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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

recht gut weiß, was er singt, und Gefallen an seinem Singen, an seinen künstlerischen Leistungen hat. Neben den Tönen der Kunst, der feineren Empfindungen, der Liebe steht ihm aber meistens noch eine große Reihe von anderen zu Gebot behufs Ausdruckes der verschiedenartigsten Stimmungen und Mittheilungen. Er schmollt, er zankt, er zetert; er kost, er jubelt, er lockt; er begütigt und warnt seine Jungen, macht anmuthig der Gattin den Hof, bittet brünstig die Alten um Futter; für Furcht und Schrecken, zur Abwehr von Feinden, zum Hülferuf und vielen anderen Empfindungsäußerungen ist ihm eine ganze Scala von Tönen verliehen. Wer hat noch nicht den ängstlichen Ruf des Rothschwänzchens gehört, wenn es den nahenden Menschen von seinem Neste weglocken will, das Gezänke der Spatzen, das Gurren des Taubers, das Piepen der hungrigen Nestvöglein, den Schrei der Schwalbe, wenn der Habicht über ihr schwebt? Alle diese Laute werden genau von Denjenigen verstanden, an die sie gerichtet sind. Zahllose Beispiele dafür erzählt die Naturgeschichte: von den Schwalben, die den eindringlichen Spatz vermauern, von ihrem Zank, wenn ein junges Paar sein Nest an unschicklicher Stelle zu bauen beginnt, von ihren Unterredungen während der Wanderschaft, von den gegenseitigen Mittheilungen der schlauen Sperlinge über reife Kirschen und unschädliche Vogelscheuchen u. v. m.

Wie dürftig ist es dagegen um das Mittheilungsvermögen anderer Thiere, selbst der höchstbegabten Säugethiere bestellt! Ist es da ein Wunder, wenn vom grauesten Alterthum an die Sage von einer wirklichen, selbst bevorzugten Menschen zugänglichen Vogelsprache sich bei allen Völkern ausgebildet und erhalten hat, deren Länder der lebendigen Wälder nicht entbehrten? In den indischen Mythen (Nal und Damajanti), in den Märchen der Araber und der Deutschen nehmen redende Vögel eine der ersten Stellen des phantastischen Wunderapparats ein, den sie entfalten. Als Sigfrid sich im Drachenblut badet, lernt er das Zwiegespräch der Nachtigallen aus der Linde über ihm verstehen, und in zahlreichen deutschen Hausmärchen wird derselben Kunst Rechnung getragen. Allein nicht in diesem Sinn gedenken wir hier der Vogelsprache, sondern es gilt vielmehr unsere Betrachtung der eigenthümlichen Thatsache, daß der Mensch überall bestrebt ist, die Laute der bekanntesten Vögel in seine eigene Sprache zu übersetzen, ihnen Wörter unterzulegen, welche oftmals ebenso sinnig und charakteristisch, wie auch für die Auffassung des Thierlebens von Seiten des Volks bedeutend sind. Eine besondere Fundgrube für dergleichen Uebertragungen des Vogelsangs bietet das Waldland Thüringen, dessen Bewohner bekanntlich leidenschaftliche Vogelliebhaber und Kenner ihrer Lieblinge sind. – Nicht blos in Deutschland aber versucht man die Wiedergabe der Töne geflügelter Sänger in Worten, sondern auch in anderen Ländern; leider haben diese keinen Bechstein gehabt und es ist daher auch nur wenig aus ihnen über den Gegenstand aufzutreiben gewesen. Wie wir ihn auffassen, das sagt am deutlichsten der Anfang des deutschen Vogelmärchens: „In den alten Zeiten da hatte jeder Klang noch Sinn und Bedeutung. Wenn der Hammer des Schmieds ertönte, so rief er: ‚Smiet mi to! Smiet mi to!‘ Wenn der Zimmermann den Balken beschlug, so klang’s: ‚Kein’ Käs’ und Brod das mag ich nicht!‘ Der Schuster zog den Draht an mit: ‚Hätt’ ich’s! hätt’ ich’s!‘ während der Hobel des Tischlers schnarrte: ‚Da hast’s! Da hast’s!‘ – Fing das Räderwerk der Mühle an zu klappern, so sprach es: ‚Helf, Herr Gott! Helf, Herr Gott!‘ aber vom Müller erzählte die Mühle selber, zuerst langsam fragend: ‚Wer ist da? Wer ist da?‘ – dann rascher antwortend: ‚Der Müller! Der Müller!‘ endlich ganz schnell klappernd: ‚Stiehlt tapfer, stiehlt tapfer, vom Viertel drei Metzen!‘ u. s. f. Zu dieser Zeit hatten auch die Vögel ihre eigene Sprache, die Jedermann verstand, jetzt lautet es nur wie ein Zwitschern, Kreischen und Pfeifen, und bei einigen wie Musik ohne Worte.“

Kein anderer wilder Vogel steht dem Menschen so nahe, ist von ihm so genau beobachtet worden, wie die Schwalbe, die gesellige Frühlingsverkünderin (NB. zuverlässig ist sie nicht, und „Eine“ macht bekanntlich noch keinen Sommer). Ihr Gezwitscher im Frühjahr deutet der Landmann: „Als ich fortzog, als ich fortzog, waren alle Kisten und Kästen voll; da ich wiederkam, da ich wiederkam, war Alles wüst und leer.“ Rückert hat in dem schönen Lied „aus der Jugendzeit“, dessen Vers wir als Motto vorangestellt, das Motiv aus dem Volksmund aufgenommen; er überträgt es gefällig: „Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, waren Kisten und Kasten schwer; als ich wiederkam, als ich wiederkam, war Alles leer!“ – Dergleichen Strophen finden eine Melodie bei jedem empfänglichen Gemüth. In Spanien übersetzt das Volk den Schwalbengesang:

Iß und trink,
Borg’ das Geld,
Doch sei flink,
Eh’ man Dich hält,
Und flieh, flieh, flieh
Beatriiiiiiz!!

Der Fink, die liederreiche Seele deutscher Wälder, wie man diesen fröhlichen, unermüdlichen Sänger wohl nennen darf, hat von jeher die zahlreichsten Dolmetscher gefunden; vielen derselben kommt es allerdings weniger auf den Sinn, als vielmehr auf den Gleichklang an. Sein „Weingesang“ klingt: „Fritz, Fritz, willst Du mit zum Wein geh’n?“ Der „Bräutigamsschlag“: „Fink, Fink, willst Du denn auch den Bräutigam zieren?“ Dann ruft er: „Reit’ herzu, Trab!“ oder „Schützenbier!“ (Schitzkebier in Schlesien) oder „Gut Jahr!“, wie denn überhaupt kein anderer Vogelschlag so viele Abstufungen und Verschiedenheiten zeigt wie derjenige des Finken.

Die Nachtigall singt nicht, sie „dichtet“, denn so heißt es bei den Vogelstellern und sie bezeichnen mit diesem Ausdruck so recht eigentlich das Wesen ihrer Töne, obgleich die Naturforscher behaupten, der Vogel bewege seinen Schlag nur in einem bestimmten Ring verschiedener Melodieen, deren man sechszehn bis vierundzwanzig gezählt haben will. Senlis schreibt: „Wenn die Menschen den Sinn der durch articulirte Silben auszudrückenden Nachtigallentöne zu deuten verstünden, so würden sie in jeder einen verschiedenen Ausdruck geheimer Gefühle des zärtlichen Vogels finden, dessen Liebe mit seinem Sang endet“. Daß es unter den Nachtigallen besondere Virtuosen giebt, ist bekannt. Die stärksten Schläger sind die ungarischen Sprosser, deren Lockton lautet: „Glockt Arr!“ Ihre verschiedenartigen Schläge sind schon oben angeführt worden; ihr Lied lautet in Worten: „Zieh’ a’, zieh’ an, David, zieh’ a’ Glock!“

Den Gesang des Zeisigs verdolmetscht das Volk: „Ziegenfleisch ist zäh!“ Den des Stieglitz: „Lüg’ nit!“ Die Spanier machen den letzteren zum Gehülfen der Schwalbe bei dem Liebeswerk am Kreuze; der Stieglitz zog aus den Gliedern des Heilands die Nägel, und:

Als auf der Höhe von Golgatha
Jesus am Kreuz verschied,
Sangen Stieglitz und Nachtigall
klagend das Sterbelied.

Dem Finken ruft der Stieglitz zu: „Fink, bink’!“ denn er will von ihm das bessere Lied erlernen.

Die „Himmelsschwinge, Liederfreundin“ Lerche ist nächst der Nachtigall am meisten von den Dichtern gefeiert worden und verdient dies, denn sie ist das liebliche Sinnbild des von der Erde sich in den Himmel schwingenden Geistes. Daher singt sie denn auch Gott zu: „Dir, Dir, Dir, nur Dir!“ (Chr. v. Schmid) und beim Strahl der Morgenröthe: „Die Fürstin kommt, die Fürstin steht am Thor!“ (Annette v. Droste-Hülshof), dann hoch aus dem blauen Aether im hellen Sonnenschein: „Die Welt ist schön!“ (Ebert) „Drum gab der Himmel ihr auch zum Lohne die unermüdlich beherzte Stimme, den Ton der Freude, den langen Frühling! Selbst Philomele, die Liederfreundin, muß ihrem langen Gesange weichen.“ (Herder.)

Von der Singdrossel oder Zippe weiß das Volk nur unschöne Worte zu berichten; wenn sie am besten schlägt, ruft sie; „Kuhdieb!“ Ihr ganzer Gesang lautet nach Bechstein: „David, David, drei Nösel für eine Kanne! Prosit, Prosit! Kattenhans, Kuhdieb!“ – Die Schwarzdrossel dagegen ruft: „David, Hans David!“ damit die Leute ihrem Gesang aufmerksam sein sollen. Die Kohlmeise meldet: „Zit is da!“ (Zeit ist da!) wenn sie Hunger hat. „Stellt sich der Frühling vorzeitig ein, so ist sie die Erste, welche ihn muthig begrüßt und dem durch den Wald wandernden Landmanne angelegentlich zuruft: „Zieh aus den Pelz!“ Bringen aber April und Mai noch kalte Tage, dann ändert sie sehr geistreich ihr kurzes Lied und singt vernehmlich: „Flick Dir’n Pelz!“ (Holtei.) Auch hat sie den Lockruf: „Fink, Fink!“ mit dem sie sich für mehr ausgeben will, als sie ist, und empfängt das Weibchen mit dem jubelnden: „Sind Sie da? Sind Sie da?!“ – Der Goldammer singt im Herbst ganz betrübt vor der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_706.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)