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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Er wäre nicht der erste hohe Beamte, der stiehlt!“

„Und seinen eigenen Herrn, seinen Landesherrn zu bestehlen!“

„Auch das war schon da. In der Welt giebt es nichts Neues.“

„Und während die Leiche seiner Tochter über der Erde stand!“

„Desto weniger sollte man an ihn denken.“

„Aber was brachte Euch auf den Gedanken an ihn?“

„Allerlei. Zuerst mag er leben wollen. Der Mensch muß zu allererst selbst leben. Dann will er auch wohl eine Aussteuer für seine Enkelin haben. Auch dagegen kann man nichts sagen. Im Gegentheil, wenn der Vater nichts für sein Kind thut, so muß sogar nach den Gesetzen der Großvater eintreten. Und im Grunde nimmt er ja hier nur das Geld des Vaters.“

„Schwarz, Ihr führt lästerliche Reden.“

„Die Polizei darf sich das schon herausnehmen. Aber still! Da höre ich wahrhaftig etwas.“

„Bei Gott!“ rief der Landrentmeister.

„Jetzt aufgepaßt, Freund Aders.“

Sie horchten mit angehaltenem Athem. Hinter der Mauer des Schranks, an dem sie sich befanden, wurde ein Geräusch laut. Woher es rührte, konnten sie nicht unterscheiden; sie vernahmen nur unbestimmte Töne, die theils in gleicher Höhe mit ihnen, theils niedriger, noch tiefer unter der Erde, zu sein schienen.

„Sollte es wirklich der Präsident sein?“ sagte, beinahe jammernd, der Landrentmeister.

„Schweigt, daß man uns nicht hört.“

„Was habt Ihr vor, Schwarz?“

„Schweigt!“

Das Geräusch jenseits der Mauer wurde stärker, deutlicher.

„Es wird an der Mauer, an den Steinen gearbeitet,“ sagte der Landrentmeister.

Der sonst so ruhige, gemessene Mann war in einer Aufregung, die er gar nicht bemeistern konnte.

„Ja,“ sagte ruhig der Polizeibeamte.

„Es ist mehr als Einer da! Sie sprechen mit einander.

„Der Herr und sein Diener,“ sagte der Polizeirath.

„Was werden wir machen, Schwarz?“

„Vor der Hand warten und – schweigen.“

Warten mußten sie; aber schweigen konnten sie bald Beide nicht mehr. Sie waren von ihren Sitzen aufgesprungen und standen unmittelbar an dem Schranke. Sie standen ohne Bewegung, ohne Laut, nur dem Klopfen ihrer Herzen konnten sie nicht gebieten, auch der Polizeibeamte nicht; sie hörten es. Dazwischen vernahmen sie immer deutlicher ein schweres, mühsames Arbeiten an der Mauer.

„Teufel, was machen sie da?“ sagte der Polizeirath. Er konnte es nicht begreifen.

„Oeffnen wir die Thür des Schrankes,“ sprach der Landrentmeister.

„Seid Ihr toll?“ erwiderte der Polizeirath. „Wenn sie Licht hätten und den Schrank offen sähen, so wäre Alles vorbei. Sie müssen erst im Schranke sein, wenn auch nur eine Hand.“

Der Landrentmeister schwieg. Auch hinter der Mauer wurde es still. Die Arbeit hatte auf einmal aufgehört; es wurde auch nicht mehr gesprochen.

„Was ist denn das?“ sagte der Polizeirath.

Es wollte ihm fast unheimlich werden. Da hörten sie wieder sprechen, und die Stimmen waren so nahe, so unmittelbar bei ihnen, als wenn sie schon im Schranke seien. Jedes Wort war zu verstehen.

‚Lassen Sie mich hinein, Herr.‘

‚Du fürchtest einen Hinterhalt?‘

Der Landrentmeister zitterte am ganzen Körper.

„Allmächtiger Gott, er ist es.“

„Und sein Diener. Ich sagte es Euch ja.“

„Was machen wir, Schwarz?“

„Ja, jetzt kommt es darauf an. Verhaltet Euch ganz ruhig. Ich muß sehen, ob sie Licht haben. Sie haben keins. Es ist Alles dunkel geblieben. Durch irgend eine Ritze müßte man irgend einen Lichtstrahl sehen können. Jetzt gilt es. Knarrt die Thür des Schrankes, wenn man sie öffnet?“

„Nein.“

„So öffnet sie. Ihr kennt sie. Aber Ihr zittert ja wie Espenlaub. Laßt mich!“

Der Polizeirath öffnete die Thür, es geschah ohne alles Geräusch. Aber in demselben Moment erstarrte er fast, mit ihm der Landrentmeister. Ihre Augen hatten sich seit einer Stunde an die Dunkelheit gewöhnt; sie konnten darin die Gegenstände wahrnehmen, wenn auch nur unbestimmt. Aus der dunklen Mauer kam langsam etwas Helles, Weißes hervor, bewegte sich einen Augenblick hin und her und verschwand plötzlich wieder. Aber der, helle, weiße Gegenstand hatte einen andern Gegenstand mit sich genommen.

„Eine Goldrolle!“ flüsterte der Landrentmeister dem Polizeirath zu.

„Und es war seine Hand,“ sagte dieser.

„Und er ist uns entgangen.“

„Wird er mit der einen Rolle zufrieden sein? Der Appetit –“

Die weiße Hand erschien zum zweiten Male. Sie war sicherer und schneller, als das erste Mal. Sie brauchte nicht hin und her zu suchen, sondern fuhr wie der Blitz nach einer zweiten Goldrolle und wollte damit zurück. Die nervige Faust des Polizeiraths ergriff, umspannte sie. Beide rangen miteinander, Beide lautlos in tiefer Finsterniß.

„Konrad!“ rief der, mit dem der Polizeirath rang, nach Hülfe.

Der Landrentmeister erkannte die Stimme seines Vorgesetzten.

„Aders, jetzt auch Ihr heran!“ rief der Polizeirath.

Da fühlte er die Hand, die er hielt, erlahmen. Der Schreck, von seinem Untergebenen als Dieb ergriffen zu werden, mußte den Präsidenten gelähmt haben. Aber in dem nämlichen Augenblicke fühlte der Polizeirath etwas Anderes. Ein scharfer Schnitt fuhr durch die Oberfläche seiner eigenen Hand. Die Finger hingen ihm schlaff und blutig herab. Er mußte seinen Gefangenen loslassen.

„Verdammt!“ fluchte er.

Der Cassenbeamte aber athmete laut auf, als wenn ihm ein schwerer Stein vom Herzen gefallen sei.

„Verdammt!“ sagte der Polizeirath noch einmal. „Er ist entkommen. Ihm nachsetzen? Wohin in dieser Finsterniß? Ohne Waffen? Es wäre Unsinn. Aber entgehen kann er mir nicht, ich habe ihn erkannt, ich habe seine Spur. Das Corpus delicti ist hier. Lasse ich mir zunächst meine Hand verbinden; der Schnitt ist zum Glück kein tiefer. Dann weiter!“


5. Der Präsident und der Polizeirath.

Der Präsident saß an seinem Arbeitstische. Vor ihm lagen Briefe und andere Papiere. Er war mit ihnen beschäftigt und las sie; manche sah er nur flüchtig an, er kannte ihren Inhalt schon. Einzelne legte er bei Seite, andere warf er in das helle Feuer des Kamins neben ihm. Er war in seiner vollen Ruhe. Niemand hätte dem strengen, finsteren Gesichte eine Aufregung ansehen können. Er hatte auch Zeit zu dem Durchsehen und Ordnen und Verbrennen der Papiere, denn er hatte sich in dem Zimmer eingeschlossen. Als nach einer Weile an der Thür geklopft wurde, stand er auf, ging zu ihr und fragte, wer da sei.

„Konrad!“ antwortete die Stimme seines Kammerdieners.

Der Präsident schloß die Thür auf und der alte Diener trat ein. Ihm sah man Gemüthsbewegung, Angst an.

„Bist Du fertig?“ fragte ihn der Präsident.

„Ja, Herr.“

„Mit Allem? Das Geld –?“

„Ist an dem bewußten Orte.“

„Und Agathe?“

„Folgt mir auf dem Fuße.“

„Du hörtest draußen noch nichts?“

„Nicht das Geringste. Wir sind noch ganz sicher.“

„Meinst Du? Ah, da kommt Agathe. Geh’, wir folgen Dir in wenigen Minuten.“

Der Diener ging. Agathe trat in das Zimmer in Reisemantel und Reisehut.

„Wir wollen schon heute Nacht fahren, Agathe,“ sagte der Präsident zu ihr.

„Konrad brachte mir Deinen Entschluß, lieber Großvater.“

„Und ich freue mich, daß Du damit einverstanden warst. Der Schlaf wäre doch hier nicht zu uns gekommen… Setze Dich auf das Sopha, mein Kind,“ fuhr er dann fort. „Ich habe noch ein paar Augenblicke an meinen Papieren zu ordnen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_650.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)