneunzig Meilen Taulänge verloren worden. Schon am 17. Juli war Alles wieder zum Aufbruch fertig. Der Plan war nun dahin geändert, daß die Flotte, statt die Versenkung des Taues an der irischen Küste zu beginnen, in der Mitte des Weges über den Ocean Posto fassen, dort die Verbindung zwischen den beiden Tauenden am Bord des „Niagara“ und des „Agamemnon“ herstellen und sodann, zu gleichen Theilen, zur Versenkung des Taues nach Irland und Amerika aufbrechen sollte. Auf dem Wege nach diesem Rendezvous wurden die Schiffe durch einen schrecklichen Sturm getrennt, der ihre Ankunft mehrere Tage verzögerte und den hochbeladenen „Agamemnon“ dem Untergang nahe brachte. Indeß auch diese Gefahr ging vorüber. Die Schiffe trafen an dem verabredeten Punkte zusammen, die Vereinigung der Tauenden gelang und ohne weiteren Unfall landete am 4. August der „Agamemnon“ in Valentia, der „Niagara“ in Trinity Bay. So schien denn, allen mißtönigen Prophezeiungen zum Trotz, das große Werk zu Ende geführt. An jenem selben 5. August liefen die ersten telegraphischen Botschaften aus Neufundland in England ein. Tags darauf schickte Königin Victoria eine glückwünschende Depesche an den Präsidenten der Vereinigten Staaten und der Präsident erwiderte durch eine glückwünschende Antwort. Der Jubel war groß. Mit einem gewaltigen Schwunge stiegen die Actien der atlantischen Compagnie in wenigen Tagen mehrere hundert Procent über Pari – die Bureaus in Valentia und Trinity Bay wurden mit Aufträgen von beiden Seiten des Oceans überschwemmt, der glänzendste pecuniäre Erfolg schien dem Unternehmen gesichert. Aber noch mitten in dieser Siegesfreude verbreiteten sich ominöse Gerüchte über eine zunehmende Undeutlichkeit in den Signalen des atlantischen Telegraphen und die Gerüchte waren leider nur zu wohl begründet. Die Undeutlichkeit der Signale wuchs von Tage zu Tage, zu Anfang September hörten sie völlig auf. Vergebens machte man sich noch eine Weile mit verzweifelten Hypothesen Hoffnung. Der versiechte elektrische Strom erneuerte seine Wellen nicht wieder und das Ende war die traurige Gewißheit, daß auch diese Expedition fehlgeschlagen, daß der atlantische Telegraph von 1858, so unzweifelhaft sicher er auf dem Boden des Oceans ruhen und so eifrig man an seinen europäischen und amerikanischen Tauenden operiren mochte, für alle praktischen Zwecke verloren sei.

Eine harte Enttäuschung! Und zu verwundern war es nicht, wenn damit den Plänen der Atlantic Telegraph Company ein Stoß versetzt war, von dem sie sich nur langsam erholte. Die Distanz zwischen Irland und Neufundland, so erklärte man nun, sei zu groß, die Gefahren eines so langen unterseeischen Weges zu unberechenbar. Da jedoch die telegraphische Verbindung beider

Das atlantische Telegraphenkabel vom Jahre 1866.
In natürlicher Größe.

Continente einmal unabweisbares Bedürfniß sei, solle man lieber ohne Zeitverlust nach einem kürzeren Wege suchen. Man warf den Blick über die Wasser- und Ländermassen der atlantischen Küsten und schmeichelte sich mit der Hoffnung, mehr als eine solche „kürzere Route“ abstecken zu können. Einer Ansicht nach glich nichts den Vortheilen einer Linie zwischen Schottland, Island, Grönland und Labrador; von andrer Seite wurden Brest, Cap Finisterre, die Azorischen Inseln und Neufundland als die bequemsten Stationen gepriesen; ein dritter Plan endlich gab dem Wege über Lissabon und die Canarischen und Cap-Verd-Inseln nach Cap St. Roque in Brasilien den Vorzug. Aber keine dieser Routen fand denselben Beifall wie der alte Weg zwischen Irland und Neufundland, und eine zur Führung der Linie von Brest gebildete Ocean Telegraph Company ging nach einer kurzlebigen Existenz zu Grunde.

Inzwischen hatte die Atlantic Telegraph Company, unterstützt durch ein Comité des englischen Handelsministeriums, die Ursachen ihres Mißlingens erforschen lassen und war zu dem Resultate gelangt, daß es Ursachen seien, „die man durch Geschick und Vorsicht beseitigen könne.“ So groß ihre Verluste gewesen waren und ein so tiefgewurzeltes Mißtrauen ihnen im Wege stand, so unverändert blieb daher nichtsdestoweniger der Glaube der leitenden Persönlichkeiten an den endlichen Erfolg des Unternehmens, und zu Anfang des Jahres 1864 kündigte ein neuer Prospectus der alten Compagnie eine neue atlantische Telegraphenexpedition an. Zuerst verkauften die Actien sich langsam, doch im Mai des Jahres gab der Unternehmungsgeist zweier großer Firmen den entscheidenden Ausschlag. Sie zeichneten den ganzen noch fehlenden Actienbetrag von 320,000 Pfund Sterling und schlossen mit der Atlantic

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_625.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)