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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Blätter und Blüthen.


Christus und Petrus auf Reisen. Der Schauspieler Zimmermann, der jeder Zeit überall mit großem Glück auftrat, hatte im Jahre * auch in Danzig gastirt und dort reiche Einnahme gemacht. Trotz alledem war das Geld in wenigen Tagen verjubelt und eines Morgens war der berühmte Mime, der als Hamlet Alles entzückt hatte, spurlos verschwunden. Wenige Jahre später stand ein Mann in einer bunten Jacke auf dem Marktplatze eines pommerschen Dorfes und trommelte eine große Komödie aus, die heute von einer berühmten Komödiantentruppe im Tanzsaale „zum blauen Ochsen“ zum ersten Male aufgeführt werden sollte. Am Wirths-, Amts- und Gemeindehause waren ellenlange Theaterzettel angeklebt, auf welchen deutlich in riesengroß gemalter Lapidarschrift zu lesen war:

„Heute werden wir die Ehre haben, aufzuführen:
Christus und Petrus auf Reisen.
Großes biblisches Drama in fünf Acten.
Personen:
Christus – Herr Zimmermann.
Petrus – Herr Pumpendorf.
Soldaten, Jungfrauen, Juden, Kinder, Menschen und Volk.
Anfang 7 Uhr.
Entrée zwei Groschen. Honoratioren zahlen nach Belieben.“

Die ehrlichen pommerschen Bauern schlugen die Hände über die Köpfe zusammen über alle die Herrlichkeiten, die ihnen im „blauen Ochsen“ geboten werden sollten, und wer keine zwei Groschen hatte, borgte sie sich von einem gefälligen Nachbar und schob sie vorsichtig in die Westentasche.

Die guten Bauern wußten freilich nicht, daß die ganze große Komödiantentruppe nur aus einer einzigen Person bestand, aus unserm großen Mimen Zimmermann nämlich, – denn sein College Pumpendorf war Niemand anderes, als der dumme Hausknecht der Schenke, den er zum Petrus abgerichtet, – sonst hätten sie doch ihre zwei Groschen ein wenig umgedreht, ehe sie dieselben in die Westentasche steckten. Das Theater im „blauen Ochsen“ war gepfropft voll am Abend, – ja sogar der Amtmann, der Schulze und der Bader saßen auf den Ehrenplätzen in der ersten Reihe. Punkt sieben Uhr rumpelte der Fetzen Leinwand in die Höhe, der den Vorhang repräsentirte, und auf der Bühne erschienen Christus und Petrus, mit stattlichen schwarzen Bärten und in große Leintücher gehüllt.

„Schon tagt der Morgen. Erwarte mich hier, mein lieber Petrus. Wenn der Hahn kräht, bin ich wieder bei Dir!“

So begann Christus mit Salbung und entfernte sich gravitätisch durch die Hinterthür des Saales. Petrus ging mit großen Schritten auf und ab und sprach mit einem tiefen Seufzer: „Ach, wenn nur der Hahn schon krähte, aber er kräht noch nicht!“ Dann blieb er stehen, legte die Hand auf die Brust und seufzte abermals: „Ach, wenn nur der Hahn schon krähte, aber er kräht noch nicht!“ Hierauf ging er wieder ein paar Schritte auf und ab und replicirte: „Ach, wenn nur der Hahn schon krähte, aber er kräht noch nicht!“

Das Publicum hörte andächtig und mit wahrhaft deutscher Geduld eine ganze Viertelstunde nichts als: „Ach, wenn nur der Hahn schon krähte, aber er kräht noch nicht!“, aber dann fing es an, ein wenig ungeduldig zu werden. Auch Petrus begann, sich etwas unbehaglich zu fühlen, und recitirte ziemlich kleinlaut: „Ach, wenn nur der Hahn schon krähte, aber er kräht noch nicht!“

„Weiter, weiter im Text!“ rief endlich der Amtmann erbost auf seinem Ehrensitze. „Sollen wir denn nichts Anderes hören für unser Geld?“

Da sagte Petrus mit kläglicher Stimme, indem er den Bart abnahm und sich mit demselben den Angstschweiß von der Stirn wischte: „Ach, Herr Amtmann, wenn nur der Hahn schon krähte, aber er kräht noch nicht!“

„A – a – der Michel!“ schrie das ganze Publicum unisono und stürzte auf die Bühne, denn es fing an, Lunte zu riechen. Aber man fand Niemanden, als Petrus – Christus hatte sich mit der vollen Casse aus dem Staube gemacht.

Die betrogenen Bauern fielen über den Michel her und zerbläuten ihm auf gut Pommerisch den Rücken, – doch Petrus fiel nicht aus der Rolle und heulte jämmerlich unter den Stockstreichen: „Ach, wenn nur der Hahn schon krähte, aber er kräht noch nicht!“




Werther’s „Wahlheim“ eine Brandstätte. Wer hätte nicht in den heißen Tagen seiner jugendlichen Gefühlsstürme einmal mit geschwärmt mit Goethe’s Werther und ihn in „sein liebes Thal“ begleitet, nach seinem „Wahlheim“, wo er sein höchstes Glück fand, an dessen Ende die gefährlichste aller Verherrlichungen des Selbstmords einst die junge Welt erschütterte? Jedermann weiß, daß Goethe mit dem Namen „Wahlheim“ das Dorf Garbenheim bezeichnete, wo nicht blos er, sondern Tausende unvergeßliche Freudenstunden der Familie und der Freundschaft genossen, die nach ihm in der alten Reichskammergerichtsstadt wohnten. Nur eine halbe Stunde von Wetzlar entfernt, war dieser durch unsern größten Dichter mit poetischer Weihe beschenkte Ort eine von den Verehrern deutscher Geistesherrlichkeit vielbesuchte Stätte.

Und heute liegt dort Alles, was einst Goethe’s Auge und Herz so oft erhoben und erfreut hatte, in Schutt und Asche, das freundliche Garbenheim ist am 17. October ein Raub der Flammen geworden. Selbst die Kirche streckt nur noch ihr hohles Gemäuer zum Himmel, und auch das Haus, in welchem einst Goethe alle Lust und alles Leid seines Werther gelebt, ist verschwunden.

Härter aber, als die Goetheverehrer, trifft die armen Nachkommen Derer, in deren Mitte der aufblühende Dichter sich einst so wohl und heimisch gefühlt, die Folge des verheerenden Brandes. Die Gemeinde war vom jüngsten Kriege schwer heimgesucht worden und trug auch noch für die Pflege von Kranken und Verwundeten nicht unbedeutende Lasten; da, als kaum der heimgebrachte Erntesegen den Lebensmuth erneut und die Sorgen vor der nächsten Zukunft gemildert, – bricht über fast hundert Familien auf einmal der Jammer gänzlicher Verarmung herein, stehen Mann und Weib, Greis und Kind obdachlos hart vor dem offenen Thore des Winters!

Das gute deutsche Herz hat im Wohlthun viel geleistet in diesem Jahr, aber sicherlich noch nicht so viel, daß es sich für erschöpft erklärt vor diesem neuen Hülferuf. Wer’s kann, der sammle an seinem Ort und sende die Gaben, die auch in Nahrungsmitteln und Kleidungsstücken bestehen dürfen, an den Herrn Bürgermeister Waldschmidt in Wetzlar.




Aus Miss Braddon’s literarischer Laufbahn. Ein seltenes Beispiel von unerschöpflicher Phantasie und Gewandtheit der Feder bietet uns folgendes Geschichtchen aus Miß Braddon’s, der bekannten englischen Schriftstellerin, Leben. Der Roman „Lady Audley’s Geheimniß“ legte den Grund zu ihrem literarischen Ruf; er wurde nicht nur dramatisirt, sondern auch in alle lebenden Sprachen übersetzt, und doch wäre die Veröffentlichung dieses Romans beinahe an einem Mißgeschick gescheitert. Man wird fragen: wie so? Der Verleger hatte festgesetzt und angezeigt, daß das Buch in drei Bänden erscheinen solle, das Manuscript wurde auch mit der größten Pünktlichkeit geliefert, aber als Alles gedruckt war, hatte es blos zwei Bände und zehn Seiten gegeben. Was nun thun? Und die Geschichte war zu Ende! Man wußte sich keinen Rath, sondern eilte schleunigst zu Miß Braddon, ihr die Hiobspost zu überbringen. Sie schwieg eine Weile nachdenklich, dann sagte sie:

„Wie viel Zeit können Sie mir geben, um die leeren dreihundertundsechszig Seiten auszufüllen?“

„Acht Tage höchstens.“

„Gut, Sie sollen das Manuscript zur rechten Zeit haben.“

Und vier Tage darauf war Alles in den Händen des Verlegers; Miß Braddon hatte die schon beendigte Geschichte so fortgesetzt, daß Niemand das Anflicken ahnen konnte, und doch mußte sie von der letzten Zeile des Vorhergehenden aus fortfahren, ohne ein einziges Wort darin ändern zu können. Eine solche Gewandtheit und Schnelligkeit des Arbeitens verdient gewiß Anerkennung – ob aber Nachahmung?




Kleiner Briefkasten.


R. K. in Berlin. Als schönste Erinnerung an Prag, das Ihnen auf Ihren Kriegszügen so lieb geworden, können wir Ihnen das so eben bei Lehmann dort erschienene ganz vortreffliche „Panorama von Prag“ empfehlen. Die Stadt ist vom höchsten Standpunkt aus aufgenommen, der das majestätische Bild in seiner ganzen Schönheit und Größe zeigt. Der Preis von einem Thaler für den siebenunddreißig Zoll langen, künstlerisch schön ausgeführten Stahlstich ist sehr billig.

Dr. W. K. in Berlin. Der Arzt, den G. Hirth in seinen „Selbstbekenntnissen eines Schwerverwundeten“ (Nr. 43) als den Retter seines Lebens bezeichnet, ist der Generalstabsarzt der ehemaligen hannoverschen Armee, Dr. L. Stromeyer, Verfasser der bekannten „Maximen der Kriegsheilkunst“.

Frau St. in W. Arbeiten ist leben und leben ist arbeiten. Auf diesen obersten volkswirthschaftlichen Grundsatz sind Ihre Bemühungen für den Arbeitsunterricht in Mädchenschulen sehr wohl begründet. Eine Lehrerin empfiehlt als bestes und billigstes Hülfsmittel zu Ihren Zwecken: Minna Korn’s Häkelbuch mit Mustern; kürzlich neu in Leipzig erschienen.




Ein Buch für Jedermann.
15 Bogen für 5 Sgr.
Volks-Gesundheits-Lehrer.
Zum Kennenlernen, Gesunderhalten und Gesundmachen des Menschen.
Von Dr. Carl Bock,
Professor in Leipzig.
Preis 5 Sgr.

Es ist dieser Helfer in der Noth in noch populärerer Form die Quintessenz des classischen Bock’schen „Buches vom gesunden und kranken Menschen“, welche hier zu einem so fabelhaft billigen Preise geboten wird, daß das Buch rasch Eigenthum des ganzen Volkes geworden ist, für das es Verfasser und Verleger ohne Rücksicht auf pecuniäres Interesse bestimmt haben. Binnen zehn Monaten wurden 60,000 Exemplare abgesetzt.

Verlagsbuchhandlung von Ernst Keil in Leipzig.

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_728.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)