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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Und strömt ihr nicht, wenn ihr mit sechzehn Jahren
Der Schule, der Pension entwachsen seid,
Um euren Schatz vorm Rosten zu bewahren,
Dem Hörsaal zu und lauschet dichtgereiht,

305
Wenn große Männer edlen Trieb verspüren,

„Die Wissenschaft in’s Leben einzuführen“?

Von Allem nur die Blume, nur den Saft!
Heut Humboldt’s Kosmos, morgen Kant und Fichte.
Ein heitrer Vortrag über Stoff und Kraft,

310
Ein Blick in römische Culturgeschichte,

Zoologie, Geologie, Botanik,
Akustik, Ethik, himmlische Mechanik.

Dann tritt ein hochberühmter Forscher auf
Und spricht zwei Stündlein über Karl den Kahlen,

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Auch der Statistik läßt man freien Lauf,

Nur schenkt man euch die leidig trocknen Zahlen;
Der Chemiker spielt vollends den Galanten
Und macht ein Feuerwerk von Diamanten.

Nicht wahr, das blitzt, das funkelt? Und zu Haus

320
Arbeitet dann das Fräulein Nachts verstohlen

Wie ein Student ein saubres Heft sich aus
Und schreibt: „Demanten brennen wie die Kohlen.“
Dann legt sie sehr gebildet sich zu Bette
Und träumt – vom letzten Ball, was gilt die Wette?

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Und wär’s zu tadeln? Jugend will ihr Recht.

Ich bin der Letzte, der es ihr mißgönnte,
Vielmehr bedünkt es mich, daß eu’r Geschlecht
Viel Bücherkram sich billig sparen könnte,
Der, wär’ er sonst auch noch so wissenswerth,

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Das Eine doch, was Noth, euch nimmer lehrt.


„Und dieses Eine?“ – Ja, gesteh’ ich’s ehrlich,
Mir fehlt der Muth, es unverblümt zu sagen.
– „Der Muth? warum?“ – Im Zorn seid ihr gefährlich,
Und nur zwei Augen hab’ ich dran zu wagen! –

335
– „Wir woll’n im Voraus dir die Strafe schenken.

Nur dreist heraus! dies Eine ist –?“ – Das Denken.

– „Das Denken? Ei, wir dächten doch, wir denken
Zum Nothbedarf.“ – Gewiß; wie Frauenzimmer! –
– „Mag sein; doch unsre kleine Welt zu lenken

340
Und euch am Narrenseil, genügt es immer.

Wie, oder willst du gar – es ist zum Lachen! –
Uns, ohne Bart, zu Philosophen machen?“ –

Euch? Wie ihr fragt! Ist denn von euch die Rede?
Anwesende sind immer ausgenommen.

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Von euch, ihr Liebenswürdigsten, ist Jede,

So wie sie geht und steht, durchaus vollkommen.
Ich spreche nur – wie könnt’ ich’s anders meinen! –
Vom weiblichen Geschlecht im Allgemeinen.

Denn jene Einzlen, die wie höh’re Wesen

350
Sich nur verirrt in diese niedre Welt,

An Adel, Reiz und Huld so auserlesen,
Daß Ehrfurcht, wenn sie nah’n, die Seele schwellt,
Sie, denen willig wir zu Füßen sänken, –
Wem fällt es ein zu fragen, ob sie denken?

355
Schooßkinder der Natur, aus ihrer Fülle

Begabt mit Allem, was uns Armen fehlt;
Siegreiche Kraft in zartgewobner Hülle,
Die holde Form vom reinsten Hauch beseelt;
Und wandeln sie im Schooß der Mitternächte,

360
Mit blindem Griff erwählen sie das Rechte!


Sie mögen nur dem Gott im Busen lauschen,
Und immer ohne Fehl beräth er sie.
Mit keinem Weisen brauchen sie zu tauschen,
Denn ihr Geschlecht allein ist ihr Genie.

365
Sie – – doch ich merke, daß ich Hymnen schreibe,

Ein Liebeslied, ein hohes Lied vom Weibe.

Und doch, aus andrem Tone wollt’ ich singen.
Kommt, laßt uns offen reden, meine Guten.
Die Sach’ ist wichtig; drum vor allen Dingen

370
Die Höflichkeit beiseit auf fünf Minuten!

Gesteht, im Allgemeinen habt ihr Mängel;
Viel Evastöchter sind – und wenig Engel.

Nun denn, und diese Mehrzahl, schwach genug,
Wie stößt man sie hinaus ins rauhe Leben?

375
Wer sorgt, euch gegen Trug und Selbstbetrug

Den Schild, den Schirm, die Leuchte mitzugeben,
Will sagen: die Vernunft, die klare, wache?
Vernunft? Behüte! Die ist Männersache.

So hätten sich der Schöpfung stolze Herrn

380
Den Löwenantheil listig vorbehalten?

O diese Selbstischen! sie möchten gern
Im Puppenstand euch lebenslang erhalten,
Vielleicht aus Furcht, die Zügel zu verlieren,
An denen sie euch doch nur schlecht regieren.

385
Sagt selbst, wenn ihr die Augen aufgeschlagen

Und euch erblickt in dieser fremden Welt,
Bestürmen nicht auch euch die Räthselfragen,
Die uns die alte Sphinx, das Leben, stellt?
Woher? wohin? was ist die letzte Meinung

390
Mit diesem All buntwechselnder Erscheinung?


Der Ursprung dunkel, tiefverhüllt das Ziel,
Die Nähe sorgenvoll und bang die Ferne,
Und rings um euch ein hastig Schattenspiel,
Erzeugt vom Strahl der magischen Laterne –

395
Wie soll die schöne junge Menschenseele

Erkennen, wen sie sich zum Führer wähle?

Wie lockend spiegelt ihr ein Jeder vor:
Komm, folge mir! Ich helle dir die Pfade!
Da winkt ein Irrlicht, hier ein Meteor,

400
Dort ein Komet und drüben die Plejade.

Das arme Kind mit zweifelndem Gewissen
Geht zum Papa; der wird doch Hülfe wissen.

Ja Der! Der küßt sein Mädchen auf die Stirn
Und spricht: Mein Püppchen, das sind heikle Dinge,

405
Noch viel zu schwierig für ein junges Hirn.

Strick’ lieber deinen Strumpf und tanz’ und singe,
Doch dir den Kopf zerbrechen? – ei, das wäre!
Zu Ostern kommst du in die Christenlehre.

Nun soll der Gottesmann die Zweifel schlichten,

410
Und welch’ ein hoffend Herz bringt sie ihm zu!

Den aber plagt Metaphysik mit nichten;
Nur Eins ist Noth, daß Jeder Buße thu’,
Den Teufel als den Erzsophisten hasse,
Den Herrgott einen guten Mann sein lasse.

415
Du grübelst, Kind? Das ist der Seele schädlich.

Hinweg damit! Glauben ist mehr denn Wissen. –
Die junge Sünderin zerknirscht sich redlich,
Küßt ihm die Hand, stickt ihm ein Sophakissen,
Die alten Scrupel melden sich nur selten;

420
Froh ist sie, endlich auch für voll zu gelten.


Concert, Theater, Bälle, Badereisen,
Man hat Talente, dichtet, malt und singt
Und spielt Komödie in Familienkreisen,
Und wenn die erste Liebe Leiden bringt,

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Die werden bald verschmerzt im Arm des Gatten.

Bei so viel hellem Licht – wo bleibt der Schatten?

Er bleibt nicht aus. Dich überrascht die Stunde,
Wo es wie Schuppen dir vom Auge fällt:
Wie reich du dich bedünkst, du bist im Grunde

430
In schwerer Prüfung auf dich selbst gestellt.

Das Leben schien dir ohne Pfand zu leih’n
Und kommt zuletzt und steht auf seinem Schein.

Wohl dir, wenn dann ein frommer Kinderglaube
Dir nie versagt, wenn, wie der Sturm auch weht,

435
Stets dir ein Oelblatt bringt die heil’ge Taube.

Doch Vieles ist, was nicht geschrieben steht,
Was räthselhaft den tiefverstörten Geist
Mit strenger Mahnung in sein Innres weis’t.

Und hast du dann im Innern ein Asyl,

440
Ein heimliches, wohin die Seele flüchte,

Daß sie mit still gesammeltem Gefühl
Den Widerstreit von Pflicht und Neigung schlichte?
Verlorst du nicht im Taumel eitler Lust
Das Heimathsrecht in deiner eignen Brust?

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Und wenn du glücklich bist, wenn Schuld und Schmerz

Nie feindlich drohten deinem Seelenheile,
Hast du auch Waffen, unerfahrnes Herz,
Für deinen treusten Feind, die Langeweile?
Ich höre schon, die Antwort ist bereit:

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Die Mutterpflichten kürzen uns die Zeit.


Gut denn! Ein Dutzend Kinder, nehm’ ich an,
Sind Tag für Tag zu waschen und zu wiegen.
Doch auch die Feierstunde rückt heran,
Wo alle friedlich in den Betten liegen.

455
Dann – – „Glaub’ es nur, dann ist man viel zu müde,

Als daß man noch mit Denken sich belüde.“ –

Wohl! Doch die Jahre flieh’n; die Kinderschaar
Entwächst einmal der Mutterzucht und -Pflege.
Das Haus wird leer, das voll Gewimmel war,

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Im Schooße ruht die Hand, die einst so rege.

Dann, dünkt mich, wär’ es zu bedenken Zeit,
Daß ihr vernunftbegabte Wesen seid.

Was dann? – „Nun dann – da sind die Zeitungsblätter,
Der neueste Roman und der ‚Bazar‘,

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Kaffeebesuche, ein Gespräch vom Wetter,

Von langer Weile wird man nichts gewahr.“ –
Nichts? wirklich Nichts? Habt ihr die langen Stunden
Des kurzen Lebens niemals leer gefunden?

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_722.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)