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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Sie hatten sie geneckt,“ sagte der junge Mann, „und bei ihrem Ehrgefühl gepackt; sonst hätte sie’s auch sicher nicht gethan.“

„Nun, es ist jetzt vorbei,“ sagte der Vater, „und nicht mehr zu ändern, geschieht aber hoffentlich nicht wieder.“

„Und Sie wollen mit ihr reden, Herr Jochus?“

„Ich habe es Ihnen versprochen, heute noch, oder wenn es heute nicht gehen sollte, spätestens morgen früh. Wir wollen sehen, was sich thun läßt, ein merkwürdiges Mädel ist’s freilich, mein lieber Herr Actuar, und einen Trotzkopf hat sie, wie keine Zweite.“

„Aber die Rosel ist so gut, so brav!“

„Das ist sie, ja,“ sagte Jochus und sah vor sich auf den Boden nieder, „gerade wie ihre selige Mutter, deren ganzen Charakter sie auch geerbt hat; arme Clara, wenn sie leben geblieben wäre!“

„Ich gehe jetzt, Herr Jochus,“ brach der junge Mann ab, „und überlasse Ihnen das Weitere. Wenn Sie mir aber erlauben, frage ich morgen Abend, falls ich zurück sein sollte, wieder bei Ihnen an, denn ich muß heute noch nach Hellenhof auf das Obergericht und weiß nicht, ob ich bis dahin wieder hier zurück sein kann.“

Der Wirth antwortete ihm nicht; er nickte nur, ganz in seine Gedanken vertieft, leise vor sich hin, ja, er bemerkte kaum, wie der junge Mann das Zimmer und das Haus verließ.


5. Vater und Tochter.

Rosel hielt sich den ganzen Tag auf ihrem Zimmer. Sie sei nicht recht wohl, ließ sie dem Vater sagen, der später noch einmal Bärbel zu ihr hinaufschickte. Gegen Abend kam ein Arbeiter und brachte die beiden großen Orangenstöcke vom Bäckermeister Bollharz. Rosel nahm aber die Stöcke nicht an; sie wollte sie nicht haben und beauftragte den Mann, der sie brachte, sie hinüber zum Registrator zu fahren, der auch ein großer Blumenfreund war. Er sollte nur eine Empfehlung von ihr ausrichten, sie bäte ihn, die Stöcke, ihr zum Andenken, zu behalten.

Paul Jochus hatte indessen keine Ruhe unten im Haus. Bald saß er, ganz gegen seine Gewohnheit, in der Wirthsstube hinter einem Schoppen Wein, bald lief er hinaus zu seiner Kelter, um nach der Arbeit zu sehen. Einmal war er auch sogar schon auf dem Wege nach Hellenhof gewesen, aber wieder umgekehrt, denn das eigenthümliche Benehmen des Mädchens ging ihm im Kopf herum, und er mußte mit ihr sprechen, um endlich zu erfahren, was es eigentlich bedeute.

Hätte er ein gutes Gewissen gehabt, so würde es ihn wohl wenig gekümmert haben, denn er ließ ja sonst Rosel immer ziemlich unbekümmert ihren eigenen Weg gehen, aber so quälten ihn tolle und, wie er sich immer noch einreden wollte, unmögliche Vermuthungen, quälte ihn ein unbestimmter Verdacht, und über den mußte er mit ihr in’s Reine kommen, denn die Gewißheit war immer noch besser als dieser drückende Zweifel, der ihn nicht mehr ruhen und rasten ließ.

Entschlossen kehrte er nach Hause zurück und stieg ohne Weiteres zu Rosel’s Zimmer hinauf, an das er klopfte.

„Wer ist da?“

„Ich bin’s, Rosel, ich muß ein Wort mit Dir sprechen.“

„Mir ist nicht recht wohl, Vater; der Kopf brennt mir so.“

„Ich geh’ gleich wieder fort, aber ich muß Dir etwas sagen.“

Einen Moment war Alles ruhig darin, dann wurde der Riegel zurückgeschoben, und Rosel stand, ihren Vater erwartend, mitten in der Stube.

Sie war völlig angekleidet, hatte auch nicht auf dem Bett gelegen, was vollständig unberührt in dem kleinen Alkoven stand, aber sie sah leichenblaß aus, und die Augen waren ihr noch vom vielen Weinen roth.

Der Vater streckte ihr die Hand entgegen, die sie zögernd nahm, und sagte dann mit weit mehr Herzlichkeit im Ton, als er lange zu ihr gesprochen:

„Was fehlt Dir, Kind? Wenn Du krank bist, weshalb schließt Du Dich ein und lässest nicht Jemanden zu Dir, der Dich pflegen kann?“

„Ich bin nicht krank, Vater.“

„Aber Du sagtest selber, daß Du Kopfschmerzen hättest, und siehst recht blaß und leidend aus. Vielleicht steckt Dir etwas Anderes in den Gliedern, und ich will lieber nach Doctor Bauer hinüberschicken, damit der einmal nachsieht.“

„Nein, Vater,“ sagte das junge Mädchen bestimmt, „das ist nicht nöthig, der Doctor kann mir nicht helfen.“

„Der Doctor kann Dir nicht helfen? – und wer sonst?“

Das Mädchen schwieg und sah scheu vor sich auf den Boden nieder, endlich sagte es so leise, daß die Worte kaum zu dem Ohr des Vaters drangen:

„Kein Mensch kann mir helfen, Vater.“

„Hm! das ist eigenthümlich,“ brummte der Wirth, der nicht recht wußte, was er darauf erwidern sollte. Er nahm seinen Hut ab, den er bis jetzt noch aufbehalten, und stellte ihn auf den Tisch, „kein Mensch kann Dir helfen? das wär’ ja – das wär’ ja was recht Curioses, wenn Einem etwas fehlte, ohne daß man sterbenskrank ist, wobei einem kein Mensch helfen könnte. Darf ich’s denn erfahren, oder weißt Du’s am Ende selber nicht, Rosel, und hast Dir vielleicht irgend eine tolle Schrulle in den Kopf gesetzt?“

Das Mädchen schwieg wieder; es war augenscheinlich, daß sie im Innern mit sich rang, und mit der rechten Hand hielt sie ihr Herz, als ob es ihr weh thäte.

„Ich will Dir was sagen, Rosel,“ fuhr der Vater, dem das Schweigen peinlich wurde, fort, „daß Du den Weg gestern Nacht gemacht, war ein dummer Streich. Du hast Dich dabei erkältet, aus der heißen Stube in die kalte Nachtluft mit Deinem dünnen Kleid und dann nachher noch die Aufregung dazu, dort hinein in das alte, öde Gemäuer zu gehen, von dem so viel Mordgeschichten erzählt werden, das Alles mußte Dich angreifen und das Gescheidteste wäre gewesen, Du hättest Dich gleich zu Bett gelegt und warm zugedeckt und lieber den Tag darin ausgehalten. Aber was ich Dir sagen wollte, heute Mittag war – war der junge Herr Von bei mir, Du weißt schon. Weshalb bist Du nicht herunter gekommen, als ich Dich rufen ließ?“

„Weil ich schon Abschied von ihm genommen habe, Vater,“ sagte leise die Tochter.

„Du hast Abschied von ihm genommen?“ frug der Wirth erstaunt, „aber um Gotteswillen, weshalb denn? Da mag ein Anderer aus dem Mädel klug werden! Gestern Abend noch wart Ihr ein Herz und eine Seele, und heute Morgen –“

„Dazwischen lag die Nacht, Vater!“

„Die Nacht? und was hat er da gethan? Bist Du ihm draußen auf Deinem Wege begegnet?“ frug der Wirth rasch.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Frauen-Universität.


Nach der Stellung der Frauen im häuslichen und öffentlichen Leben schätzt man am richtigsten den geistigen und sittlichen Bildungsgrad eines Volkes. Nicht die wenn auch noch so hohe Entwickelung der männlichen Kraft allein, sondern das harmonische Zusammengehen und gegenseitige Beleben und Erheben der männlichen und weiblichen Geister führt zur höchsten Bildung und zum reinsten Menschenglück. Es ist kein geringes Zeichen für den ursprünglichen sittlichen Gehalt des Germanenthums, daß es von je durch die Würdigung der Frauen sich vor allen Nationen der alten und neuen Zeit hervorthat; betrug doch schon bei den Alemanen das Wehrgeld bei dem Mord einer Frau doppelt so viel, als bei einem Mannesmord. Mit der Würdigung muß stets die Bildung des weiblichen Geschlechts gleichen Schritt halten, damit die Frauenverehrung eine wohlbegründete bleibe, nicht zu romantischer Spielerei ausarte. Dies ist vor Allem eine Forderung unserer Zeit, die überall auf der Basis des Rechts neu bauen und auch dem weiblichen Geschlechte „neue Bahnen“ des Berufs auf diesem festen Grunde eröffnen und sichern will. Dazu gehören aber vor Allem neue Bahnen des Unterrichts und die Erziehung zu höherer, als der bisher einzig auf das Haus berechneten Bildung. Wo wir Derlei eröffnet sehen, werden wir unsere Aufmerksamkeit hin wenden müssen, und dies geschieht in nachstehendem Artikel,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_732.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)