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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Nikolaus von Dreysse.
Nach einer Originalphotographie vom Hofphotographen Frisch.

der Straße zugewandtem Giebel die schöne, charakteristische Inschrift: „Bete und arbeite!“ prangte. Dem Wohnhaus sah man in der That an, daß das Gebet darin walten müsse; die Arbeit wurde ich in den zahlreichen zur rechten Seite des Gebäudes sich hinziehenden hohen Werkstätten, denen mächtige Dampfwolken entstiegen, gewahr. Ich trat in dies eine Sackgasse (Pfarrbeutel genannt, wie ich später erfuhr) bildende Gewirr von Fabrikgebäuden ein; ein Thorweg zu meiner Linken reizte meine Neugier, weil derselbe zu dem Hofe jenes Hauses des Gebets und der Arbeit führte. An den überaus sauberen Hof, der zu seiner Rechten von einer anscheinend unbedeutenden Werkstätte begrenzt wurde, schloß sich ein sorgfältig gepflegter Garten mit zierlichen Blumenbeeten, duftenden Rosen und dunkelrothen Nelken. Vor der Thür eines Gartenhauses stand ein alter Herr im schlichten, dunklen Hausrock, der mit sinnenden Blicken auf den Blumenflor schaute, beleuchtet von den goldenen Strahlen der untergehenden Sonne. Seine ganze Erscheinung trug den Stempel bürgerlicher Tüchtigkeit und Gediegenheit; graues Haar bedeckte die trotz seines hohen Alters noch immer klare Stirn, unter welcher die hellen Augen mit jugendlicher Munterkeit leuchteten, während den milden Mund ein freundliches Lächeln zu umschweben schien. Es war ein gemüthliches Stillleben, das sich hier meinen Blicken darbot, der ehrwürdige Greis unter seinen Blumen verkörperte mir das Bild eines glücklichen Alters und ungetrübten Friedens. Man konnte ihn für einen wohlhabenden Bürger halten, der in beneidenswerther Ruhe ein gemüthliches, wenn auch beschränktes Dasein genießt, fern von dem Geräusch der großen Welt und unberührt von den blutigen Ereignissen und Kämpfen der kriegerischen Gegenwart.

Während ich in meiner Phantasie das Bild ausmalte, trat ein kräftiger Arbeiter mit rußigem Schurzfell aus der zur Seite des Hofes befindlichen unansehnlichen Werkstatt an den alten Herrn heran und reichte ihm einen in der Sonne blitzenden Gegenstand. Meine Neugierde war erregt, als ich ein Gewehr zu erkennen glaubte, und zwar eine jener furchtbaren Waffen, welche in der jüngsten Zeit durch ihre vernichtende Wirkung dem Krieg eine ganz veränderte Gestalt verliehen und das Gleichgewicht Europas in seinem Grunde erschüttert haben. Beim Anblick dieser Waffe zeigte das Gesicht des gemüthlichen Alten eine wunderbare Veränderung, seine Züge belebten sich, seine Stirn furchte sich nachdenklich, und prüfend richtete er seine Augen auf den künstlichen Mechanismus. Bald

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_629.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)