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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Schmerzen unterwühlten Körper ein frischer, sprudelnder, heiterer Geist voller Witz, Ironie, Satire und epigrammatischer Schärfe bis zum letzten Lebenshauche erhalten! Seine Füße waren gelähmt, so wie die Augenlider, aber nicht die Sehkraft.

Er bedurfte stets der größten Pflege. Eine seiner Wärterinnen, eine Mulattin, nahm ihn wie ein Kind auf die Arme und legte ihn vom Bett auf den Divan. Ich war einmal Zeuge, wie er also vom Divan auf das aufgemachte Bett zurückgebracht wurde. „Max,“ sagte er lächelnd zu mir, „wenn Du nach Deutschland kommst, so kannst Du erzählen, wie ich in Paris auf Händen getragen werde.“

Zur selben Zeit fragte ihn sein Arzt: „Wie ist Ihr Geschmack?“ – „Gar keiner,“ antwortete er, „wie der von Herrn Scribe.“ Was Heine so oft von seiner Matratzengruft gesprochen und was noch öfter von den Journalisten und Feuilletonisten mit so vieler Emphase ausgebeutet wurde, darf man in dieser Beziehung ja nicht so buchstäblich nehmen. Sein Krankenzimmer war mit allem Comfort, dessen ein Kranker bedurfte, ausgestattet, die Pflege zweier Dienerinnen vortrefflich, und ein liebevolles, treues Weib, die so schön besungene Mathilde, wußte ebenso gut die kranken Tage des Dichters zu erheitern, wie sie ihm in gesunden Tagen eine lebensfrohe Gattin gewesen ist.

Mathilde Heine, ein echtes Pariser Kind, war überglücklich, wenn sie mit ihrem „Henri“ auf den Boulevards von Paris flaniren, die Theater besuchen und alle möglichen Delicatessen der Restaurants theilen konnte. Mit Recht sang Heinrich von ihr:

„Du bist mein Weib und Kind zugleich.“

Die Klatschpublicistik hat dennoch diese vortreffliche Frau mit Bitterkeiten nicht verschont. Bald soll sie den Genius ihre Mannes nicht begriffen haben, bald soll sie an seinem Krankenbette nicht hingebend, nicht aufopfernd genug gewesen sein. Kein wahres Wort! Sie war ganz Französin, die mit ihrem natürlichen Esprit den Heine’schen Humor vollkommen verstanden hat und, ohne alle Sentimentalität, ein sorgsames, ihren Gatten höchst liebendes, herzliches Weib gewesen ist. Sie waren Beide leider nicht sparsam, verstanden nichts von ökonomischen Berechnungen; denn in diesem Punkte war Mathilde dem großen Dichter allzu ähnlich. Wie konnten da bei den reichlichsten Einkünften die Finanzen blühen, zumal da noch schmeichelnde Emigranten jeder Nation das so gastliche Haus auszunutzen verstanden haben!!

Auch der in einem Gedichte neben Mathilde erwähnten Pauline will ich dankbar gedenken, die als Gesellschafterin und Haushälterin der Frau so viele Jahre zur Seite gestanden und bei der Wittwe des Dichters treu verblieben ist.

Mathilde Heine lebt in Paris in guten Verhältnissen, vollständig sorgenfrei und ist noch immer belle femme.

So krank Heinrich auch war, so schlecht die Nacht gewesen sein mochte, zur bestimmten Zeit des Morgens kam sein Secretair, dem er dictirte. Späterhin erschien auch sein Vorleser; auch empfing er dann liebe Besuche, trotz des großen Bedürfnisses nach Ruhe.

Eines Tages kam ich zu ihm, und er fühlte sich sehr matt. Nichtsdestoweniger rief er sehr lebhaft aus: „Schade, daß Du nicht früher gekommen bist; ist Dir nicht eine schwarzgekleidete Dame auf der Treppe begegnet?“

„Allerdings,“ sagte ich.

„Das war Madame Dudevant, mein bester Freund, George Sand, und ich hätte gern gewünscht, daß Du ihre Bekanntschaft gemacht hättest. Sie war wenigstens eine Stunde bei mir, plauderte viel, und so todtmüde ich auch bin, ich wollte, sie wäre länger geblieben.“

Sein letzter Arzt war Doctor Grubi, ein denkender, tiefgebildeter, humaner Mann, der ihn, so lange die Palliative der ärztlichen Kunst ausreichten, hinhielt. Sein Geist bedurfte nie der Medicin.

Einige Jahre, nachdem ich Paris verlassen und unser Briefwechsel ununterbrochen gedauert hatte, erhielt ich in St. Petersburg plötzlich folgenden Brief von Dr. Grubi, dessen Schriftzüge von größter Aufregung zeugten:

„Mit größtem Bedauern melde ich Ihnen, geehrter Herr College, das Ableben Ihres Bruders in Paris. Er ist heute um fünf Uhr Morgens verschieden, in Folge von Schwäche durch ein heftiges Brechen herbeigerufen.

Mit Hochachtung Ihr ergebener College

     Paris, den 17. Februar 1856.

Dr. Grubi.“




Die Redensarten der Völker scheinen nicht ohne Einfluß auf deren Thun und Treiben zu sein. Oder vielmehr beide hängen wohl gemeinsam von den Geistes- und Charaktereigenthümlichkeiten der verschiedenen Völker ab. Deshalb bringe ich den Gegenstand hier zur Sprache. Mögen Erfahrenere, Weitgereiste, wie z. B. Freund Gerstäcker, dieses Thema erwägen und weitere Beiträge dazu liefern!

Der Russe wiederholt immer das Wort „Nitschewo“, zu Deutsch „thut nichts!“ Dies Wort erklärt das Großwerden der russischen Nation, deutet aber auch die Grenze seines Wachsthums an. Mit Nitschewo stürmt der Russe auf die feindlichen Batterien los, läßt sich haufenweise niedermähen, bataillonsweise vom Schnee begraben (im Krimkriege), im Winter über ungangbare Alpen hetzen (unter Suwarow) und dergleichen mehr. Aber die Redensart „thut nix!“ taugt nicht dazu, um für die Dauer große Dinge zu gründen oder durchzuführen.

Der Türke sagt zu Allem: „jok, jok!“ zu Deutsch: „das ist mir gleichgültig!“ Nun in der That, wo man den Boden des türkischen Reichs betritt, da sieht man auch, daß diesen Leuten Alles gleichgültig ist. Wege, Brücken und Städte verfallen; die geldbringendsten Unternehmungen werden eines augenblicklichen Vortheils wegen zerstört; die besten Industriezweige durch alberne Steuern unmöglich gemacht; das ganze Reich verödet. „Alles gleichgültig!“

Der Spanier hat zwei stehende Redensarten „quien sabe?“ („wer weiß es?“) und „mas or menos“ („mehr oder weniger“). Nun ist klar, daß ein Volk, welches immer „wer weiß es?“ fragt, sich schließlich des Denkens entschlagen lernt und in die Hände von Leuten fallen muß, die ihm vorsagen und vorschreiben, was es denken und wissen soll. Daß diese Denkträgheit und Autoritätsgläubigkeit der Hemmschuh der gesammten spanischen Entwickelung ist, hat Buckle (Geschichte der Civilisation) schlagend bewiesen. – „Mehr oder weniger“ drückt[WS 1] ebenfalls die Neigung aus, nichts Bestimmtes zu denken, zu sagen und zu thun. Es deutet auf dieselbe geistige Schlaffheit hin.

Das Lieblingswort der Neugriechen ist „Dembirasi“, das heißt: „es wird wohl noch gehen, früher oder später, auf diese oder jene Weise, wenn nicht heute, so doch morgen, übermorgen oder über’s Jahr!“ (Friederike Bremer, Leben in der alten Welt.) Diese Redensart oder die Charaktereigenthümlichkeit, welche dahinter steckt, hemmt in Griechenland hauptsächlich den Fortschritt in Unternehmungen, die Verbesserung aller Arten von Angelegenheiten.

Ganz anders der Nordamerikaner der Vereinigt-Staaten-Republik. Sein Lieblingswort ist „go ahead!“ („geh’ vorwärts, immer drauf los!“) Er sagt nicht, wie wir: „ich meine, glaube, halte dafür“, sondern „ich rechne“, „I calculate“, wodurch er gewissermaßen sich selbst zwingt, seine Gründe mathematisch abzuwägen und zusammen zu stellen. In demselben Geiste setzt er, zu seinen Aussprüchen gern hinzu: „It is a fact“. („das ist eine Thatsache!“) womit er sich in die Nothwendigkeit versetzt, sie auch thatsächlich zu beweisen. – Alle drei Redensarten sind bezeichnend für den Grundcharakter dieser rastlos rührigen, illusionsfreien, positiven Nation.

Der Deutsche hat sehr viele Redensarten, nützliche und schädliche, doch meist nur auf kleinere Kreise beschränkte, wie z. B. der „gehorsame Diener“ in unseren mitteldeutschen Gegenden, welcher viel Schuld an der einheimischen Charakterlosigkeit haben dürfte. Von allgemeiner bei uns herrschenden Redensarten ist besonders das verderbliche „ich thue nicht mit“ der deutschen Kinder zu erwähnen. Ueberall, wo deutsche Knaben spielen, giebt es wenigstens einen oder zwei, welche ihr hohes persönliches Selbstbewußtsein dadurch an den Tag zu legen suchen, daß sie „nicht mit thun“. Als Erwachsene setzen sie dieselbe Redensart in anderer Form fort. Dies ist die Hauptursache, weshalb in Deutschland nichts Gemeinsames zu Stande kommen kann und weshalb überall, wo Deutsche beisammen sind, auch Spaltungen unter ihnen eintreten. „Ich thue nicht mit!“ muß ausgerottet werden, wenn die deutsche Einheit zu Stande kommen soll. Eine andere, durch ganz Deutschland verbreitete Redensart ist nicht salonfähig. Sie findet sich in der classischen Literatur gedruckt nur einmal. Und doch ist sie für unser Volk von größter Wichtigkeit. So lange der Deutsche zu dieser Redensart noch fähig ist, ist er noch nicht verloren. Sobald er zu ihr greift, ändert sich sein ganzes Wesen; er wird energisch, feurig, durchgreifend und ist fortan jeder andern Nation gewachsen.

R.




Die Post im Schnee. (S. S. 757.) Wieder ein Blatt aus unserer Galerie moderner Künstler und Bilder, abermals aus jener Schule am Niederrhein, in der das Genre in seinen verschiedenen Abstufungen eine besondere Pflege findet. Das Bild illustrirt eine Zeit, die nun bald völlig entschwunden sein wird, denn wo sonst als in Gegenden, die fern abliegen von den großen Strömungen des Weltverkehrs und seinen neuen Bahnen, oder auf den steilen Straßen tief in unwegsamem Gebirge tritt uns das stattliche Viergespann des Postwagens in seiner antiquirten Herrlichkeit noch entgegen? Eine Composition von höchster Lebendigkeit, denn sehen wir nicht das tolle Schneetreiben, das die Bahn verweht, in all’ seinem Ungestüm leibhaftig vor uns? Sehen wir nicht, wie die Pferde einsinken in den fußtiefen Schnee, wie sie sich stemmen und schnauben und arbeiten, das Gefähr wieder frei zu machen und neu in Gang zu bringen? Sehen wir nicht, wie das Decemberwetter gleich spitzen Nadeln Menschen und Gäulen in’s Gesicht schlägt? Gewiß, der Künstler, eines der jüngeren Mitglieder der Düsseldorfer Schule, C. Dahlen, hat es verstanden, die Situation auf das Wirkungsvollste zur Anschauung und Geltung zu bringen, so daß – und dies bleibt immer ein Hauptverdienst jedes Kunstwerkes – das Bild sich selbst erklärt und alle Erläuterung durch das Wort überflüssig macht.




Erklärung. Hierdurch erkläre ich, daß allein und ausschließlich die deutsche Verlagsbuchhandlung von C. Latour u. Werkmeister, 35 Canal-Street in New-York, das Recht des Nachdrucks meiner Novellen, Romane u. s. w. innerhalb des Gebiets der Vereinigten Staaten von Nordamerika von mir erworben hat und bevollmächtigt ist, jeden anderweitigen Nachdruck gerichtlich zu verfolgen.

Gera, im October 1866.

Karl Wartenburg.




Berichtigung. In einem Theile der Auflage ist in Nr. 46 – Erklärung der Bilder zu Fritz Reuter. – der Druckfehler „Alte Camelien“ anstatt „Alte Camillen“ stehen geblieben, was wir hiermit berichtigen.

D. Red.




Kleiner Briefkasten.


S. W. in Wiesbaden. Es ist mir der ehrenvolle Auftrag geworden, den aus einunddreißig Thalern bestehenden Ertrag einer Lotterie, welche drei junge Mädchen aus in Wiesbaden ansässigen fremden Familien veranstaltet haben, zu Weihnachtsgaben für in Folge des Krieges verwaiste Kinder zu verwenden. Gewiß ist der Gedanke außerordentlich dankenswerth und ich drücke den menschenfreundlichen anonymen Spenderinnen damit herzlich die Hand, aber die Natur der Sache wird mir nur gestatten, mit den Geschenken arme Waisen in der Nähe bedenken zu können. Hoffentlich sind Sie damit einverstanden; jedenfalls aber erwarte ich erst ihre Antwort.

Ernst Keil.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: rückt
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_760.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)