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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Nicht später als neun,“ sagte Franz, „das Papier ist schon oben und wir können dann gleich beginnen. Also sprich mit der Rosel, sag’ ihr meinetwegen, wir wären zu Kreuz gekrochen und versprächen es nicht wieder zu thun,“ lachte er bitter vor sich hin, „es wär’ auch nur erst ein Versuch gewesen – na, Du wirst’s schon machen.“

Paul Jochus erwiderte nichts; das Gute, was noch in ihm lebte, die Erinnerung an Rosel’s verstorbene Mutter, arbeitete noch in ihm, aber die Gier nach Geld war mächtiger und wich keinem Schatten mehr. Er mußte, wie er sich einredete, das Begonnene nun auch durchführen, und während er ohne Abschied das Haus verließ, legte er sich im Geiste schon die Lüge zurecht, mit der er sein eigenes Kind beschwichtigen wollte – nicht um sie zu beruhigen und ihr den Frieden wiederzugeben, sondern um seine eigenen schlechten Handlungen sicher zu stellen und die Entdeckung von sich abzuwenden.

Wie trübe verbrachte indessen die arme Rosel daheim die Zeit! Wie schwer, wie entsetzlich schwer war ihr das Herz heute, wo Alles gerade hätte so gut sein können, wo endlich ihr heißes Gebet erhört worden, wo der Geliebte eine feste Stellung errungen hatte und sie Beide dem Ziele ihrer Wünsche näher waren! Durfte sie jetzt noch daran denken, ihm jemals anzugehören? – Dazu hätte sich die stolze Familie vielleicht herbeigelassen, dem jungen Mann die Verheirathung mit einem braven, unbescholtenen Bürgermädchen zu gestatten. Aber hätte sie es, die Tochter eines Verbrechers, wagen dürfen, in das ehrbare Haus einzutreten, hätte sie wagen dürfen, sich Bruno’s Mutter an das Herz zu legen und ihr den theueren Namen zu geben, der ihre ganze Seele füllte? – nie! Wie eine Ausgestoßene kam sie sich selber vor, so rein von Schuld sie ihr eigenes Herz auch wußte, aber wenn sie auch nichts weiter gesündigt hatte, so war sie doch die stillschweigende Mitwisserin jener furchtbaren Schuld, die in ihrer Brust vergraben bleiben mußte, denn konnte sie den eigenen Vater – den Bruder in’s Zuchthaus liefern?

So verbrachte sie den Abend und horchte auf jeden Schritt im Hause, ob der Vater noch nicht zurückkehre und wenigstens einen Trost bringe, daß ihre Bitten und Thränen – ja die absichtlich darin versteckte Drohung einer Klage, gefruchtet hätten. Noch war es ja vielleicht möglich, Geschehenes ungeschehen zu machen, wenigstens dem rächenden Gesetz gegenüber, wenn sie es auch nie aus dem eigenen Herzen reißen konnte. Sie wollte auch gern, o wie gern, Alles allein geduldig tragen, und nicht klagen und murren, wenn sie nur den Vater und Bruder vor dem Verderben bewahrt und einem ehrlichen Leben zurückgegeben hatte.

Endlich kam der Vater. Er wollte an ihrem Zimmer vorüber in sein eigenes gehen, aber sie ließ ihn nicht. Wie sie ihn draußen hörte, öffnete sie die Thür und sagte ängstlich:

„Wie ist es, Vater, warst Du drüben bei ihm?“

„Ja, Kind.“

„Und hast Du mit ihm gesprochen? o, komm’ herein und erzähle mir Alles, was er geantwortet hat.“

„’s ist Alles gut, Rosel,“ sagte der Wirth, indem er zu ihr in’s Zimmer trat und sie auf die Stirn küßte – er mochte ihr nicht dabei in’s Auge sehen, „ich hab’ mit ihm geredet, er hat’s eingesehen und wir wollen jetzt unser Möglichstes thun, um Alles, was noch von der Sache übrig ist, aus dem Wege zu schaffen. Noch weiß kein Mensch davon, als Du, und soll auch hoffentlich nie Jemand weiter davon erfahren.“

„Und der Fremde, was wird mit ihm?“ sagte Rosel und richtete sich rasch empor, um ihren Vater anzusehen.

„Er – er hat sich mit Franz gezankt,“ log der Vater, „weil er’s noch nicht aufgeben mochte. Als ihm der Junge aber erklärte, daß er mit der Sache nichts weiter zu thun haben wollte, meint’ er, dann ginge er nach Frankreich hinüber und versucht’s auf eigene Hand.“

„Laß ihn, Vater, o laß ihn gehen,“ bat das Mädchen, „sieh, ich will arbeiten, daß mir das Blut unter den Nägeln vorspritzt. Ich kann arbeiten; ich hab’s von Jugend auf getrieben und nichts Anderes in meiner Jugend gelernt. Und wie gern thu’ ich’s,“ setzte sie mit wehmüthigem Lächeln hinzu, indem sie ihr Haupt an seine Brust lehnte, „wenn es dann nur ehrliches Brod ist, was wir essen. Es wird auch gehen, Vater, habe nur guten Muth; Du bist jetzt so gut, Du trinkst nicht mehr und stehst Deinem Geschäft so ordentlich vor, daß Dich alle Menschen d’rum lieb haben, wir müssen uns vielleicht ein Bischen einschränken, aber was thut das? Die Bärbel brauchen wir auch nicht mehr in der Schenkstube, sie ist ein gutes Mädel, aber doch lässig, und man muß ihr fast die halbe Arbeit noch einmal nachmachen, das kann ich auch allein verrichten, und pass’ einmal auf, Deine Gäste sollen sich gewiß nicht beklagen, daß sie langsam bedient würden.“

„Meine gute Rosel,“ sagte der Vater, denn die kindliche Sorgfalt der Tochter stach ihm wie ein Messer in’s Herz und die Scham vor sich selbst trieb ihm das Blut in die Schläfe, „Du bist ein braves Kind, ganz wie Deine selige Mutter, so gut und fromm.“

„O, denk’ recht oft an die selige Mutter, Vater,“ bat das junge Mädchen, sich fester an ihn schmiegend, „recht, recht oft, Du weißt ja, wie lieb sie Dich und mich gehabt und wie schwer ihr das Sterben wurde, weil sie mich zurücklassen mußte und sich so um mich sorgte; denk’ recht oft an sie! willst Du mir das versprechen, Vater?“

„Ja, Rosel, ich will’s,“ flüsterte der Mann und wandte den Kopf ab, denn er fühlte, daß er jetzt ihren Blick nicht ertragen hätte.

„Dann wird auch noch Alles gut werden,“ lächelte das Mädchen unter Thränen vor, „Alles, Du sollst auch nie[WS 1] von mir eine Klage hören. Das verspreche ich Dir, Vater, und Du weißt, daß ich halte, was ich Dir einmal versprochen.“

„Ich weiß es, Rosel – ich weiß es – Du bist so von klein auf gewesen, wie Deine Mutter selig – aber nun laß auch das Weinen sein, Kind. Leg’ Dich jetzt zu Bett und schlaf ordentlich aus, und zeig’ den Leuten morgen wieder ein freundlich und ruhiges Gesicht. Du glaubst gar nicht, wie sie heute nach Dir gefragt und sich um Dich gesorgt haben. Der alte Registrator war drei Mal da, um Dir für die Orangenstöcke zu danken, und der Stadtschreiber selber ist den Mittag eigens darum heraus gekommen, um sich zu erkundigen, ob Dir der Marsch gestern Abend nicht geschadet hätte.“

„Der gute alte Mann!“ sagte Rosel leise, „ja, Vater – morgen geh’ ich wieder in die Wirthschaft hinunter, und sei versichert, mit recht leichtem, fröhlichem Herzen. Es soll mir Niemand ansehen, wie weh mir heute zu Muthe gewesen ist und was für eine schwere Nacht ich gehabt habe. Und gehst Du auch jetzt schlafen?“

„Nein, ’s ist noch zu früh,“ sagte Jochus, „und ich werde noch ein wenig hinunter sehen, denn Bärbel allein möcht’ ich die Stube nicht überlassen. Also gute Nacht, Rosel; die Thür geht so oft unten, ich glaub’, es sind viel Leute da. Schlaf’ wohl, Kind.“ Und mit den Worten küßte er sie noch einmal auf die Stirn und stieg dann die Treppe hinab.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Unglücksjahr in den Alpen.
Von Berlepsch.


Es war eine schlechte Reise-Saison. Die schwarzbefrackten Sommerkellner mit den glatt gesalbten Haardächern und knarrenden Glanzlederschuhen, diese polyglottischen Papageien, hatten schlechte Gelegenheit für ihre Rolle, mit Lords, Millionenmagnaten und den wirklichen oder eingebildeten höchsten Würdeträgern der Staaten und Stäätlein zu verkehren. Die im amerikanischen Kriege reich gewordenen Speculanten und Lieferanten, welche im verflossenen Sommer massenhafter als je nach Europa herüberkamen und im Vorübergehen einen „Schnauf“ Alpenluft mitnahmen, schützten zwar, während die Karthaunen in Deutschland donnerten, eine Anzahl schweizerischer Reiseorte dürftig vor völligster Verödung; und als das Schwert niedergelegt war und die Truppen heimkehrten, da kam zwar noch ein Herbst-Contingent, – aber der Himmel zog seine Schleußen und ließ das segnende Naß in so unerschöpflicher Freigebigkeit herniederströmen und verschleierte das Gebirge mit seinen unheimlichen Nebelmassen so dicht und anhaltend, daß die wenigen Nachzügler, welche das Hinausweh und die Cholera noch in die Berge getrieben hatte, ihre Koffer bald wieder packten und die Rückkehr antraten.

Und wunderbar! – als ob es prädestinirte Unglücksjahre

  1. Vorlage: Alles, Du selbst auch, nie (korrigiert nach: „Hüben und Drüben“. Neue gesammelte Erzählungen von Friedrich Gerstäcker. Arnoldische Buchhandlung, Leipzig 1868, Zweiter Band, S. 168)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_748.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)