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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Der alte Narr, der Bäckermeister, hätte auch ’was Gescheidteres thun können als Dich da hinauf zu hetzen; aber ich habe ihm meine Meinung schon gesagt. Und der Registrator war gleichfalls dabei und hat’s gelitten?“

„Er konnt’ es nicht hindern.“

„Und weshalb haben sie mich nicht geweckt?“ rief der Alte, „ich hätt’s gehindert, das sei versichert.“

„Du schliefst schon so lange, Vater,“ sagte das junge Mädchen und sah ihn dabei wieder mit ihrem stechenden Blick an, „daß sie Dich gewiß nicht stören wollten.“

Paul Jochus blickte eine Weile vor sich nieder, er wollte noch etwas sagen, das war gewiß, aber er brachte es nicht über die Lippen, und sich plötzlich auf seinen Hacken herumdrehend, verließ er das Zimmer und warf die Thür in’s Schloß, daß die Scheiben klirrten.

Rosel kam den ganzen Tag über nicht in die Wirthsstube, so oft die Gäste auch nach ihr frugen, und der Vater ließ sie auch still gewähren; es war ihm selber recht, daß sie dem neugierigen Volk keine Rede stand. Er selber aber war desto geschäftiger heute in dem Raum, in dem er sich sonst nur dann und wann blicken ließ, und bediente seine Gäste auf das Sorgsamste. Ueber Mittag war die Stube ziemlich leer geworden und Paul Jochus hatte eben seine Mahlzeit an einem der Tische allein verzehrt und seinen Schoppen Wein dazu getrunken, als Bruno von der Haide in’s Zimmer trat und, auf den Wirth zugehend, ihn um eine kurze Unterredung unter vier Augen bat.

„Mein lieber Herr Von,“ sagte Jochus finster, ohne von seinem Platz aufzustehen, „ich glaube, wir können uns Beide die Mühe sparen, denn ich weiß wahrscheinlich schon, was Ihr Begehr ist.“

„Möglich, Herr Jochus,“ sagte der junge Mann ernst, „aber doch vielleicht nicht ganz. Es hat sich nämlich so viel in meinen Verhältnissen geändert, daß eine Verständigung dringend geboten ist; ich bitte Sie nur um wenige Minuten Gehör und die Entscheidung ist dann immer noch in Ihre Hand gegeben.“

Jochus schüttelte den Kopf. Es lag ihm indessen selbst daran, den ihm lästig werdenden Bewerber abzufertigen, was er hier, in offener Wirthsstube, nicht gut thun konnte; darum stand er auf, trank den Rest seines Weines aus und sagte:

„Na, so kommen Sie meinetwegen. Da drüben in der Stube sind wir ungestört, aber ich muß Sie von vorn herein bitten, es kurz zu machen. Sie sollen dann auch nicht lange auf meine Antwort zu warten brauchen.“

Damit ging er, von dem jungen Mann gefolgt, hinüber in die „gute Stube“ und Bruno theilte ihm hier mit wenigen Worten nicht allein die Aussicht auf das bald zu erlangende Vermögen mit, wozu der alte Jochus ungläubig lächelnd den Kopf schüttelte, sondern auch seine gestern erhaltene Bestätigung als wirklicher Actuar beim hiesigen Criminalgericht, ein Posten, der allerdings noch immer wenig genug Gehalt einbrachte, doch eine sichere Staatscarrière in Aussicht stellte und dabei genügte, mit mäßigen Ansprüchen eine Frau zu ernähren.

Das spöttische Lächeln hatte sich aus dem Gesicht des Wirths verloren, als ihm der junge Mann den Beruf nannte, dem er von jetzt ab angehören würde, und er sagte, freundlicher, als er bis dahin noch je mit ihm gesprochen:

„Ei, sieh’ einmal an, Actuar beim Criminalgericht, also doch eine feste Stellung und nicht mehr das ewige Herumvagabundiren – und die Rosel ist Ihnen wirklich gut?“

Bruno seufzte recht aus vollem Herzen auf und sagte scheu:

„Bis gestern Abend noch war ich von ihrer innigen Liebe überzeugt, und glücklich in dem Gedanken, heute Morgen aber –“

„Heute Morgen? Wo haben Sie denn das Mädel heute Morgen schon gesprochen?“

„Sein Sie mir nicht böse, Herr Jochus, und auch der Rosel nicht, daß wir hinter Ihrem Rücken gehandelt, aber ich – ich mußte sie sprechen, ich mußte ihr sagen, was mir auf dem Herzen lag, und da – haben wir uns heute Morgen, um neun Uhr, es war schon heller lichter Tag und viele Menschen auf der Straße – am alten Burgweg gefunden.“

„Am alten Burgweg – so?“ sagte der Wirth, „und was meinte die Rosel da?“

„Sie war ganz verändert; sie sah todtenbleich aus und die Augen lagen ihr tief in den Höhlen.“

„Sie wissen, was das tolle Mädchen die Nacht für einen Streich gespielt hat?“

„Ich weiß es, jetzt wenigstens, heute Morgen noch nicht, oder ich würde sie darum gefragt haben, doch das kann sie nicht so aufgeregt haben, sie hätte mir es sonst gewiß gestanden.“

„Und was sagte sie weiter?“ frug der Wirth, aufmerksam werdend.

„Daß sie mir nicht mehr angehören könne und daß wir uns auf Nimmerwiedersehen trennen müssen.“

„Hm, und hatten Sie ihr vorher von Ihrer festen Anstellung gesagt?“

„Alles, aber ich konnte mir ihr sonderbares Benehmen nicht erklären, sie erschrak vielmehr darüber, als daß sie sich gefreut hätte.“

„Sie erschrak?“

„Ich kann mich getäuscht haben, jedenfalls befand sie sich in einer fürchterlichen Aufregung und versicherte mir dabei unter heißen Thränen, daß sie mir die Ursache ihres Betragens nicht erklären könne und dürfe.“

„Nicht dürfe – hm,“ brummte Jochus, „das ist allerdings wunderbar, und gestern Abend sagte sie nichts davon?“

„Keine Silbe, sie war ganz Liebe und Vertrauen und tröstete mich selber auf die Zukunft, der wir fröhlich entgegenharren müßten.“

Der Wirth ging zur Thür, öffnete sie halb und rief nach Bärbel, der er den Auftrag gab, Rosel herunter zu schicken, der Herr von Haide sei da. Indessen stand Bruno am Fenster und starrte hinaus, während der Wirth mit untergeschlagenen Armen im Zimmer auf und ab ging. Jedoch das Mädel kam nicht wieder und den Beiden wurde die Zeit lang. Endlich, als der Wirth schon noch einmal nach ihr rufen wollte, steckte die Bärbel den Kopf in die Thür und sagte: „Sie will nicht,“ drückte sie dann in’s Schloß und ging wieder an ihre Arbeit.

„Sie will nicht?“ wiederholte Paul Jochus erstaunt und blieb mitten in der Stube stehen.

Bruno hatte sich rasch umgeblickt, als sich die Thür öffnete; jetzt seufzte er aus tiefster Brust und flüsterte:

„Ich habe es fast gedacht – Gott nur weiß, was sie plötzlich gegen mich eingenommen haben kann – ich begreife es nicht.“

„Und hat sie Ihnen gar keinen Grund angegeben?“ frug der Wirth plötzlich und blieb vor dem jungen Mann stehen, „besinnen Sie sich einmal, gar keinen Wink nach irgend einer Richtung?“

„Keinen,“ sagte dieser kopfschüttelnd, „keinen wenigstens, den ich verstanden habe oder verstehen konnte, denn ihre Worte klangen dunkel und unheimlich; sie könnte und dürfte mir nicht mehr sagen, als daß wir scheiden müssen – scheiden für immer – das war Alles.“

„Hm,“ brummte Jochus, dessen Gesicht eine düstere Färbung angenommen hatte, mit festzusammengezogenen Brauen, „weiß der Henker, was dem Mädchen durch den Kopf gefahren sein kann, denn eigenwillig ist sie, wie der helle Teufel, und man hat oft seine liebe Noth mit ihr. Aber lassen Sie mich mit ihr reden, Herr von Haide – und ich denke, wenn Sie die Anstellung bekommen – wir wollen einmal sehen, es macht sich ja doch vielleicht noch Alles, und das Mädel vergißt vielleicht bis dahin auch die Grillen.“

„Wenn wir sie nur jetzt bewegen könnten, mich noch einmal anzuhören!“

„Jetzt ist nichts zu machen,“ sagte Jochus kopfschüttelnd, „erst muß ich selber noch einmal mit ihr sprechen. Sie kommen dann vielleicht einmal wieder vor oder ich schicke auch zu Ihnen hinüber.“

„Sollte es nicht am Ende doch mit ihrem nächtlichen Gang in Verbindung stehen?“ warf Bruno ein; „ich würde mir gar nichts weiter darüber gedacht haben, aber –“

„Ach was,“ lachte der Alte, doch das Lachen klang etwas erzwungen, „sie ist ja keiner Menschenseele unterwegs begegnet, na, und daß ihr kein Gespenst erschienen ist, ich dächte, darüber brauchten wir Zwei uns nicht zu beunruhigen. Ein dummer Streich war’s immer, und ich habe ihr auch schon tüchtig den Text darüber gelesen, denn für ein junges Mädel paßt es sich nicht, auf solche Art zu prahlen und bei Nacht und Nebel in der Welt herumzulaufen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_731.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)