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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

jetzt befand sich im Schlosse ihr ältester Sohn, Prinz Wilhelm, mit seinem Hofmeister, Dr. Müller.

Man hatte mir gesagt, daß Schloß und Park dem Publicum verschlossen seien; daß die Herzogin im Unmuth den Befehl gegeben, die Parkmauern derart zu erhöhen, daß die Vorübergehenden nicht mehr hineinsehen könnten, wodurch der Stadt eine große Zierde, den Tausenden von Fremden, die im Sommer zuströmen, die hauptsächlichste Sehenswürdigkeit entzogen wäre; aber ich fand Beides nicht bestätigt, wenigstens waren jene Befehle, wenn sie wirklich erlassen, auf Vorstellen des preußischen Civilcommissariats wieder zurückgenommen. Die Frau oder Tochter des Gartendirectors reichte mir nach den ersten Worten die erbetene Eintrittskarte und ein alter Mann führte mich im Schlosse umher.

„Wird der Herzog das Schloß behalten, wird er hierher zurückkehren?“ fragte ich.

„Vorläufig nicht. Vielleicht zum Frühjahr. Die Preußen drängen ihn jetzt, daß er abdanken und sich unterschreiben soll, und sie haben ihm schon zehn Millionen Gulden für jedes Jahr geboten, aber er thut’s nimmermehr, er hat Geld und Schlösser und Güter genug, er hat vollauf zu leben, und wenn sie ihm keinen Heller geben. – Und merken Sie auf,“ fuhr der alte Knabe mit rührender Zuversicht fort, „es kann als nit so bleiben, ich wollt’ d’rauf schwören, daß es zum Frühjahr wieder los geht. Und weit schrecklicher, dann giebt’s einen Krieg durch ganz Europa, und Preußen mag zusehen, wo es bleibt.“

„Sind Sie schon lange hier am Hofe?“

„Ueber vierzig Jahre, und mein Bruder noch länger. Sehen Sie, wir möchten keinen andern Herrn haben, wir können’s uns gar nicht denken, daß wir einem Andern dienen sollten, wir sind zu alt dazu. Und der Herzog wird keinen seiner Diener entlassen, keinen verstoßen, er war gegen einen Jeden gnädig und freigiebig.“

Die lange Zimmerreihe an der Rheinseite im untern Stock beschließt ein kleines Eckgemach, das meist die erste Gemahlin des Herzogs bewohnte und das noch heute auf’s Genaueste und Sorgfältigste ebenso ausgestattet ist wie in jenen Tagen.

„Kein Stuhl steht anders!“ sagte der Alte.

Diese Dame, bekanntlich eine russische Prinzessin und Tochter der Großfürstin Helene, hatte die Schönheit und den Geist ihrer bis in die jüngste Zeit vielgenannten Mutter geerbt. Noch nicht achtzehn Jahre alt, eine hohe imposante Gestalt von geradezu plastischen Formen und dem edelsten Ausdruck, hochgebildet und hochsittlich, in jeder Bewegung voll Majestät und Würde und doch von der liebenswürdigsten, ungezwungensten Herablassung und Güte, vermählte sie sich dem Herzog, auf den sie den wohlthätigsten Einfluß übte, indem sie ihn von den wüsten und sinnlichen Gefährten seiner Junggesellentage zu entfernen und ihn für das reine Glück der Ehe zu gewinnen wußte. Sie säuberte den Hof von den bisherigen unreinen und zweideutigen Elementen und machte ihn zu einem Musterbilde von Anstand und Sitte. Echt weiblicher Tact hielt sie von aller Einmischung in Politik und Regierungsgeschäfte fern, aber sie entfernte die bis dahin allmächtige katholisch-österreichische Partei, welche jedoch nach ihrem Tode zurückkehren sollte. Herzogin Elisabeth starb leider schon am 28. Januar 1845 im Wochenbette, nach noch nicht einjähriger Ehe, im noch nicht vollendeten neunzehnten Lebensjahre. Durch das ganze Land ging Ein Schmerzensschrei, und noch heute lebt ihr Name und Andenken im Munde und Herzen des Volkes fort, denn sie hatte sich trotz der kurzen Zeit durch zahllose Wohlthaten unvergeßlich gemacht. Obenan steht die von ihr gestiftete „Elisabetheranstalt“ zur Erziehung armer und Heilung kranker Kinder. Man fürchtet, daß diese segensreiche Anstalt, die alljährlich große Zuschüsse aus der Privatschatulle des Herzogs nöthig machte, jetzt eingehen werde; aber wohl mit Unrecht, denn es muß dem preußischen Gouvernement eben so sehr Ehrensache wie landesväterliche Pflicht sein, dafür einzutreten.

Auch der Herzog betrauerte seine junge, schöne Gattin lange und tief; er mochte fühlen, daß mit ihr sein guter Genius von ihm gewichen. Erst nach sechs Jahren schritt er zu einer zweiten Ehe, mit Adelheid, Prinzessin aus einer Nebenlinie des Hauses Anhalt-Dessau. Die Herzogin zählt jetzt dreiunddreißig Jahre, ist von schlanker, etwas magerer Figur und sanften regelmäßigen Gesichtszügen. Noch mehr als an körperlichen Reizen steht sie ihrer Vorgängerin an geistiger Begabung und Bildung nach, ebenso fehlt ihr deren Anstand, Anmuth und Wohlthätigkeitssinn. Auch die zweite Ehe ist keine unglückliche gewesen; die Herzogin Adelheid hatte gleichfalls keinen eigentlichen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte, wohl aber ihre Freundin und Gesellschafterin, die Gräfin Bella von Ingelheim, welche, obgleich unverheirathet, den Gehalt einer Oberhofmeisterin von sechstausend Gulden jährlich bezogen, mit ihrer Mutter, einer gescheidten Frau, die Interessen der Klerikalen und des österreichischen Kaiserhauses verfochten und auch schließlich die definitive Entscheidung für Oesterreich herbeigeführt haben soll.

Indeß stand Herzog Adolph selber zu Oesterreich allzeit in sehr intimen Beziehungen. Als Erbprinz hatte er mit seinem Bruder Moritz mehrere Jahre am Hofe zu Wien gelebt, der Kaiser Franz Joseph hob ihm seinen zweiten Sohn persönlich aus der Taufe, und der Herzog hatte sich später fast ausschließlich mit Oesterreichern umgeben, die ihn von allem Verkehr mit dem Volke sorgsam fern hielten. Er war von Natur gutmüthig, wurde aber durch die Opposition der Liberalen allmählich so verbittert, daß er Jeden von ihnen für seinen persönlichen Feind und Beleidiger hielt. Es sind hier in Nassau von Seiten der Regierung gegen die liberale Partei und in der Verwaltung Dinge geschehen, die man in den sechsziger Jahren unsers Jahrhunderts für einfach unmöglich halten sollte. Im Anfang kein Freund von Geschäften, mischte sich der Herzog schließlich in die kleinlichsten Dinge – selbst die Anstellungen der Schneeschaufler auf dem Westerwalde mußten von ihm bestätigt werden – und versank immer tiefer in absolutistische Vielregiererei. Er liebte die Jagd – und zwar derart, daß der Wildstand ein ganz unverhältnißmäßiger war, den Bauern alle Aecker verwüstete und u. a. auf einer einzigen Treibjagd siebenhundert Stück Wild auf einem dichtbevölkerten kleinen Terrain geschossen wurden, das sich lediglich auf den Ackerbau angewiesen sieht –, das Spiel und eine leichte Unterhaltung mit seinen Günstlingen. Vornehmlich beschäftigte ihn das Militär, das zwar unter höchstseinem eigenen Commando stand, trotzdem aber auf seine etwa fünftausend Mann noch neun Generale, also auf je fünfhundert Mann einen besaß, und concentrirte seine ganze Liebe auf seine Officiere, die er mit Beweisen seiner Huld überschüttete. Von Statur mittelgroß und breitschulterig, war er ohne Tournüre, in der Haltung, Bewegung und im Umgang steif. Sein Gesicht ist nicht unschön zu nennen, nur das Auge blöde und stets mit einer scharfen Brille bewaffnet, ohne welche er fast gar nichts sehen konnte. Er galt für einen vortrefflichen Reiter, doch in den letzten Wochen sah man ihn schlaff und eckig im Sattel hängen, mit müdem, gedrücktem Wesen, als ahne er das Hereinbrechen seines Geschicks. Die Herzogin soll dagegen bis zur letzten Stunde bester Hoffnung und fester Zuversicht gewesen sein.

„Kennen Sie den Bismarck?“ fragte mich beim Abschied der Alte.

„Ich habe ihn ein paar Mal gesehen.“

„Schauen Sie,“ erwiderte er lebhaft, „das möchte ich auch. Ich habe Könige und Kaiser gesehen und mit ihnen gesprochen, Herzoge und Fürsten die schwere Menge; aber was ist das Alles gegen diesen Mann, der die Könige und Herzoge wie Unsereins absetzt und fortjagt, geradeso wie Napoleon es einst gemacht hat. Wenn ich ihn je zu sehen kriegte, ich würde ihm meine Meinung sagen, ganz frei von der Leber weg, und wenn er mir gleich den Kopf vor die Füße legen ließe. Ja, bei Gott, das thäte ich! – Nun adieu! Leben Sie recht wohl!“

Damit entließ mich der ehrliche Graukopf. Ich spazierte durch den Park, der fast eine Stunde im Umfang hat, und begegnete dort zufällig dem Prinzen mit seinem Erzieher. Prinz Wilhelm, wie schon erwähnt, ein Knabe von vierzehn Jahren, gilt für gutartig, bescheiden und fleißig. Er faßt schwer, hält aber das einmal Gelernte besser fest, als sein jüngerer, weit begabterer und lebendigerer Bruder. Dieser, Namens Franz, zählt noch nicht acht Jahre und ist wegen seiner quecksilbernen Beweglichkeit und drolligen Einfälle der Liebling des Vaters und der ganzen Dienerschaft. Bücher und Studien sind gerade nicht seine Freunde, desto mehr aber kleine Ponies, die er unermüdlich und verwegen reitet. Auch hat er großes Vergnügen an soldatischen Spielen. Kurz vor Ausbruch und während des Krieges hatten beide Prinzen eine Schaar vornehmer Knaben um sich versammelt, die sie in zwei Lager, Oesterreicher und Preußen, theilten und die nun täglich gegen einander losgingen. Natürlich wurden die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 769. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_769.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)