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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Preußens militärischer Luther.
(Schluß.)


„Um den Verlauf der Dreysse’schen Gewehrversuche im Zusammenhange zu erzählen, soweit ich wenigstens damit bekannt bin, muß ich nochmals zum Jahre 1815 zurückkehren. Die preußische Regierung, die sich trotz des Friedensschlusses noch nicht am Ende der Kämpfe wähnte – hatte ja doch, wie weltbekannt, Oesterreich schon im Januar desselben Jahres, also noch vor Eröffnung des Wiener Congresses, einen Allianzvertrag mit England und dem Erbfeind Frankreich (!) gegen Preußen und Rußland zu Stande gebracht, um Preußen an der Geltendmachung seiner Ansprüche auf das ihm vor dem Kriege zugesagte Sachsen zu verhindern – und sich damals schon für den Krieg rüsten zu müssen glaubte, der über ein halbes Jahrhundert später im Jahre 1866 zum Ausbruch gelangte, requirirte von allen Seiten her Arbeiter, namentlich tüchtige Schlosser, zu schneller Wiederherstellung der in den beendigten Kämpfen unbrauchbar gewordenen Gewehre, später zur Umänderung derselben in Percussionswaffen. Auch an Dreysse erging eine Aufforderung, zu diesem Zwecke nach Erfurt zu kommen; er lehnte indeß zu Gunsten seines Bruders Rudolph ab, der auf diese Weise sich mit der Gewehrfabrikation näher bekannt machte und ihm später hierin sehr nützlich werden sollte. Er selbst beschäftigte sich inzwischen mit Herstellung eines Pauly’schen Hinterladungsgewehres, mußte es jedoch nach reiflicher Prüfung für Militärzwecke so völlig unbrauchbar finden, daß er von nun an alle weiteren Versuche in dieser Richtung einstellte. Von den hierauf folgenden neuen Experimenten, um zu dem Ziele zu gelangen, das er sich gesteckt, ist weniger bekannt geworden; nur soviel steht fest, daß, wie viele er auch vergeblich machte, er sich dadurch auch nicht einen Augenblick entmuthigen ließ.

Da mußte ein Zufall weniger seltsam, als derjenige, welcher Berthold Schwarz zur Erfindung des Pulvers führte, aber immerhin als ein Fingerzeig zu betrachten, mit welchem die Vorsehung unserm Dreysse zu Hülfe kam, diesen auf einem ganz anderen und, wie wir jetzt behaupten können, richtigen Weg leiten. Hier und da waren Sendungen von Zündhütchen, die durch Feuchtigkeit gelitten und unbrauchbar geworden, der Firma Dreysse und Collenbusch zurückgeschickt worden. Diesen Uebelstand zu vermeiden, kam Dreysse auf den Einfall, die Einwirkung von Feuchtigkeit auf die in den Hütchen befindliche Zündmasse dadurch zu verhüten, daß er diese letzten noch mit einem Blättchen Papier bedeckte. Dreysse erreichte dadurch gerade das Gegentheil, das Papier zog erst recht Feuchtigkeit an und verdarb die Zündmasse, und eine sehr bedeutende, auf diese Weise hergestellte Lieferung wurde als unbrauchbar der Fabrik wieder zur Verfügung gestellt. Das Kupfer war damals sehr theuer, der Rückgang dieser Lieferung für die Fabrik mithin sehr empfindlich; um das Kupfer schnellstens wieder zur Verwendung zu erhalten, nahm sich Dreysse, der durch seine falsche Speculation das Mißglücken der ganzen Lieferung verschuldet hatte, daher vor, die Hütchen von der verdorbenen Zündmasse zu befreien. Die Herausnahme der Zündpillen aus jedem Hütchen war aber sehr umständlich und zeitraubend. Dreysse beschloß nach kurzem Ueberlegen, die Zündmasse aus den Hütchen durch Explosion zu entfernen; nach mehreren ihn nicht zufriedenstellenden Versuchen kam er auf den Gedanken, mit einer Nadel die Hütchen durchstechen zu lassen, um dadurch die Explosion zu bewirken. Das Experiment gelang vollkommen. Fast blitzartig erfaßte nun Dreysse die Idee, die Nadel überhaupt zur Zündung der Patronen zu verwenden; nicht minder rasch folgte der zweite Gedanke, der unsern Dreysse schon lange Jahre verfolgt hatte, den Zündungsproceß von außen nach innen zu verlegen, das Kupfer des Hütchens, das an und für sich theure Herstellungsmaterial, gänzlich wegfallen zu lassen und die Zündpille einfach der Patrone einzuverleiben. Das war der erste große Schritt, welcher zu unserm heutigen Zündnadelgewehr geführt hat. Rasch machte sich Dreysse jetzt an die Arbeit und mit Beginn des Jahres 1829 wurde das erste Zündnadelgewehr fertig.

Von der Wichtigkeit seiner Erfindung überzeugt, beeilte sich Dreysse, dem Kriegsministerium in Berlin sein neues Zündnadelgewehr einzureichen, das freilich, wie nicht unerwähnt bleiben darf, noch von vorn geladen werden mußte. Man prüfte in Berlin die Waffe, ließ derselben auch alle Anerkennung widerfahren, gab aber Dreysse nach Verlauf von etwa zwei Monaten den Bescheid, daß man das Gewehr für Militärzwecke nicht anwendbar gefunden habe, weshalb es ihm freistehe, nach Belieben darüber zu verfügen. Gleichzeitig wurde unserm Dreysse als Trost für diese Ablehnung auf die Dauer von zehn Jahren die eigenthümliche Construction der Waffe für den Bereich des preußischen Staates patentirt. Hiernach blieb ihm nichts weiter übrig, als sich mit seiner Erfindung an das Ausland zu wenden. Er frug bei Oesterreich an, aber noch schlimmer, als in Berlin, erging es ihm in Wien; der österreichische Gesandte in Berlin schickte ihm sein Modell mit dem Bemerken zurück, daß man keinen Gebrauch davon machen könne, – ‚in Wien gäbe es auch gescheidte Leute‘. Nun, die Oesterreicher,“ fügte mein freundlicher Erzähler hinzu, „sind hart genug für ihren Hochmuth bestraft worden und haben die praktischen Erfolge des Zündnadelgewehrs zu ihrem Schaden in diesem Jahre an sich selbst kennen lernen und erfahren müssen.

Fast wäre es übrigens den Preußen nicht anders ergangen, die Sache hing, wie man zu sagen pflegt, an einem Haare; schon stand Dreysse mit der dänischen Regierung wegen seiner Erfindung in Unterhandlung, als plötzlich und unerwartet von Berlin die Aufforderung an ihn erging, sein Gewehr nochmals einzureichen. Ein merkwürdiger Zufall hatte dazu Veranlassung gegeben. Der Großherzog von Weimar hatte bei Gelegenheit von der Dreysse’schen Zündnadelwaffe Kenntniß erhalten und sich in Sömmerda ein Jagdgewehr mit der neuen Construction anfertigen lassen. Der damalige Prinz Wilhelm von Preußen, unser jetziger König, hörte bei einem Besuche in Weimar (es war noch in demselben Jahre 1829) von dem Gewehre sprechen und der Großherzog beeilte sich, unter Herbeischaffung des in seinem Besitz befindlichen Gewehrs, dem Prinzen die Beachtung dieser Erfindung angelegentlichst zu empfehlen. Fast zu derselben Zeit fand Dreysse einen warmen Fürsprecher in dem damaligen Capitän im zwanzigsten Infanterie-Regiment von Prim, der bei einem Durchmarsch seines Bataillons durch Sömmerda Dreysse und seine neue Waffe kennen lernte und sich lebhaft für die ihm sehr beachtenswerth erscheinende Erfindung interessirte. Der tüchtige Officier machte seine Vorgesetzten, besonders den General von Thiele, auf die neue Waffe und deren Vortheile für Militärzwecke aufmerksam; so erhielt der damalige Kriegsminister von Hake von zwei Seiten her, durch den Auftrag des Prinzen von Preußen und die Empfehlung Prim’s, resp. Thiele’s, dringende Veranlassung der Dreysse’schen’ Schöpfung seine Aufmerksamkeit zuzuwenden und Dreysse zur nochmaligen Einreichung seines Gewehrs aufzufordern.

Die Sache begann jetzt Aufsehen zu erregen. Der Flügeladjutant General Neumann, und der derzeitige General-Adjutant des Königs, nachmaliger Kriegsminister von Witzleben, lernten durch die Bemühungen Prim’s das Gewehr kennen und nahmen sich desselben mit großer Theilnahme an, so daß endlich Dreysse vom Kriegsministerium den Auftrag erhielt, eine Anzahl Cylinder- und Traubengewehre, wie damals das Dreysse’sche Gewehr nach der Form der Kammer genannt wurde, anzufertigen. Dies geschah und die gelieferten Gewehre wurden besonders dazu ernannten Commissionen in Glatz, Graudenz und Erfurt überwiesen. Dreysse sandte zu diesen Prüfungen technische Beiräthe und mit der Handhabung des Gewehrs vertraute Männer nach Glatz und Graudenz ab, während er den Prüfungen in Erfurt selbst beiwohnte. Diese Prüfungen zogen sich bis zum Jahre 1834 hin, da die Gewehre allerdings noch mancherlei Uebelstände und Mängel besaßen, die namentlich hinsichtlich ihrer Verwendung für Militärzwecke sehr in’s Gewicht fallen mußten.“

„Die Commission selbst,“ nahm mein freundlicher Erzähler nach einer kurzen Pause wieder das Wort, „bestand meist aus tüchtigen und vorurtheilslosen Männern. Dagegen gab es viele höhere Militärs, die den alten Zopf nicht los werden konnten und jede Neuerung mit Mißtrauen begrüßten. Da war unter Andern ein hochgeborener Prinz, der von dem schnellen Abfeuern eine übermäßige Erhitzung und das Springen des Gewehres befürchtete; ein alter General hatte allerlei Bedenken

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_640.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)