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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Welfen und Ghibellinen, zwischen Papst und Kaiser hinein. Der Welfe Otto der Vierte war vom Papste Innocenz dem Dritten in den Kirchenbann gethan und von einer Fürstenversammlung zu Nürnberg 1211 entsetzt, dafür der junge König von Neapel, Friedrich, zum König der Deutschen erwählt worden. Unter vielen Gefahren – denn die Mailänder, welche die von Friedrich dem Rothbart an ihnen verübten Grausamkeiten noch nicht vergessen hatten, wollten ihn fangen – kam er über die Alpen nach Chur. Hier fand er an dem Bischof und auf dessen Empfehlung an dem Fürstabt von St. Gallen warme Freunde und erschien so, von ihnen mit Geld und Mannschaft unterstützt, vor den Thoren der Stadt Constanz.

Während er aber hier der Gestattung des Einlasses entgegensah, stand Kaiser Otto mit einer ansehnlichen Macht in dem nur drei Stunden entfernten Ueberlingen. Ein Theil seiner Hausdienerschaft war sogar schon in Constanz angekommen. Der Augenblick war ein sehr wichtiger und verhängnißvoller, denn er entschied das Schicksal des Welfischen und des Hohenstaufischen Hauses. Der Beredsamkeit des Abts von St. Gallen gelang es, den Bischof und die Bürgerschaft von Constanz zur Aufnahme Friedrich’s des Zweiten zu bestimmen und ihm die Thore zu öffnen. Drei Stunden später fand Otto dieselben verschlossen: sein Schicksal wurde durch diese Spanne Zeit erfüllt.

Das letzte Bild rechts gehört der Ehre von Constanz allein an. Mit ungemeiner Treue hatte die Stadt zur Reformation gehalten und sich dem Schmalkaldischen Bunde gegen Kaiser Carl den Fünften angeschlossen. Der Krieg endete bekanntlich unglücklich und in Folge dessen ward die Stadt Constanz, trotz ihrer an den Kaiser nach Augsburg abgeordneten Gesandten, die Verzeihung erbitten sollten, in die Acht erklärt und der Achtbrief am Rathhaus zu Augsburg angeheftet. Die wilden kaiserlichen Horden überfielen die Stadt, mußten indeß, von den tapfern Bürgern zurückgeschlagen, unverrichteter Sache wieder abziehen. Darüber ergrimmte Carl der Fünfte, und während die Constanzer Gesandten noch in seiner Nähe weilten, Morgens am 6. August 1548, zog ein ansehnlicher Haufen spanischer Truppen, wie es heißt gegen dreitausend Mann, gegen das Oberthor der jenseits des Rheins gelegenen Vorstadt Petershausen. Die Uebermacht drängte die hier aufgestellten Bürger zurück, und diese kamen mit den Feinden fast gleichzeitig auf der Rheinbrücke an. In verrätherischem Einverständniß mit denselben war aber die Fallbrücke vernagelt worden und konnte deshalb nicht aufgezogen werden. Jetzt entspann sich ein furchtbarer Kampf. Wie Männer, welche für ihre Ueberzeugung zu sterben wissen, kämpften die Bürger muthig gegen die Ueberzahl der Feinde, und selbst die Verwundeten suchten noch einen oder mehrere derselben zu erwischen, um sich mit ihnen über die Fallbrücke hinabzustürzen und nicht ungerächt zu sterben.

Nach fünfstündigem, todesmuthigem Ringen wurden die Spanier zurückgedrängt und wütheten in der Erbitterung über den fehlgeschlagenen Angriff wie Cannibalen durch Feuer und Mordthaten an schuldlosen Frauen und Kindern in der erwähnten Vorstadt. Der Sieg war theuer erkauft und sollte leider keine Früchte tragen. Die Stadt, welche Alles für ihre Selbstständigkeit und ihren religiösen Glauben aufgeopfert hatte, ergab sich durch einen Mehrheitsbeschluß ihrer Bürger am 18. August 1548 dem Hause Oesterreich und verlor dadurch Beides. Die unparteiische Geschichte hat schon lang über sie und Carl den Fünften entschieden. Und dieses „Gericht“ fortzusetzen und im Volke das Gefühl des großen Unrechts der Gewalt gegen das Recht immer von Neuem zu beleben, dazu kann nichts geeigneter sein, als dieses Bild, das Jedem vor Augen treten muß, welcher an der Stadtcanzlei vorübergeht.


Das noch übrig bleibende dritte Bild hat gerade für diesen Augenblick eine hohe Bedeutung. Darum haben wir uns seine Betrachtung bis zum Schluß verspart und nur darum dürfen wir es wagen, die Schilderung der Thatsache in größerer Ausführlichkeit hier folgen zu lassen. Die vom Kaiser Sigismund ausgeschriebene Kirchenversammlung hatte im Jahre 1414 eine ungemeine große Anzahl von Fremden jeden Ranges, vom römischen König bis zum Ritter, vom Papst bis zum Mönch, nach Constanz geführt, die hier eine nie gesehene Pracht in das Auge blendenden Festzügen und kirchlichen Processionen entfalteten. Unter diesen Festlichkeiten nahmen die Belehnungen einen hervorragenden Platz ein. Keine aber wurde mit größerer Pracht vollzogen, als jene des Burggrafen Friedrich von Nürnberg, Grafen von Hohenzollern, mit der Mark Brandenburg.'

Friedrich, oberster Hauptmann und Verweser der Mark, hatte dem immer Geld brauchenden Kaiser Sigismund nach und nach gegen vierhunderttausend ungarische Goldgulden vorgestreckt, wofür ihn dieser mit der Kurwürde belehnte, da er die Schuld auf andere Weise nicht zu bezahlen vermochte, und am 19. April 1417 mit dieser Würde in der Bischofsstadt feierlich bekleidete. – Vor dem Hause zum hohen Hafen am obern Markt, wo der Lombardische Friedensvertrag geschlossen wurde, stand auf langer und breiter, mit goldenen Tüchern bedeckter Estrade der Sessel des Kaisers. Als der Burggraf mit den Seinigen und seinen zwei Bannern mit dem Wappen der Markgrafschaft Brandenburg und der Burggrafen von Nürnberg an der Emporbühne angekommen war, hielt er an. Jetzt trat der römische König aus einem Bogen des Hauses zum hohen Hafen und setzte sich in den Sessel. Ihm folgten zwei Cardinäle und drei Bischöfe nebst dem obersten Canzler. Die ersteren nahmen ihm zur Seite rechts und links Platz; der Canzler mit einem besiegelten Pergamentbrief, an welchem zwei Insiegel hingen, in der Hand stand hinter den Cardinälen.

Als der König mit der goldenen Krone auf dem Kopf im Sessel saß, schritt der Burggraf Friedrich inmitten seiner zwei Bannerträger auf die Bühne. Auf der obersten Sprosse knieten sie alle Drei vor dem König nieder. Da befahl Sigismund dem Canzler den Brief vorzulesen, welcher die Pflichten gegen das römische Reich enthielt. Nach Verlesung desselben fragte der König den Burggrafen, ob er schwören wolle. Als er es bejahte, nahm der König das Banner mit dem brandenburgischen Wappen aus der Hand des Ritters in die seinige und gab es dem Burggrafen in die Hand. Ebenso nahm er den Reichsapfel mit dem Kreuz und das Scepter aus des Pfalzgrafen Hand, der hinter den Cardinälen zur Linken sich aufgestellt hatte, und übergab sie Friedrich, so wie das Banner mit dem Nürnbergischen Wappen. Hierauf zog der Herzog Rudolph von Sachsen, welcher nach altem Brauche ein bloßes Schwert mit der Spitze gegen des Kaisers Haupt gesenkt hielt, das Schwert in die Höhe und der Kaiser stand auf. Da fingen alle Pfeifer und Posauner an zu pfeifen und zu posaunen, daß Niemand sein eigen Wort mehr hören konnte.

Wer die Folgen dieser Belehnung bis zum heutigen Tage vor Augen hat, wird das Bild nicht ohne Bewegung vor dem wunderbaren Lauf des Schicksals betrachten.

Unsere Freunde werden aber mit uns in dem Wunsche einstimmen, daß dem deutschen Volke recht viele solcher Bilder den Blick in seine Vergangenheit erschließen möchten! Nichts ist geeigneter, die Phantasie der Kindheit mit edlen Gestalten, das Herz der Jugend mit Begeisterung für vaterländische Ehre zu erfüllen und in den Männern den Rest des Philisterthums zu ersticken, das sich vor jedem großen Gedanken und Opfer zum Heil des Ganzen entsetzt. Und wenn erst die Thaten zum Herzen des Volks reden, dann werden auch die ehernen Bildsäulen in seinem Auge die Bedeutung gewinnen, die sie bisher nur für die glücklicheren Kreise der durch Bildung Bevorzugten hatten.




Pariser Bilder und Skizzen.
Ein räthselhaftes Mädchen.


Ich stand am Grabe Heinrich Heines. In dem bescheidenen Kirchhofe Montmartre haben sie ihn gebettet, fern von den großen Geistern, deren Hülle der Père Lachaise birgt, fern von seinem Feinde – Ludwig Börne. Es ist ein einsames Grab, ein einfacher Stein! Nur seinen Namen trägt er, ach, und nicht einmal seinen ehrlichen deutschen Namen: Henri Heine heißt hier der verzogene Liebling der Grazien. Zwei Vergißmeinnichttöpfchen, frisch gepflegt, standen zu Füßen des Steines, einige regenverwaschene Immortellenringe lagen herum, und von dem Steine hing ein ärmlicher Kranz von Schmelzperlen herab, der längst allen Schmelz verloren hatte. Man sieht es diesem Grabe an, daß es nicht viel aufgesucht wird, liegt es doch nicht an der Heerstraße des flüchtigen Touristenvolkes, das lieber – kindischer Brauch! – in der Gruft der Rachel seine Visitenkarten niederlegt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_662.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)