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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Bürgermeister ihre lange Amtswaffe mit dröhnendem Schalle dreimal kurz hintereinander zu Boden fallen ließen? Sie sind verschwunden und an ihre Stelle blaue Schutzleute getreten. Einer derselben führt mich die mit reich verschnörkeltem Geländer versehene steinerne Kaiserstiege hinauf und übergiebt mich an der Thür des Kaisersaals den Händen eines jungen Mädchens, welches als Tochter des Portiers die Fremdenführerin macht.

Der Kaisersaal, in welchem nach der Wahl des neuen Reichsoberhauptes das Krönungsmahl gehalten wurde, ist mit seinen Kaiserbildern so vielfach beschrieben worden, ebenso wie Ceremonien und Festlichkeiten der Wahl selbst – meisterhaft die letzteren bekanntlich von Goethe – daß ich mit einer neuen Schilderung nicht Eulen nach Athen tragen will. Vom Balcon des Römers zeigte sich der Kaiser nach dem Mahle dem draußen auf dem Römerberge zechenden, schmausenden, jubelnden Volke; von hier aus nahm er einige Tage später von Rath und Bürgerschaft den Eid der Treue entgegen.

Von diesem selben Balcon proclamirte am 8. October d. J. der preußische Civil-Gouverneur Freiherr von Patow die Einverleibung der freien Stadt Frankfurt nebst Gebiet in die preußische Monarchie. – „In diesem altehrwürdigen Kaisersaale,“ sagte meine Führerin plötzlich, „haben preußische Soldaten und Officiere ihre Pfeifen und Cigarren geraucht. Ich bin keine Frankfurterin,“ fuhr sie fort, „aber diese Rücksichtslosigkeit hat mich doch beleidigt.“

Nach diesen Worten öffnete sie eine kunstvoll gearbeitete Thür aus Eichenholz und ließ mich in das Wahlzimmer treten; so genannt, weil in demselben ursprünglich die Kurfürsten oder ihre Botschafter die Kaiserwahl vollzogen. Seitdem aber die Kaiserwahl in der im Dome befindlichen Wahlcapelle vorgenommen wurde, diente das Zimmer als Raths- oder Senatsstube. An dem obern Ende eines Tischchens, auf welchem die Gesetzbücher der Stadt liegen, stehen die Lehnstühle der beiden präsidirenden Bürgermeister, zu beiden Seiten die der Secretaire und davor in einem Halbkreise die Sessel der Senatoren. Mit Ausnahme der Tapete und des Deckengemäldes von Colomba zeigt das Zimmer eine echtrepublikanische Einfachheit und Würde. Auf dem Rondel vor den Bürgermeister-Audienzen liest man die altdeutsche Inschrift, welche sich auch im Senatszimmer zu Lübeck vorfindet: „Eyns mans redde, ein halbe redde, man sal sie billich verhören bede.“ Hier leisteten die neuaufgenommenen Bürger den Bürgereid, und hier fand die regelmäßige Wochensitzung des Senats statt. Während derselben hatten draußen vor der Thür die erwähnten Hellebardirer die Wache.

Bis noch vor wenigen Jahren bestand der Senat aus zweiundvierzig Mitgliedern, die sich in drei Bänke, jede zu vierzehn Inhabern, theilten: Schöffen, Senatoren und Rathsverwandte. Letztere mußten dem Stande der Krämer und zünftigen Handwerker angehören, und nicht selten fanden sich unter ihnen Männer, die, wenngleich es ihnen oft an aller Elementarbildung fehlte, sich dennoch durch Lebenserfahrung und gesunden Verstand auszeichneten und auf die Beschlüsse des Senats einen erheblichen und meist segensreichen Einfluß ausübten. Sie erhielten einen Jahrgehalt von eintausend zweihundert Gulden und konnten nicht auf die zweite Bank vorrücken, während die entsprechend höher besoldeten Senatoren (eintausend achthundert Gulden) allmählich auf die Schöffenbank übergingen, deren Inhaber den höchsten Gehalt (zweitausend vierhundert Gulden) bezogen. Aus den Schöffen wurde alljährlich der ältere Bürgermeister, aus den Senatoren der jüngere erwählt. Dieser letztere war zugleich Polizeiherr und wurde von den Dienern im Römer gewöhnlich „der junge Herr“ genannt.

Dem Senate stand zur Seite das Collegium der Einundfünfziger oder der Bürgerausschuß, welcher als ständige Bürgerrepräsentation, namentlich wenn die gesetzgebende Versammlung nicht saß, alle Maßnahmen des Senats überwachte und unter Umständen modificirte.

Die gesetzgebende Versammlung, deren Functionen schon ihr Name bezeichnet und die mit den andern beiden Körperschaften die souveraine Gewalt theilte, zählte fünfundachtzig Deputirte, darunter zwanzig Senatoren und zwanzig Mitglieder des Bürgerausschusses, während die übrigen fünfundvierzig Abgeordneten von der Bürgerschaft erwählt wurden. In den letzten Jahren hatten endlich auch jüdische Bürger Zutritt gefunden.

Während der Jahre 1848 und 1849, als das deutsche Parlament zu Frankfurt tagte, hatte der Senat in seiner Zusammensetzung eine ausgesprochen gothaische und preußenfreundliche Färbung. Beispielsweise begrüßte er die Wahl König Friedrich Wilhelm’s des Vierten zum deutschen Kaiser mit Frohlocken und beeilte sich, auf dies Ereigniß eine Denkmünze schlagen zu lassen. Später änderte sich das und es kamen österreichische und reactionäre Elemente in den Senat, die man die „Schwarzen“ zu nennen pflegte, bis zuletzt die Demokraten und Republikaner die Oberhand gewannen, zumal diese auch im gesetzgebenden Körper den Ausschlag gaben. Seitdem sahen sich die Gothaer immer mehr verdrängt, und um den Einfluß des Bürgerausschusses, in welchem diese Partei eine letzte Zuflucht gefunden hatte, zu lähmen, beeilte sich der Senat, die gesetzgebende Versammlung, deren Majorität er gewonnen, insofern er ihr immer weitere Concessionen machte, so früh wie möglich zu berufen und so lange als möglich tagen zu lassen. Dieser Bund zwischen Senat und gesetzgebender Versammlung hatte aber auch zur Folge, daß man die Bank der Rathsverwandten allmählich aussterben und für sie keine Ersatzwahlen mehr vornehmen ließ, so daß der Senat schließlich statt zweiundvierzig nur noch zwanzig Mitglieder zählte. In dieser Zusammensetzung hat er vor dem Einmarsch der Preußen seine letzten, oft sehr stürmischen und ausgedehnten Sitzungen gehalten, bis ihn das neue Regiment auflöste. In seiner gegenwärtigen Reorganisation besteht er aus zwölf Senatoren und ist nebst den andern beiden Körperschaften, die etwa noch die Befugnisse von Stadtverordneten in preußischen Städten haben, auf administrative Geschäfte beschränkt.

An den Römer knüpft sich auch die Entstehung und Geschichte der Frankfurter Patricier oder sogenannten Geschlechter, welche durch Jahrhunderte die Stadt beherrscht haben; und in der Auflehnung gegen diese Herrschaft haben die ebenso langwierigen, fast ununterbrochenen und oft blutigen Bürgerunruhen ihren Grund. Man darf sich aber, wie dies im übrigen Deutschland zu geschehen pflegt, unter hiesigen Patriciern keineswegs die gegenwärtig durch Amt, Bildung oder Reichthum angesehensten Bürger vorstellen; im Gegentheil gehören die reichsten Handelsherren und selbst viele Adlige nicht zu den Patriciern, und die höchsten Aemter werden meist von Advocaten und andern Juristen bekleidet. Die alten Patricier dagegen, welche sich auf die beiden sogenannten Häuser Limpurg und Frauenstein beschränken, sind bis auf einen Bruchtheil ausgestorben und selbst von diesen leben die meisten nicht in der Stadt, sondern auswärts.

Der Römer, welcher ein verschobenes, von vier Straßen eingeschlossenes Viereck bildet, ist ein Complex von elf zusammenstoßenden Häusern, deren jedes noch heute seinen besondern Namen führt, von welchen für diesen Zweck nur Laderam, der eigentliche Römer, Löwenstein und Frauenstein zu merken sind. Durch ihre Lage in der Mitte und in dem belebtesten Viertel der Stadt boten dieselben seit dem vierzehnten Jahrhundert die Anhaltspunkte des geselligen Verkehrs. In jenen einfachen Zeiten pflegten die Bürger in geschlossener Gesellschaft den Abend fröhlich beim Becher zu verbringen. Diese Gesellschaften kamen – ähnlich denen, die man noch heutzutage in Frankfurt College nennt, und den bekannten Zünften oder Leisten in den Schweizer Städten – nicht in öffentlichen Schenkstuben, sondern in gemietheten Localen zusammen. Sie hatten ihre bestimmten, vom Rathe bestätigten Ordnungen, ihre Vorsteher hießen Stubenmeister, ihre Mitglieder Gesellen, ihre Versammlungsorte Trinkstuben. In den Zeiten bürgerlicher Kämpfe nahmen ihre Zusammenkünfte einen ernstern Charakter an: sie dienten zur Besprechung städtischer Angelegenheiten, zur Aufrechthaltung oder Erweiterung gemeinsamer Corporationsrechte. Solcher Vereine bestanden mehrere; der wichtigste ist der, welcher sich um 1390 auf dem Römer, damals noch einem Privathaus, zu versammeln pflegte und der allmählich die vornehmsten Bürger, viele Schöffen und Rathsverwandte zu seinen Gesellen zählte. Um 1405 kaufte der Rath den Römer und bestimmte ihn zum Rathhause, worauf die Gesellschaft ihre Trinkstube in das benachbarte Haus Alt-Limpurg verlegte und fortan sich nach diesem nannte. Der nächstbedeutende Verein hieß die Gesellschaft Frauenstein, welche in dem gleichnamigen Hause zusammenkam. Zwei andere Gesellschaften hatten ihre Trinkstuben in den Häusern Laderam und Löwenstein, lösten sich jedoch später auf und ihre Mitglieder vertheilten sich in die andern beiden Gesellschaften. Der Rath erwarb allmählich zum Römer auch die übrigen Häuser, nur Alt-Limpurg gehört noch heute der gleichnamigen Gesellschaft,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_740.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)