Seite:Die Gartenlaube (1866) 641.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

von wegen unnöthiger Munitionsverschwendung, ein Dritter wollte überhaupt aus Bequemlichkeit von der ganzen Geschichte nichts wissen und war über die Frechheit empört, daß ein Civilist sich mit solchen Dingen befaßte. Kurzum, die Mehrzahl rieth dringend von der Einführung der Zündnadelgewehre ab und warnte sogar vor den gefährlichen Versuchen mit diesen Waffen. Der gute Dreysse befand sich während der ganzen Zeit in der höchsten Aufregung und litt, wie er oft selbst eingestanden, wahre Folterqualen. Dennoch verlor er nicht den Muth, da er von der Trefflichkeit seiner Erfindung so fest wie von der Wahrheit des Evangeliums überzeugt war. Er schlief keine Nacht und auch am Tage fand er keine Ruhe, bis er alle ihm gemachten Ausstellungen glücklich beseitigt hatte. Die Prüfungs-Commissionen in Graudenz, Glatz und Erfurt wurden endlich wieder aufgelöst, ohne daß damit für das Gewehr Dreysse’s ein weiteres Resultat hatte erreicht werden können.

Dreysse’s neues Zündnadelgewehr.

Die meisten Uebelstände der Waffe, welche gerügt worden waren und sich der Annahme des Gewehrs von Seiten des Ministeriums hartnäckig und mit einem gewissen Rechte entgegengestellt hatten, ließen sich auf die bei dem Gewehr noch vorhandene Vorderladung zurückführen. Dadurch wurde Dreysse auf den schon früher hartnäckig verfolgten Gedanken zurückgeleitet, die Herstellung eines von hinten zu ladenden Zündnadelgewehrs zu versuchen, wobei der Ladestock ganz entbehrlich und die Ladung des Gewehrs höchst vereinfacht würde, und im Jahre 1836 wurde es ihm nach den verschiedensten mühevollsten Versuchen möglich, dem Kriegsministerium sein erstes von hinten zu ladendes Zündnadelgewehr vorzulegen.

Inzwischen hatte Dreysse auch der Vervollkommnung der Zündmasse ununterbrochen seine Aufmerksamkeit zugewendet und es war ihm gelungen, jene eigenthümliche Mischung, die, wenn auch nicht in ihren Bestandtheilen, so doch in dem Verhältniß der Theile noch immer ein Geheimniß ist, zu finden und damit alle von ihm selbst an die Zündmasse gestellten Anforderungen erreicht zu sehen.

Noch bevor das Ministerium über die ihm überreichte neue Waffe hatte zur Entscheidung kommen können, hatte Dreysse unter Hinzufügung einiger weiteren Verbesserungen und Veränderungen mehrere Gewehre dieser Construction anfertigen lassen, und der zufällig in Sömmerda weilende Major von Eberstein, der mit diesem Gewehre selbst einige glückliche Schießversuche auf sechshundert Schritt Distanz gemacht, nahm zwei solche Gewehre mit nach Berlin. Der Kriegsminister von Witzleben war damals krank und übertrug dem Major (nachmaligem Reichskriegsminister) Pencker die Prüfung der Waffe. Die Schießversuche wurden im Garten des Ministers in Gegenwart verschiedener Militärs, seines Spandauer Gewehrfabrikanten und anderer Personen vorgenommen. Rudolph Dreysse war wie immer der Schütze. Als derselbe sich zum Schießen rüstete und die erste Patrone in die von hinten geöffnete Kammer legte, riß Alles aus, weil man bestimmt ein Zerspringen des Gewehres erwartete. Nach zehn Schüssen, die sämmtlich in’s Schwarz der Scheibe trafen, trat man neugierig näher; Schuß auf Schuß folgte, der Zieler sagte stets Schwarz an. Stoff, der Spandauer Gewehrfabrikant, der erklärlicherweise sehr eifersüchtig auf das Gewehr werden mußte, zum Theil wohl auch ungläubig war, warf dem Zieler vor, er passe nicht auf und klebe die Löcher der Scheibe nicht gehörig zu; er, Stoff, habe die Kugel hundertundfünfzig bis zweihundert Schritte vom Schützen entfernt aufschlagen sehen. Stoff hatte nicht ganz Unrecht, aber nicht die Kugeln, sondern die Spiegel waren aufgeschlagen. Stoff stellte sich nunmehr selbst an die Scheibe, wieder folgte Schuß auf Schuß, Treffer auf Treffer. Jetzt schossen auch die übrigen Herren der Reihe nach mit, zu ihrer Verwunderung trafen auch sie meistens. Rudolph Dreysse hatte noch zwölf Patronen übrig; er wurde gefragt, wie viel er in der Minute feuern könnte; er schoß fünf Schuß, fünf Treffer in der Minute. Wie er sich daran macht, die letzten sieben Schuß abzugeben, greift Stoff eine Hand voll Sand auf und wirft sie, als Dreysse sich anschickt zu laden, auf die geöffnete Kammer des Gewehrs, um damit nach seinem Dafürhalten den Beweis zu liefern, daß das Gewehr, wenn staubig geworden, seine Dienste versagen müßte. Doch noch sieben Schuß rollten hin, und noch sieben Mal hatte der Zieler Schwarz anzusagen – das Dreysse’sche Gewehr hatte sich glänzend bewährt! Rudolph Dreysse hatte mit seinem Zündnadelgewehr bei hundert Schuß einundneunzig Treffer geliefert!

Dieser Schießversuch entschied. Im Herbst 1840 befahl der König Friedrich Wilhelm der Vierte die Einführung des Zündnadelgewehrs. Zunächst sollten damit sämmtliche Füsilier-Bataillone bewaffnet werden; Dreysse erhielt Auftrag zur Anfertigung von sechzigtausend Gewehren und gleichzeitig wurde das Ministerium angewiesen, Dreysse die Geldmittel vorschußweise zu gewähren, deren dieser zur Erbauung einer großen Gewehr- und Munitionsfabrik bedurfte. Derart entstand im Laufe des Jahres 1840 die Sömmerdaer Gewehrfabrik, die im Herbst des nächsten Jahres in Betrieb gesetzt wurde.

Man hätte meinen sollen, Dreysse stehe nun am Ziele, allein dem war nicht so. Der gefährlichste Feind, den er zu überwinden hatte, war, seinem eigenen Geständnisse nach, die Gewohnheit, die das alte Percussionsgewehr nicht aufgeben mochte. Neid, Mißgunst und Cabalen kamen wohl auch dazu, und so wurden bald von Neuem viele Stimmen gegen die Dreysse’sche Erfindung laut. Das Kriegsministerium ordnete darum für 1846 einen großen Schießversuch in Spandau an; leider schien bei diesem ein eigenthümlicher Unstern über dem Zündnadelgewehr zu walten, indem gleich in den ersten Tagen viele Nadeln durch Verbiegen oder Zerbrechen untauglich wurden. Dreysse’s Gegner triumphirten, das Zündnadelgewehr wurde für nicht gut und unausführbar erklärt und der alte Mann erhielt bereits die Nachricht, daß man die angefertigten sechzigtausend Stück Gewehre nicht würde gebrauchen können und ihm als ‚alt Eisen‘ zur Verfügung stellen müssen. Da machte er sich selbst wieder auf die Beine nach Berlin und setzte wenigstens eine Wiederaufnahme der Versuche durch.

Bei allen diesen Schwierigkeiten und Verlegenheiten verlor jedoch Dreysse keinen Augenblick Vertrauen und Muth und legte damit das beste Zeugniß von seiner Charakterstärke ab, die trotz der schmerzlichsten Täuschungen und härtesten Prüfungen nicht wankte. Das Zündnadelgewehr hatte sich zwar später im badischen Feldzuge bewährt, demungeachtet war aber an maßgebender Stelle in Berlin noch immer kein definitiver Entschluß erfolgt, hatte daselbst noch immer nicht ein endgültiges Urtheil Platz greifen können. Der König sah indeß ein, daß hier etwas Bestimmtes geschehen müsse, die Bewaffnung des preußischen Heeres konnte nicht lange mehr Frage bleiben, zumal alle an Preußen angrenzenden, dessen Militäreinrichtungen mit wachsender Aufmerksamkeit verfolgenden Staaten sich für ein oder das andere der geltend gewordenen Gewehrsysteme definitiv entschieden hatten. Der König ordnete deshalb einen letzten großen Schießversuch für das Jahr 1850 an; gleichzeitig befahl derselbe, daß mit dem Dreysse’schen Zündnadelgewehr auch die übrigen bedeutenderen Gewehrsysteme zur Prüfung gelangen sollten. So kam der denkwürdige Schießversuch und Schießwaffen-Wettkampf theils in Potsdam, theils in Spandau zu Stande, dem der König in eigener Person beiwohnte und bei welchem die Waffen eines Thouvenin, Minié, Podewil, die Dornbüchse und der Schweizer Stutzen mit dem Dreysse’schen Zündnadelgewehr um den Sieg rangen. Dreysse entsandte zu diesem Kampf völlig zuverlässige Gewehre und sichere Schützen, unter denen wiederum sein Bruder, der inzwischen zum Oberrevisor ernannt worden war, hervorragte. Der Erfolg gab den Ausschlag: das Dreysse’sche Gewehr siegte mit dreiundneunzig Procent Treffer, einem Resultat, hinter welchem alle übrigen Waffen weit zurückblieben, ungerechnet der Vorzüge des Gewehrs durch Schnelligkeit des Ladens und Feuerns und durch die Fähigkeit, damit größte Distanzen nehmen zu können.

Das Schicksal des Zündnadelgewehrs war hiermit entschieden; der König befahl die Bewaffnung der gesammten preußischen Armee

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_641.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)