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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

eines solchen Bildes dem freundlichen Eindrucke sich oft genug nicht zu entziehen vermocht, den das in einer stillen Waldgegend sich erhebende, von einem hohen Felsen in das Land hineinschauende oder in dunklem Thale von üppigem Grün umwucherte Bildstöckchen auf den Wanderer hervorbringt. Freilich arten die Darstellungen zuweilen aus und Marterbilder gehören nicht unter die poetischen Dinge, allein die einfache Gestalt eines segnenden Heiligen oder ein Marienbild verleihen der Gegend fast immer den Reiz des Malerischen, da sie gewöhnlich mit richtiger Empfindung an solchen Orten aufgestellt werden, die durch ihre Naturschönheit auf das Gemüth des Beschauers wirken.

So harmlos und friedlich nun aber diese Bilder in ruhigen Zeiten sich aus dem schwellenden Kornfelde oder am waldigen Kreuzwege erheben: wenn um und neben ihnen der Lärmen und Donner einer Schlacht braust, dann verändert sich mit Einem Schlage die Scene. Die Zeichen eines religiösen und Frieden verheißenden Begriffes respectirt der Krieg nicht weiter, und was sonst nur dem stillen Beter wichtig war, das wird jetzt mit in die Kampflinie gezogen und dient dem Interesse von Freund und Feind. Hierher gehört vor allen Dingen das so wichtige Abschätzen einer Distanz für das Feuer der Artillerie. Aus der Ebene, die kein Hügel, keine Erhebung des Bodens unterbricht, steigt das auf hoher Säule prangende Bild eines heiligen Nepomuk oder Sebastian empor. Keine bessere Schätzung für die Richtung, welche die mörderische Kugel zu nehmen hat. Von der todspeienden Batterie, deren Rohre sich dort hinten auf dem Hügelkamme befinden, bis zu dem Bildstocke sind so und so viele Fuß oder Schritt. Das weiß der Feind genau; nun schreiten die Angriffscolonnen vor, kaum sind sie in den Umkreis des Bildes gelangt, da schmettert das verheerende Eisen in ihre Glieder. Der Feind hat genau und scharf gezielt, er wußte die Entfernung, er kannte die Länge der Bahn, welche sein Geschoß durchfliegen muß, das Heiligenbild hat das Ziel bezeichnet, richtig ist die Distanz abgeschätzt und neben dem Friedenszeichen liegen die Angreifer blutend in den Sand gestreckt, der harmlose Heilige schaut herab auf das Elend, welches einige Hände voll schwerer Granatsplitter zu seinen Füßen ausgestreut haben, wie er ehedem auf die Beter oder die lachenden Felder herniedergeblickt hat. Die zerstörenden Geschosse verschonen die Statue eben so wenig wie die Lebenden. Kugelspuren am Postamente, abgerissene Stücke weit in das Feld hineingeschleudert, häufig die ganze Figur zertrümmert – so findet man unter den Leichen und Verwundeten die Trümmer des Heiligenbildes auf dem Schlachtfelde.

Es war auf dem Wege nach Königgrätz. Hin und her wogen die Reihen im Feuer des Gefechtes. Eine lange Colonne rasselt herbei. Das Feld ist ringsum frei geworden, nur stumme Gesellen, dem ewigen Schlafe verfallen, liegen verstreut auf dem blutgetränkten Boden. Zwischen ihnen erheben sich, matt nach Hülfe stöhnend, hier und dort die Verwundeten, sie recken ihre Hände zu dem Bilde des Heiligen empor, dessen Säule aus dem grausigen Gewirre emporsteigt. Die Colonne hält bei der Statue, sie kann hier ihre Stellung nehmen, denn schon ist jene todbringende Batterie drüben auf den Hügeln stumm geworden; genommen ist sie von den siegend vordringenden Schaaren, es schweigt das Feuer. Welche Bewegung in der Colonne? Mit Blitzeseile werden die Decken der Wagen zurückgeschlagen, seltsame Geräthschaften breitet man aus, Fuhrwerke mit rothem Kreuze im weißen Feld stellen sich rings um den Heiligen auf, rüstige Männer, in dunkler, einfacher Uniform, tragen die Zerschmetterten und Wimmernden herbei. Es ist eine Ambulance, ein Verbandplatz, der sich vor dem Bildstocke etablirt, und auf den Stufen, an den Zierrathen der Säule liegen Instrumente, Bandagen, hängen blutgetränkte Lappen und Tücher. So mancher der Herbeigetragenen sieht die Sonne des Tages zum letzten Male sinken, mit ihr scheidet er für immer aus diesem Leben. Er hat von Jugend auf im kindlichen Glauben an die Macht der Heiligen gelebt, für ihn ist es eine Erquickung, in der letzten Stunde noch das lächelnde Antlitz dort oben auf der Säule betrachten zu können. Er betet zu dem Steinbilde, er meint, die segnende Hand des Trösters dehne sich weit aus und senke sich auf seine brennende Todeswunde. „Hebt mir den Kopf noch einmal empor. Ich will ihn sehen,“ ruft ein armer Bursche aus dem schönen Steiermark, der auf den Tod getroffen vor dem Heiligenbilde liegt. Die preußischen Männer erweisen ihm diesen Liebesdienst und ein mattes Lächeln umspielt die Lippen des Sterbenden; leise murmelt er Etwas, dann senkt er sein Haupt zurück, streckt die kraftvollen Glieder und hat verendet.[1]

Eine Stunde später. Die Wagen sind nicht mehr zu erblicken, die Verwundeten sind in Sicherheit; man hat sie in das sogenannte Depôt gebracht, für ihre Wunden ist die sorgende Hand des Arztes da. Nur die Todten umgeben den Heiligen; in geringer Entfernung ziehen die Schaaren an ihm vorüber, die auf’s Neue in den immer wilder tobenden Kampf stürzen. Da galoppirt eine Reiterschaar herbei, sie hält um den Fuß des Bildstockes. Es sind hohe, kräftige Gestalten, trotz der einfachen Uniform lassen sich die preußischen Generäle und Officiere des Stabes leicht erkennen. Nun sitzen Einige ab von den dampfenden Rossen, Zügel und Riemen schlingen sich um die Säule des Heiligen. Die Schlacht hat eine ganz neue Physiognomie angenommen und gerade von dem Bildstocke aus läßt sie sich trefflich beobachten. Jetzt klettert einer der Männer auf die Stufen. Er lehnt sich mit dem Rücken gegen die Inschrift, welche die Säule ziert und ihre Stiftung bekundet, sieht unter dem Heiligenbilde ein Betpult, dann bedeckt dasselbe plötzlich eine Situationskarte, die Finger der Beobachtenden fahren über die Linien des Blattes und dann nehmen die Männer wieder die Fernröhre vor das Auge und starren ruhig in den furchtbaren Knäuel von Menschen, Pferden, Waffen, Geschützen und Rauch, der gegenüber der Statue vor den Blicken der Befehlshaber auf- und niederzuckend sich zusammenballt. Nur kurze Zeit halten die Reiter noch bei dem Bildstocke, die Wellen des Gefechtes rollen nach einer andern Gegend des Schlachtfeldes, ungeduldig scharren die Rosse schon den Boden, den in Zeiten des Friedens nur die Kniee der Andächtigen drücken.

„Auf, vorwärts!“ tönt es. Die Abgestiegenen schwingen sich in die Sättel, die Stufen des Heiligenbildes dienen ihnen als Tritt, noch einen Moment blickt Alles in die Ferne, um den Ort zu suchen, der ihnen für die nächste Beobachtung der beste scheint; da horch, ein pfeifender Ton hoch oben in der Luft, ein Knattern und Prasseln, lange weiße Fäden schweben nieder und an ihnen läßt sich sausend die Granate hinab, mit gewaltiger Kraft in den Erdboden schlagend. An den Reitern und an dem Heiligen empor spritzen Schlamm und Staub, mit zwei Sätzen stiebt die Schaar der Officiere auseinander, dem sichern Tode zu entgehen, aber schon berstet mit Krachen das verderbliche Geschoß, einige Splitter reißen Stücke aus dem Gesimse des Postamentes, einige andere fahren unter die Menschen. Blutend sinkt einer aus dem Sattel, es ist ein kräftiger Ulan, ein guter Bursch, der Ordonnanzdienste bei dem Stabe thut; ihn hat der mordende Splitter niedergerissen, zwei Cameraden helfen ihm aus dem Sattel und lassen ihn zur Erde gleiten, wo er blutend auf den Stufen des Heiligenbildes liegt. Die Helfer können nicht lange bei ihm verweilen, sie nehmen Abschied von dem Ohnmächtigen, der eine führt das ledige Pferd am Zügel mit, schon fällt die zweite – die dritte Granate dicht neben dem Bilde nieder, glücklicherweise platzen sie nicht; die Officiere reiten schon feldein, die Ordonnanzen müssen folgen. Der Gefallene wird hoffentlich aufgehoben werden durch die Lazarethcolonne; einstweilen röthet sein Blut die Steine des Sockels.

„Armer Junge!“ ruft wehmüthig einer der in’s Gefecht sprengenden Officiere. „Es war ein guter Kerl.“

„Ja, ja,“ erinnert der andere, „das Heiligenbild ist eine schlimme Stelle. Man sollte sehr vorsichtig dabei sein, es dient als Zielpunkt, schon liegen genug Leute von den Unsern da herum. Woher zum Teufel sind die Schüsse gekommen?“

„Nur einige Minuten lang hat da oben eine Batterie Posten gefaßt,“ antwortet ein älterer Officier, „und gleich wußten sie

  1. Es sind die einzelne Reminiscenzen aus dem letzten Kriege, wie sie in der allgemeinen geschichtlichen Darstellung der denkwürdigen Epoche nicht Raum fanden, wohl auch erst nachträglich bekannt geworden sind. Dergleichen „Erinnerungen aus dem deutschen Kriege des Jahres 1866“, und zwar aus allen Heereslagern der kämpfenden Armeen, werden wir nach und nach noch weitere veröffentlichen, nicht Schilderungen von Schlachten und Gefechtsscenen – davon hat nachgerade das Publicum wohl genug zu lesen bekommen – sondern Mittheilungen von einzelnen interessanten, ergreifenden oder auch erheiternden Zügen und Episoden; den Beobachtungen von Augenzeugen und authentischen Quellen entnommene militärische Genrebilder und persönliche Kleinmalereien, die zwar vor den großen Ereignissen des Krieges zurücktreten, nichtsdestoweniger aber zur Charakteristik des Ganzen erläuternd und vervollständigend beitragen.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_627.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)