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ein anderes Mal diese nur durch eine matte Oellampe erleuchtet; Beides auf Befehl des Regenten, der seine Mutter so öffentlich verhöhnen ließ. Dagegen verursachten die Bürger eine Demonstration, indem sie der Kurfürstin, die immer die allgemeine Achtung und Theilnahme genoß, einen Fackelzug brachten. Der Kurprinz nahm das für eine Beleidigung seiner Person und ließ gegen die friedlichen Fackelträger und das versammelte Volk durch seine Garde du corps einschreiten, die Mutter aber strafte er, indem er das Pförtchen hier, welches sie bei ihren Spaziergängen nach der Aue zu benutzen pflegte, zusperren ließ.“

Abends besuchte ich das Theater, wo die „Anna Liese“ von Hermann Hersch zum ersten Male gegeben wurde. Zur Zeit des Kurfürsten konnte weder dieses Stück noch der Brachvogel’sche „Narciß“ zur Aufführung gelangen; beide Dramen behandeln einen Gegenstand, zwischen welchem und der Gemahlin des Kurfürsten, mit der er in morganatischer Ehe lebte, mancherlei Parallelen in die Augen springen. Die kurfürstliche Loge, wo sonst die Flügeladjutanten und Hofchargen saßen, blieb leer, ebenso die Prosceniumsloge rechter Hand, wo man allabendlich den Kurfürsten und seine Gemahlin sehen konnte.

Der Fürst war, als er in Bonn studirte, wo er die Bekanntschaft der Frau Hauptmann Lehmann machte, ein hübscher elastischer Jüngling und in späteren Jahren eine gedrungene, kräftige Gestalt, bis ihn in letzter Zeit das Podagra etwas krumm zog. Er hatte die Gewohnheit angenommen, beim Sprechen, die Hände an den Lenden, den Oberkörper hin und her zu wenden, während der untere Theil bewegungslos blieb. Im Geiste sah ich ihn wieder in seiner Loge sitzen, mit dem kurzgeschorenen, graumelirten Haar, dem ernsten, finstern Gesicht, das sich nur selten zu einem Lächeln erhellte, wie er bald dem Schauspiele folgte, bald das Opernglas vor den Augen in’s Parterre hinabblickte. Im Geiste hörte ich ihn wieder inmitten der Vorstellung und ohne die geringste Rücksicht auf das in seiner Aufmerksamkeit gestörte Publicum sich überlaut mit seiner Gemahlin unterhalten, in dem schnarrenden Tone, der lakonischen Redeweise und den Infinitivsätzen, die er seinem Oheim Friedrich Wilhelm dem Dritten nachgeahmt haben mochte. Zuweilen, wenn er guter Laune war, hörte man ein „Guter Witz!“ oder „Kerl spielt famos!“ Zuweilen entlud sich aber auch ein eheliches Gewitter in der Loge, das die Frau Fürstin, indem sie die Gardine schloß, den Augen des Publicums zu entziehen eilte. In den letzten Jahren pflegte der alte Herr, der von den meisten Stücken jedes wohl schon ein paar Dutzend Mal gesehen haben mochte, während der Vorstellung sein Schläfchen zu machen.

Die Frau Gräfin von Schaumburg, Fürstin von Hanau, früher verehelichte Hauptmann Lehmann, soll die Tochter eines Weinschenken zu Bonn und eine berühmte Schönheit gewesen sein. Da sah sie der damalige Kronprinz, und seine Mutter, die Kurfürstin, welche mit ihm abwechselnd zu Bonn wohnte, soll ihn selber auf die reizende junge Frau und ihren graciösen Tanz aufmerksam gemacht haben; vielleicht aber kannte sie der Prinz schon genauer. Noch bis in die letzten Jahre hinein und wiewohl man behaupten will, sie sei älter als ihr im Jahre 1802 geborener Gemahl, konnte die Fürstin für eine Schönheit gelten; namentlich wurden die kleine, volle Gestalt und ihre mandelförmigen Augen bewundert. Von ihrem ersten Manne hatte sie zwei Söhne, die später der Kurfürst zu Herren von Scholley erhob; diesem gebar sie noch neun Kinder, sechs Söhne und drei Töchter, die nach ihr Grafen und Gräfinnen von Schaumburg, Prinzen und Prinzessinnen zu Hanau heißen.

Sie Alle wurden von ihrem Vatter allabendlich in’s Theater befohlen, wo sie insgesammt neben ihren Eltern in der „Kinderloge“ saßen, auch dann noch, als sie längst erwachsen und theilweise verheirathet waren. Eine der Prinzessinnen bat ihren Vater vergebens, für sich und ihren Gemahl eine besondere Loge miethen zu dürfen, und als sie dringender wurde, soll sie der Kurfürst bei offener Tafel hart angelassen haben. Während der Vorstellung beobachtete er heimlich die Prinzen, ob sie etwa mit den Schauspielerinnen Blicke wechselten. So oft er solchen Austausch oder gar ein entstehendes Liebesverhältniß witterte, entließ er die betreffenden Damen auf der Stelle, ohne sich daran zu kehren, ob er ihnen eine Abstandssumme oder bei längerem Contract die Gage für mehrere Jahre nachzahlen mußte. Dennoch konnte er’s bekanntlich nicht hindern, daß Prinz Fr. sich mit einer Demoiselle Birnbaum heimlich vermählte, und als der Kurfürst darob in rasende Wuth gerieth, soll ihn der Sohn mit Recht gefragt haben, ob er (der Vater) es denn besser gemacht? Auch die andern Prinzen wußten sich zu entschädigen, indem sie die verjagten Theater-Prinzessinnen in das hannöver’sche Grenzdorf Sp. setzten und Abend für Abend zu ihnen hinüberritten.

Man behauptet, daß außer den Ministern namentlich seine Privatinteressen ihn in die Arme Oesterreichs getrieben haben. Er besitzt einen großen Gütercomplex in Böhmen, den er, falls er sich für Preußen erklärte, gefährdet glaubte. Seinem in der österreichischen Armee dienenden Stiefsohn von Scholley hatte man dort ein Regiment versprochen. Namentlich – und dies war der Hauptköder und bestimmte seinen Anschluß an Oesterreich – waren ihm von der Hofburg Verheißungen gemacht worden, mit Beseitigung des anerkannten Thronfolgers einem seiner illegitimen Söhne die Nachfolge auszuwirken. In der elften Stunde schien der Fürstin, die bisher eifrig für Oesterreich agitirt hatte, die Sache mit einem Male bedenklich und sie versuchte, jetzt ihren Gemahl zur Umkehr zu bewegen, allein mit gewohnter Hartnäckigkeit hielt der Kurfürst an seinem Entschlusse fest und antwortete der dringender werdenden Gattin schließlich mit einem energischen Ausbruch seines bekannten Jähzorns.

Was die geistige Begabung des Kurfürsten betrifft, so ist dafür wohl ein Urtheil maßgebend, das ein Bonner Professor über den damaligen Studiosus gefällt und das nicht sehr empfehlend gelautet haben soll. Für Kunst und Wissenschaft hatte Friedrich Wilhelm der Erste gar keinen Sinn und hat auch für beide nichts gethan. Merkwürdigerweise und gleichsam in Vorahnung seines Geschickes kaufte und las er am eifrigsten alle preußischen Geschichtswerke, ebenso die in seinem Lande verbotenen Zeitschriften und Brochuren, namentlich den Kladderadatsch und alle Pamphlete, welche seine Regierung und seine Minister geißelten. Im Gegensatz zu seinem Vater und Großvater war der Kurfürst keusch und hielt in seiner Umgebung streng auf Sitte und Anstand. Er spielte nicht, trank nicht, rauchte nicht, sondern war mäßig und nüchtern, in seinen Bedürfnissen einfach und sparsam, ordnungsliebend bis zur Pedanterie, robust und abgehärtet. Die Dienerschaft murrte über die etwas knappe Hofhaltung und er paßte ihr genau auf die Finger, ließ es aber nie am Nothwendigen fehlen und entfaltete Gästen gegenüber Fülle und Pracht. Neben Theater und Parade bestand seine Hauptpassion in der Jagd, wo er in der Ausdauer, Gewandtheit und im Ertragen von Strapazen Allen voranging. Selbst bei empfindlicher Kälte erschien er ohne Mantel und zwang dadurch auch seine Gefährten und Officiere, dieses oft sehr erwünschte Kleidungsstück zu Hause zu lassen. Vom Theater liebte er hauptsächlich Opern und Possen, im Heere hübsche, kräftige Gestalten, weshalb man auch in der kurhessischen Armee so viele junge und schöne Officiere antrifft. Er kümmerte sich um Alles und mischte sich in Alles. Ohne seinen Befehl durfte in den Schlössern kein Stuhl gerückt, kein Bild umgehangen werden. Fand er seine Zwiebacke zu stark oder zu wenig geröstet, so schickte er einen Armeegensd’armen zum Bäckermeister in die Stadt und ließ das rügen. Einen Tapezirergehülfen befahl er sofort zu entlassen, weil der junge Mensch blasses Gesicht und rothe Haare hatte, was er nicht leiden mochte. Auf einem Spaziergange bemerkte er über dem Laden eines jüdischen Kaufmanns die Aufschrift: „Wallach, kurfürstlicher Hoflieferant“. „Jude hinten!“ befahl er, und schon am andern Tage las man: „Kurfürstlicher Hoflieferant Wallach“.

Der Kurfürst verarbeitete in Worten, mit Hand und Fuß seine ganze Umgebung: Frau, Kinder, Hofleute, Minister und Diener, unter vier Augen und öffentlich. Den Hofmarschall v. H. klemmte er buchstäblich zwischen Thür und Angel, so daß der Mann halb todt aus dem Palais nach seinem Hause getragen wurde. Selbst bei guter Laune waren Schimpfwörter, die wir hier nicht wiederholen mögen, seine Lieblingsausdrücke. So ertappte er den Major v. H. auf einem Pfade in den Anlagen um Wilhelmshöhe, die er für seine Person sich reservirt hatte, und rief gutmüthig: „H., dicker Schw… Gern verbotene Wege gehn!“ Die meisten seiner Diener und Höflinge ertrugen diese schmachvolle Behandlung mit unbegreiflicher Unterwürfigkeit; sie ließen sich schlagen, stoßen, treten und kamen wieder heran, sobald er ihnen rief. Nur wenige wagten ihm Widerstand zu leisten und ihre Manneswürde zu wahren; vor solchen hatte er Respect, aber er haßte und verabschiedete sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_694.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)