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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

er einige Bewaffnete, um sich nach dem Hafen zu begeben und die Ruhe daselbst wieder herzustellen. Um dahin zu gelangen, mußte er jedoch durch das Thomasthor gehen, das unglücklicherweise bereits von den Verschworenen eingenommen worden war, und kaum betrat er dasselbe, als sich die Letzteren in äußerster Wuth auf ihn und seine Begleiter stürzten und ihn und diese ermordeten. Dasselbe Schicksal hätte auch den alten Doria erreicht, wenn Hieronymus Fiesco, ein Bruder des Grafen, den von diesem erhaltenen Auftrag, Doria in seinem Palast zu überfallen und niederzumachen, ausgeführt hätte. Fiesco’s Bruder scheint jedoch im Geheimen gleichfalls selbstsüchtige Absichten gehegt zu haben; ob dieselben zugleich feindselige gegen seinen Bruder oder nur eigennützige gewesen sind, läßt sich schwer ermitteln, eine Thatsache jedoch ist es, daß er den von seinem Bruder erhaltenen Befehl nicht vollzog, mit seinen Truppen den Palast Doria’s nicht überfiel und Andreas während dieser Zögerung die Nachricht von der Natur des Aufstandes, dem Tode seines Neffen und der ihm selbst drohenden Gefahr erhielt und zugleich so viel Zeit gewann, sich auf ein Pferd zu werfen und so sich durch die Flucht zu retten.

Dadurch daß Hieronymus den von seinem Bruder erhaltenen Befehl nicht vollzog, sollte der so bedächtig vorbereitete Aufstand wirkungslos werden, und es ist in der That schwer zu begreifen, warum sich Schiller ein so bedeutsames Moment für den Ausgang seines Drama’s hat entgehen lassen können, da dasselbe dem Schauspiel eine viel tiefere Wirkung hätte verleihen müssen und er, treu der Geschichte, Fiesco’s Unternehmen an dem Verrath von dessen Bruder hätte scheitern lassen.

Die Nachricht von Doria’s Flucht war einigen Senatoren zu Ohren gekommen, und von der Ueberzeugung erfüllt, unter den obwaltenden so höchst gefahrvollen Verhältnissen zur Rettung der Stadt ebenso rasch als entschlossen handeln zu müssen, vereinigten sich erst einige und waren muthig genug, sich in dem Palast der Republik zu versammeln. Hier fand eine Berathung über die zu ergreifenden Mittel gegen den Aufstand statt. Man machte den Vorschlag, auf die Straße zu eilen und die zerstreuten Soldaten zu sammeln, mit welchen man alsdann die Verschwörer angreifen wollte. Der Vorschlag wurde angenommen, und es gelang in der That, eine nicht unbedeutende Anzahl Truppen zu sammeln, mit welchen man bald darauf einen sich ihnen entgegenstellenden Haufen Verschworener angriff.

Sie wurden jedoch mit nicht unbedeutendem Verlust zurückgeschlagen und glaubten nun nichts Besseres thun zu können, als sich mit einer so mächtigen Partei, der sie nicht zu widerstehen vermochten, zu verbinden. Man kam also überein, Einige aus ihrer Mitte an Fiesco abzusenden, um zu vernehmen, unter welchen Bedingungen er ihre Unterwerfung anzunehmen für gut finden würde.

Während dieser Vorgänge, die dem Unternehmen Fiesco’s einen glücklichen Ausgang verhießen, hatte Letzterer sich mit Hülfe seiner Truppen der Galeeren Doria’s bemächtigt. Nach diesem so wichtigen Erfolge erachtete er es für zweckmäßig, seinen Freunden in der Stadt mit seinen Truppen rasch zu Hülfe zu eilen, um den Aufstand zu beenden und seine Macht zu befestigen. Schon hatte er den Befehl zum Abmarsch gegeben, als am Bord der Admirals-Galeere ein lautes Getümmel entstand; Fiesco, darüber bestürzt und in der Besorgniß, die Galeerensclaven hätten sich befreit und die Besatzung auf den Schiffen angegriffen, eilte wieder zurück, um sich nach den Schiffen zu begeben. Und hier ereilte ihn die Nemesis. Das Bret, welches von dem Ufer aus auf das Schiff gelegt worden war, schlug, als er allen Andern voraus und nur von Verrina gefolgt hastig darüber forteilen wollte, um. Von seiner schweren Rüstung niedergezogen, sank er tief in die Wellen und war so rettungslos verloren. Verrina, der nur allein das schreckliche Ende seines von ihm bewunderten Freundes, an dessen Dasein sich alle seine Hoffnungen für die Zukunft knüpften, mit Entsetzen wahrgenommen hatte, ohne daß er zur Rettung desselben auch nur das Geringste hätte thun können, behielt Besinnung genug, die bedeutsamen Folgen zu erkennen, welche aus dem Bekanntwerden von Fiesco’s Tode für das Unternehmen hervorgehen mußten, und theilte daher nur einigen seiner Freunde das Geschehene mit, indem er ihnen zugleich anempfahl, gegen Jedermann darüber zu schweigen, bis der Aufstand zu Ende geführt, eine Einigung mit den Senatoren zu Stande gekommen wäre und sie die Macht in Händen hätten.

So wichtig und den Umständen angemessen diese Maßregel auch war, sollte dieselbe jedoch wiederum an dem verrätherischen Benehmen von Fiesco’s Bruder, Hieronymus, scheitern. Der Letztere war nämlich zu Verrina und den übrigen Anführern mit einer Truppenabtheilung gestoßen, nachdem er die Flucht des alten Doria, den Tod Gianettino’s erfahren und den Dogenpalast hatte besetzen lassen, und es wurde ihm im Vertrauen der Tod seines Bruders mitgetheilt und das strengste Schweigen darüber empfohlen; aber statt durch das unglückliche Ende seines Bruders niedergeschlagen zu werden, wurde dadurch vielmehr seine Selbstsucht und Eitelkeit geweckt. Der Gedanke erwachte in ihm, sich statt seines Bruders die Gewalt in Genua anzueignen. Niemand von den Verschworenen ahnte seine geheimen Absichten.

Endlich erschienen die Senatoren und fragten nach Fiesco, den sie zu sprechen wünschten, und Verrina war eben im Begriff denselben mitzutheilen, daß sich Fiesco noch auf den Schiffen befände und ihm den Auftrag ertheilt habe, mit ihnen in seinem Namen zu unterhandeln, als Hieronymus, zum großen Erstaunen aller Anwesenden, vortrat und statt seiner mit kindischer Eitelkeit antwortete: „Ich bin jetzt die einzige Person, der der Titel eines Grafen von Lavagna gebührt, und mit mir allein haben die Senatoren zu unterhandeln.“ Diese wurden dadurch auf das Höchste überrascht, allein sie erriethen, was vorgefallen sein mußte, und erkannten den großen Vortheil, den ihnen der Tod des so mächtigen und verehrten Anführers gewähren mußte. Statt daher ihre Unterwerfung anzuzeigen, änderten sie ihre Sprache und machten bedeutende Forderungen, und zwar lediglich in der Absicht, durch die hingezogenen Verhandlungen Zeit zu gewinnen, damit ihre Anhänger so viele Truppen zusammen bringen konnten, um den Palast der Republik zu vertheidigen und den Aufstand wirkungslos zu machen.

Dieses Verhalten sollte mit Erfolg gekrönt werden und zugleich den Aufstand gänzlich scheitern lassen. Die Verschworenen nämlich, durch den Tod ihres angebeteten Anführers betäubt und entmuthigt, verzweifelten an dem guten Ausgang des Unternehmens und waren um ihr eigenes Wohl bedacht, das, behielten die Senatoren die Macht, sehr gefährdet war. Ueberdies hatten sie kein Vertrauen zu Hieronymus, der sich als ein unbesonnener Jüngling gezeigt hatte und seinen Bruder nicht zu ersetzen befähigt war. Auch war die Verschwörung, wie wir erfahren haben, so außerordentlich geheimnißvoll betrieben worden, daß der größere Theil der Genuesen erst jetzt damit bekannt wurde und für die Theilnahme also nicht genugsam vorbereitet war. Der Mann, dem sie ihr Vertrauen geschenkt hätten, war dahin, und diejenigen, welche ihm gefolgt waren, kannten wiederum die Mitverschworenen nicht und ebensowenig Fiesco’s eigentliche Pläne.

Unter den darin Eingeweihten befand sich überdies kein einziger Mann, der durch sein Ansehen und seine Klugheit einen Anspruch auf Fiesco’s beabsichtigte Stellung hätte machen können; die Seele also, welche die Verschworenen belebt hatte, fehlte, und so entsank ihnen der Muth, das Unternehmen fortzuführen. Die feigsten der Verschworenen schlichen sich im Schutz der Dunkelheit nach ihren Häusern und hofften auf diese Weise unbekannt zu bleiben, während sich Andere durch eine zeitige Flucht vor der ihnen drohenden Strafe zu retten bemüht waren. Als der Tag anbrach, war von den Verschworenen keine Spur mehr in Genua. Die Stadt war und blieb auch am folgenden Tage ruhig; keiner der so kühnen Aufrührer ließ sich blicken, und nur einige Merkmale von Gewaltthätigkeiten verriethen den Aufstand der vergangenen Nacht. Während dieser Vorgänge hatten die Anhänger Doria’s diesem Nachricht von dem Ausgange des Aufstandes gegeben und ihn zugleich dringend ersucht, schleunigst nach Genua zurückzukehren, um die Ruhe und seine eigene Macht daselbst wiederherzustellen.

Doria hatte in der Nähe Genua’s eine Zufluchtsstätte gefunden, und von der Liebe zu seinem Vaterlande erfüllt, war er sogleich entschlossen, dem Verlangen seiner Freunde nachzugeben. Der etwa in Genua’s Mauern auf ihn lauernden Gefahren nicht achtend, kehrte er gegen Abend wieder nach der Stadt zurück, von den Genuesen mit lautem Jubel empfangen. Niemand dachte daran, ihn seiner Würde zu berauben oder eine Aenderung der Regierungsform oder Gewalt zu verlangen; mit seiner Rückkehr war auch Genua’s Friede zurückgekehrt.

Bald darauf begannen die Untersuchungen gegen die Theilnehmer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_736.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)