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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

ganz gewöhnlichen Menschen begegnet – viel weniger denn in einem solchen alten Raubschlosse, wo früher so viele Unschuldige hingerichtet wurden und so viel Blut vergossen ist, einem derartigen Gespenst mit dem Kopf unter dem Arme. Ich bin auch nicht abergläubischer als Andere, aber ich glaube, mich rührte der Schlag vor Schreck, wenn mir einmal eine solche Gestalt in den Weg liefe.“

„Bah,“ sagte Rosel, verächtlich lächelnd, „Ihr urtheilt von Euch auf Andere, Meister Bollharz. Ich bin nur ein Mädchen, aber wenn es eine Wette gälte – ich ginge selber hinauf und bewiese Euch, daß Ihr Unrecht habt.“

„Hoho, Rosel,“ lachte der Bäckermeister, „das hab’ ich noch gar nicht gewußt, daß Sie auch prahlen können. Wenn ich Sie nun beim Worte nähme?“

„Ei, so thut’s!“ rief das junge Mädchen, während ihr in der Erregung des Augenblicks das Blut voll in Gesicht und Schläfe stieg – „was ich gesagt habe, habe ich gesagt.“

„Und Du wolltest jetzt bei Nacht allein hinauf in die Ruine gehen?“ rief der Registrator erschreckt. „Kind, versündige Dich nicht, denn schon ein solcher Gedanke ist gottlos.“

„Weil sie weiß, daß sie Niemand beim Worte nimmt,“ lachte der Bäckermeister. „He, Bärbel, gieb mir noch einen Schoppen – das ist aber wahrhaftig der letzte –“

Die jungen Fremden lachten – nicht über Rosel’s Anerbieten, sondern über den kleinen dicken Mann, der schon seit einer Stunde immer seinen ‚letzten‘ Schoppen bestellte, und doch nicht vom Fleck zu bringen war; das junge Mädchen aber, überhaupt heute Abend durch das Zusammentreffen mit Bruno und die harten Worte des Vaters gereizt, rief aus:

„Und wenn ich Euch nun beim Worte nähme, Meister Bollharz? Ihr habt die zwei schönen großen Orangenbäume, die Ihr mir immer nicht verkaufen wolltet. Sollen die mein sein, wenn ich jetzt – in diesem Augenblick nach der Ruine hinauf und hinein gehe und Euch auf irgend eine Art ein Zeichen bringe, daß ich dort gewesen?“

„Mädel, bist Du des hellen Teufels?“ sagte der Registrator erschreckt.

„Bravo, mein Fräulein!“ riefen lachend die jungen Leute, die noch immer nicht an den Ernst der Sache dachten und sich nur über das verdutzte Gesicht des kleinen dicken Bäckers amüsirten – „er hat die Lust am Wetten schon verloren.“

„So, meine Herren?“ sprach der Bäcker, ebenfalls mit einer tüchtigen Schoppenladung im Kopfe, von seinem Stuhle aufspringend und mit der Hand auf den Tisch schlagend, „das hat er aber noch lange nicht. Die beiden Orangenbäume sollen Ihnen gehören, Rosel, wenn Sie jetzt – und es muß bald Mitternacht sein – dort hinauf gehen, und ich will mein Lebstag ein Lügner heißen, wenn ich sie nicht selber herunter schicke.“

„Gut,“ rief das junge Mädchen, entschlossen sich von ihrem Platz erhebend, „ich gehe! die Wette gilt!“

„Wenn Sie aber nicht hinaufgehen und wieder unverrichteter Sache herunter kommen?“ frug der kleine Bäcker, dem doch schon um seine vielleicht zu leichtsinnig versprochenen Orangenbäume bange wurde.

„Dann bekommen Sie von mir jenen Kuß,“ sagte das junge Mädchen – und während sich ihr Antlitz blutroth färbte, spielte doch zugleich ein spöttisches Lächeln um ihre Lippen – „um den Sie mich schon so oft gebeten haben.“

Ein schallendes Gelächter belohnte die Abfertigung des kleinen Mannes.

Meister Bollharz war aber jetzt auch böse geworden. „Gut, Sie kleiner Trotzkopf, Sie,“ sagte er, „jetzt wollen wir doch einmal sehen, ob die Sache mit Prahlen abgemacht ist. Wenn Sie hinauf in die Ruine gehen und hinein in den Burghof, wo der steinerne Tisch steht, und dort von den Schößlingen, die daneben aus dem Boden gewachsen sind, einen abschneiden und mit herunter bringen, daß ich mich morgen früh überzeugen kann, Sie sind wirklich oben gewesen, so haben Sie bis morgen Mittag die Orangenstöcke im Hause und ich thue Ihnen öffentliche Abbitte, Ihren Muth angezweifelt zu haben.“

„Topp!“ rief das Mädchen, „es gilt!“ und wandte sich rasch der Thür zu; der alte Registrator ergriff sie aber noch am Arm und rief halb bittend, halb ermahnend:

„Rosel, mach’ keinen dummen Streich! Dein Vater ist jetzt nicht hier, daß er’s Dir verbieten könnte, aber ich leid’s ebenfalls nicht, und wenn Du auf Deinem Trotzkopf bestehst, geh’ ich hinauf und weck’ ihn.“

(Fortsetzung folgt.)



Das Erkennen.
Illustriert von Paul Thumann. ( Aus Bodenstedt’s Album.)

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 701. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_701.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)