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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

bald. Zu diesen Wenigen gehören die Räthe Wigand, Mittler, von Stiernberg und der Kriegsminister von Ende, welcher, als der Kurfürst sich für Oesterreich entschied, dem General von Meyerfeld weichen mußte. Stirnberg trat einst in das Cabinet des Kurfürsten, und ihm ein Papier vorlegend, fragte er ihn in Gegenwart des Leibarztes ganz kategorisch: „Wollen königliche Hoheit nun unterschreiben oder nicht?“ Der sonst so ungebehrdige Monarch schien ganz verdutzt, ergriff gehorsam die Feder und unterzeichnete. Erst nachdem Stiernberg hinausgegangen, erholte er sich und brummte: „Grober Kerl, dieser Stiernberg!“ Aber auch Stiernberg erhielt mit den übrigen Ministern seine Entlassung, als der Kurfürst plötzlich die Concessionirung der Dienstmänner, welche er wegen ihrer blauen Blousen und rothen Mützen „Freischärler“ nannte, zu einer Cabinetsfrage machte. Später wieder zurückgerufen, war Stiernberg vielleicht der Einzige, der je solchem Ruf nicht Folge leistete.

Zuweilen stieß der Kurfürst auch in niedrigern Regionen auf ähnlichen und nicht immer auf passiven Wiederstand, was die vielbesprochene Geschichte mit dem Tapezirer Briggel lehrt. Dieser arbeitete im Palais, als der Kurfürst hinzukam, die Arbeit tadelte und schließlich den Stock erhob. Allein der unerschrockene Meister schwang drohend seinen Hammer und schwur Jedem, der ihn zu berühren wage, das Gehirn einzuschlagen. Darauf wollte es der Kurfürst nicht ankommen lassen; er nahm klüglich den Rückzug, und der Muth des ehrlichen Mannes imponirte ihm dermaßen, daß er ihn nach wie vor beschäftigte. Nur fanden seine Arbeiten fortan keine Gnade vor den Augen des Monarchen, der sie in der Regel mit diesen Worten abfertigte: „Ah, Briggel gemacht! Schlecht ist!!“

Von seiner Würde und erlauchten Abkunft war der Kurfürst innig durchdrungen und ungemein stolz darauf. Auch in den allerletzten Aeußerlichkeiten wollte er sich von Jedermann im Lande unterscheiden, und Niemand durfte ihm das Geringste nachmachen. Er allein fuhr sechsspännig mit einem Vorreiter, die Fürstin nur vierspännig, die Prinzen und Prinzessinnen in der Regel zweispännig. Wollte Jemand eine sechsspännige Extrapost haben, so mußten die Pferde wie Gänse in einer Reihe hintereinander vorgespannt werden. Als der Kurfürst einst bemerkte, daß die Droschkenkutscher um ihre Hüte ähnliche Tressen trugen wie seine Lakaien, mußte der Polizeidirector solche sofort entfernen lassen. Des Kurfürsten Hartnäckigkeit ist sprüchwörtlich geworden. Was er einmal angeordnet, nahm er auch dann nicht zurück, wenn er die Widersinnigkeit seines Befehls erkannt hatte; er glaubte sonst seinem fürstlichen Worte etwas zu vergeben. Noch in der Gefangenschaft auf dem Schlosse zu Stettin ließ ihm der König von Preußen die Rückkehr auf den Thron anbieten, falls er sich von dem Bündniß mit Oesterreich lossage. Aber sein Adjutant von Verschuer rief: „Bedenken königliche Hoheit: Ein Mann, ein Wort! Wie viel mehr das Wort eines Fürsten!“ Und der Kurfürst wies starr auch diesmal die ihm gebotene Hand zurück.

Der Kurfürst liebte seine Kinder und sparte für sie. Der Kummer seines Lebens war, daß sie ihm nicht ebenbürtig waren. Trotzdem hatte er sich um ihre Erziehung und Ausbildung wenig bekümmert; erst nachdem sie erwachsen und theilweise bereits verheirathet, begann er sie in strenge Zucht und Aufsicht zu nehmen. Die Söhne, schon Officiere, mußten, wenn sie ausfahren, ausreiten oder auf die Jagd gehen wollten, jedesmal die väterliche Erlaubniß einholen. Am Theetische saßen sie mit dem Helm zwischen den Knieen, steif und schweigend; sie durften nicht eher sprechen oder lachen, als bis es der Vater that. Mit dem Taschengelde wurden sie knapp gehalten, aber sie hatten kostspielige Bedürfnisse und machten deshalb Schulden. Einer der Prinzen saß anderthalb Jahr im Schuldthurme zu Frankfurt, in der sogenannten „Mehlwage“, bis sich der Kurfürst endlich erweichen und ihn auslösen ließ. Der damit beauftragte Hofrath Str. sollte den Prinzen mit der Eisenbahn nach Hanau, von hier in einem geschlossenen Wagen nach der Stammfeste Rumpenheim bringen. Der Hofrath ließ seinen Gefangenen in den Wagen steigen, begleitete ihn aber nicht, sondern kehrte mit dem nächsten Zuge nach Frankfurt zurück, wo er das Theater besuchte. Wie er aufblickt, entdeckt er in einer Loge des ersten Ranges den Prinzen, der denselben Zug benutzt hatte. Voll Entsetzen eilt er zu ihm hinauf und beschwört ihn, ihm an den Ort seiner Verbannung zu folgen, doch der Prinz lacht ihn aus und bleibt guter Dinge in Frankfurt. Der Kurfürst aber nimmt die Meldung seines Abgesandten mit einer Fluth von Püffen entgegen.

Die Fürstin sparte gleichfalls so viel Geld als möglich zusammen und ließ sich ein Grundstück und eine Besitzung nach der andern verschreiben, aber sie gab nur ihren Kindern erster Ehe. – „Deine Kinder, Deine Sache!“ pflegte sie, den Kurfürsten copirend, zu, diesem zu sagen und ihm die Wechsel der Prinzen hinzuschieben. Einer der letzteren wußte sie aber doch zu überlisten, indem er auf seine Mutter hohe Wechsel unter der Firma zog: „Frau Lehmann, jetzige Gemahlin des Kurfürsten von Hessen“; welche die Fürstin, als sie ihr präsentirt wurden, sofort einlöste.

Diese Frau gilt für den bösen Dämon des Kurfürsten und auf ihr ruht der Haß des ganzen Landes. Wahrscheinlich thut man ihr unrecht, wenn man ihr alles Unheil zuschreibt, das unter der Regierung ihres Gemahls geschehen ist. Allerdings übte sie großen Einfluß auf ihn, aber neben ihr noch viele Andere, und zuletzt war der Kurfürst unberechenbar, denn er folgte oft allem Rath entgegen seinen Einfällen und Launen. Thatsächlich ist es jedoch, daß er, von ihr getrennt, sich stets weit milder und generöser zeigte.

Der letzte Act dieser Tragikomödie der Regierung des Kurfürsten spielt auf Wilhelmshöhe, das bekanntermaßen nur eine Stunde von Cassel gelegen und eins der schönsten und prächtigsten Lustschlösser in Europa ist. Dort hatte der bethörte Fürst die letzten Tage seiner Regierung verlebt, dorthin hatte er sich zurückgezogen, nachdem er sein Heer nach Mainz, seine Gemahlin nach Frankfurt geschickt; dort erwartete er mit zäher, einer bessern Sache würdiger Standhaftigkeit den Anmarsch der Preußen, die ihn nicht lange warten ließen und nun durch vier Tage hart bedrängten, eng einschlossen.

Es zog mich, diesen historisch gewordenen Ort wiederzusehen, und die Eisenbahn führte mich schnell hinaus. Aber wie im Märchen glaubte ich auf ein verwunschenes Schloß zu stoßen: tiefe Stille im Innern und ringsumher. Mit Mühe entdeckte ich den Castellan, der mich durch die endlosen Zimmerreihen führte, wobei er viele meiner Fragen überhörte, andere mir einsilbig und widerwillig beantwortete. Der Ahnensaal des Schlosses bildet eine Rotunde mit kuppelförmigem Dache und enthält in einer fortlaufenden Reihe von Wandgemälden die Bildnisse der hessischen Herrscher, von Ludwig dem Ersten, dem Kind von Brabant, bis auf Wilhelm den Zweiten, den Vater des letzten Kurfürsten. Für diesen ist merkwürdigerweise gerade noch ein Feld übrig.

Der Castellan wußte von seinem gewesenen Herrn nur Liebes und Gutes zu berichten. Er rühmte seine Einfachheit, Ordnungsliebe, Thätigkeit, Herablassung gegen den gemeinen Mann und Wohlthätigkeit gegen die Armen. Er bedauerte schmerzlich den Fortgang des Fürsten, der ihm, wenn er während des Sommers hier residirte, täglich eine Flasche Wein und Speisen von seiner Tafel reichen zu lassen pflegte. Ich suchte ihn durch ein Trinkgeld und die Prophezeiung zu trösten, daß ihm dergleichen nunmehr in Menge von allen Fremden zufließen würde, die gleich mir kämen, um das Schloß zu durchwandern, was bisher nicht gestattet war. Er glaubte mir, denn er lächelte, und so ging ich nach dem nahen Gasthofe, wo mich der Kellner zu der Bank am Rande des Parks führte, auf welcher der Kurfürst an heitern Abenden gesessen und nach den grünen Bergen gesehen. Auch des Kellners Sympathien waren bei dem Exmonarchen; er betheuerte, daß er als Kurhesse leben und sterben und sich für seine Person nicht annectiren lassen wolle, ob auch der König von Preußen seine ganze Armee gegen ihn schicke. Ferner zeigte er mir den Pavillon, wo die Preußen sich einquartiert und aus des Kurfürsten Keller redlich gezecht, seine Cigarren geraucht und auf seinen Betten geschlafen hätten. Endlich beschrieb er mir die dichte Postenkette, welche sie im engen Kreise um das Schloß gezogen, und die nächtlichen Wachtfeuer, um die sie gelagert.

„Der Hauptmann Lettow, welcher die Preußen commandirte, war gar streng,“ sagte der Kellner. „Er ließ jedes Mannsbild, das aus oder ein wollte, genau durchsuchen, aber bei den Weibern genirte er sich doch. Wenn die kurfürstlichen Wagen um Lebensmittel in die Stadt fuhren, begleitete sie stets ein Soldat; und ein Officier die Schweizergardisten, wenn diese aus der kurfürstlichen Küche ihr Essen holten. Königliche Hoheit selbst durften nicht einmal bis an die Thür treten.“

„Unsinn,“ entgegnete mein Gastfreund, der mich auch hierher

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_695.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)